Steilküsten in Schleswig-Holstein brechen stetig weiter ab
Der nasse und frostige Januar hat dafür gesorgt, dass an vielen Steilküsten in Schleswig-Holstein große Teile weggebrochen sind. Vor allem das Brodtener Ufer in Travemünde hat es wieder erwischt. Doch in dem Naturschutzgebiet wird dem bewusst nicht entgegengewirkt.
Sie ist bedrohlich nahe gekommen vor wenigen Tagen - bis auf fünf Meter. Wieder haben sich am Brodtener Steilufer (Kreis Ostholstein) große Mengen Sand gelöst. Die Abbruchkante kommt näher, der Weg vor dem Jugendhaus Seeblick musste gesperrt werden. Zu gefährlich ist es inzwischen für Fußgänger. Als Renate Paulien-Wittmack das Fenster im ersten Stock des Gebäudes öffnet, geht ihr Blick sorgenvoll in Richtung Ostsee, die an diesem Tag wie ein Ententeich wirkt. Doch genau diese Ostsee ist verantwortlich dafür, dass die Tage des Hauses zwischen Travemünde und Niendorf gezählt sind. Seit den 50er-Jahren wird das Gebäude für Tagungen oder an Jugendgruppen vermietet.
"Da kann man sehen, wie Naturgewalten arbeiten, das ist schon recht spannend. Für uns selber ist das natürlich nicht schön, weil wir betroffen sind und das Haus irgendwann nicht mehr betreiben können. Aber trotzdem ist das ein Naturereignis, ein Erlebnis." Renate Paulien-Wittmack, Vorsitzende des Fördervereins Falken Lübeck
Steilküsten brechen regelmäßig ab
Das Brodtener Ufer ist eine von 59 Steilküsten in Schleswig-Holstein. In Travemünde bricht jedes Jahr laut Berechnungen etwa ein Meter Küste weg, im Landesdurchschnitt sind es laut Landesbetrieb Küstenschutz etwa 20 Zentimeter. Nach ihren Messungen gab es vor dem Haus Seeblick im Jahre 1878 noch 200 Meter Land bis zum Meer. Heute sind es gerade einmal noch fünf Meter. Fast täglich sacken hier Sandmassen ab, sodass zum Beispiel die Wanderwege regelmäßig verlegt werden müssen. ´
Küstenschutzmaßnahmen würden Abbrüche nur kurz stoppen
Für Travemündes Kurdirektor Uwe Kirchhoff inzwischen Alltag, denn die Abbrüche im Naturschutzgebiet sind bewusst zugelassen. "Selbst wenn man mit vielen Millionen Euro Aufwand hier Küstenschutzmaßnahmen platzieren würde, würde man den Effekt auch nur kurzzeitig stoppen können. Der Aufwand wäre unverhältnismäßig und der Eingriff in die Natur zu stark", sagt Uwe Kirchhoff. Er rechnet damit, dass die Abbrüche irgendwann weniger werden. Jetzt sei die Steilküste bei etwa 20 Meter über Null, irgendwann werde sie deutlich abflachen.
Abbrüche auch im Sinne der Uferschwalbe
Durch den Dauerregen und Frost der vergangenen Wochen sind gerade im Januar größere Teile der Kliffkante in Brodten abgebrochen. In wenigen Wochen werden hier die Uferschwalben anfangen zu brüten, direkt in der Steilküste. Hunderte Vögel nisten sich dann dort ein, allerdings nur einmalig. "Die Uferschwalbe ist darauf angewiesen, dass die Abbrüche auch immer die alten Nester beseitigt. Die Schwalben nisten direkt im Lehm, die bauen sich dort Höhlen und in diesen Höhlen würden sich sonst Bakterien oder Krankheitskeime übers Jahr sammeln. Durch den Abbruch sind die Schwalben gezwungen immer wieder neue Höhlen zu bauen", erklärt Uwe Kirchhoff.
Bauverbotszonen hinter der Böschungskante
In den kommenden Jahren werde die Steilküste laut LKN weiter abbrechen. Problem sind nicht der steigende Pegel der Ostsee, sondern stärkere und höher auflaufende Wellen. Sie graben den unteren Teil des Ufers ab, ehe der Rest dann irgendwann absackt. Nach der Sturmflut im Herbst 2023 soll die Küste in diesem Frühjahr abgeflogen und per Laser gescannt werden.
"Infolge des beschleunigten Meeresspiegelanstiegs muss mittel- bis langfristig mit einem räumlich und zeitlich deutlich zunehmenden Küstenrückgang gerechnet werden. Aus diesen Gründen sind Bauverbotszonen von 150 Metern hinter der oberen Böschungskante eines Steilufers sowie dem seewärtigen Fußpunkt einer Düne oder eines Strandwalles in das Landeswassergesetz (§ 82 Abs. 1 Satz 3 LWG) aufgenommen worden." Dr. Thomas Hirschhäuser, Geschäftsbereichsleiter im LKN.SH
Tage des Jugendhaus Seeblick sind gezählt
Dass die Abbruchkante in Brodten doch so schnell näherkommt, damit habe sie nicht gerechnet, sagt Renate Paulien-Wittmaack. Dennoch wolle ihr Verein, die Falken Lübeck, den Betrieb Im Jugendhaus Seeblick erstmal weiterführen und das Gebäude für Seminare und an Jugendgruppen vermieten. "Da ist Wehmut dabei. Wir besitzen das Haus seit 13 Jahren, aber es wird ja seit Ende der 1950er-Jahre als Jugendgruppenhaus genutzt und damit geht ein großes Stück Geschichte in Lübeck zu Ende. Ich denke, dass jeder zweite Lübecker in seiner Jugend mal hier gewesen ist und eine Freizeit verbracht hat", vermutet Renate Paulien-Wittmaack. Bis Ende des Jahres wollen sie das Haus eigentlich noch nutzen - wenn die Natur das zulässt.