Rätsel um Zehntausende Krater in der Nordsee scheint gelöst
Forscherinnen und Forscher der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel haben kraterartige Vertiefungen am Boden der Nordsee untersucht und erstmals herausgefunden, welche Bedeutung Wirbeltiere für ihre Entstehung haben.
Vor sechs Jahren entdeckten Geowissenschaftler der Universität Kiel Zehntausende rätselhafte Gruben auf dem Grund der Nordsee. Wie sie entstanden sind, war völlig unklar. Lange Zeit hatte man sie für sogenannte "Pockmarks" gehalten - von austretenden Fluiden, wie dem Treibhausgas Methan, geformte Löcher am Meeresboden. Dennoch waren die vermeintlichen Pockmarks für die Forschenden ein großes Rätsel, denn die Entstehung dieser kraterartigen Vertiefungen konnte sich nicht durch Fluide begründen lassen.
Die Pits, wie die Gruben auch genannt werden, ähneln zwar sehr den Pockmarks, sind mit elf Zentimetern aber deutlich flacher. Ein Forschungsteam der Universität Kiel konnte nun erstmals beweisen, dass nicht Gasaustritte, sondern bestimmte Wirbeltiere diese Gruben in 25 Meter Tiefe am Meeresgrund hinterlassen.
Hungrige Schweinswale auf Nahrungssuche
Einer der Forschenden ist Geowissenschaftler Dr. Jens Schneider von Deimling. Schon früh glaubte er nicht an die Theorie, dass aufsteigende Fluide Grund für die Gruben sein könnten. Ein befreundeter Biologe brachte ihn dann auf eine neue Idee: "Delfine graben aktiv am Meeresboden nach Futter", so die Antwort seines Kollegen. Doch die sind selten in der Nordsee. Könnten ihre Verwandten, die kleinen Schweinswale, auf der Suche nach Beutefischen wie Sandaalen vielleicht ein ähnliches Verhalten an den Tag legen? Die Forschenden legten die Lebensräume von Schweinswalen und Sandaalen übereinander und untersuchten die überlappenden Flächen. Mit Hilfe von Millionen Echolotmessungen scannten sie in der Nordsee vor Helgoland eine Fläche doppelt so groß wie Hamburg und schauten sich zentimetergenau den Grund an.
Mit Erfolg: "Genau dort haben wir, wie vorhergesagt, die ganzen Vertiefungen gefunden", freut sich Schneider von Deimling. Freie Gase wie Methan konnten sie hingegen nicht entdecken - der Beweis für ihre "Schweinswal-Gruben-Hypothese". Die Forschenden erklären, dass Sandaale die überwiegende Zeit des Jahres flach vergraben im Sediment des Bodens leben. Um sie also zu finden, müssen Schweinswale den Boden nach ihnen durchwühlen. Dadurch würden kleine Fressgruben im Boden entstehen, die im Laufe der Zeit durch Strömungen ausgewaschen und zu Pits werden.
Forschungsergebnisse können in Zukunft Schweinswale retten
Kleiner Wermutstropfen: Ein Beweisfoto von einem buddelnden Schweinswal fehlt dem Kieler Forschungsteam bislang noch. Schneider von Deimling ist sich aber sicher, dass die neuen Erkenntnisse zukünftig ökologische Risiken minimieren und zum Schutz der Schweinswale in der Nordsee beitragen können. "In Bezug auf Wind-Offshore ist das wichtig - in Zukunft kann man somit die Futterstellen dieser Tiere schützen", so der Geowissenschaftler. Mit Hilfe von Schallwellen könnte man passgenaue Karten erstellen, die bei der Vergabe von Bauflächen für Windräder helfen können.
"Unsere Ergebnisse haben aus geologischer und aus biologischer Sicht weitreichende Bedeutung", heißt es vom Forschungsteam. Die Erkenntnisse aus der deutschen Nordsee lassen sich ihnen zufolge vermutlich auch auf zahlreiche weitere flache Krater in den Ozeanen der Welt übertragen, deren Entstehung bislang unbekannt war.