Polizisten am Limit: 500.000 Überstunden in Schleswig-Holstein
Rund eine halbe Million Überstunden haben Polizisten in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr gemacht. Damit bleibt die Mehrarbeit seit Jahren auf einem hohen Niveau, wie aus der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des SPD-Innenpolitikers Niclas Dürbrook hervorgeht.
Für das Jahr 2023 sind rund 528.000 Überstunden bei der Polizei in Schleswig-Holstein angefallen. "Das ist ein extrem hoher Wert, der geht über die vergangenen Jahre nicht runter. Trotz Personalaufbau gelingt es nicht, die Arbeitsbelastung bei der Polizei zu senken", so SPD-Politiker Niclas Dürbrook. Er kritisiert, dass sich an der Situation seit Jahren nicht viel verändert.
Nach Meinung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sind die Zahlen wenig überraschend. "Eine halbe Million Mehrarbeit und Überstunden sind in der Polizei im Jahresdurchschnitt üblich", so Torsten Jäger, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein. Er spricht von einer großen Belastungssituation für die Polizisten. Umgerechnet haben die Überstunden einen Gegenwert von mehr als 300 Stellen, so die GdP.
Sondereinsätze sind Grund für Überstunden
In den vergangenen 14 Jahren hat das Land mehr als 800 neue Stellen für die Polizei geschaffen, doch auch die Aufgaben wuchsen. Zudem werde es in der Landespolizei immer einen gewissen Satz an Überstunden geben, so Jäger. Durch spontane und wenig vorhersehbare Einsatzlagen käme es immer wieder zu Überstunden. Ein Beispiel seien Demonstrationen. Weil diese oft wenige Tage vorher angemeldet werden, müsse der Dienstplan kurzfristig geändert werden.
Einen Teil der Überstunden vergütet das Land. Im Jahr 2022 waren das rund 1,7 Millionen Euro, 2023 kostete das rund eine Million Euro, wie aus der Antwort des Ministeriums hervorgeht. Dennoch entstehe durch Bezahlung keine Entlastung, so Jäger. Grund für die vielen Überstunden seien vor allem Sondereinsätze, sagt eine Sprecherin des Innenministeriums. Dazu gehörten beispielsweise der G7-Außenminister-Gipfel in Weißenhäuser Strand im Mai 2022 und der G7-Gipfel in Bayern. "Mit Ausklang der Pandemie sind auch Großveranstaltungen wie Konzerte, Fußballspiele und Volksfeste wieder polizeilich zu begleiten gewesen und haben zwangsläufig zu Mehrarbeit geführt", heißt es aus dem Innenministerium. Vor allem die Einsatzhundertschaft sei betroffen, beobachtet die GdP.
Zweite Einsatzhundertschaft im Aufbau
Die Diskussion über die Überstunden von Polizisten ist nicht neu. Im Koalitionsvertrag wirbt Schwarz-Grün damit, dass es bis 2027 eine zweite Einsatzhundertschaft geben soll. Die GdP erhofft sich mehr Entlastung für die Beamten in der ersten Einsatzhundertschaft.
33 Stellen wurden in diesem Jahr in der zweiten Einsatzhundertschaft geschaffen, teilte Innenstaatssekretärin Magdalena Finke mit. Aus ihrer Sicht ist es ein gutes Zeichen, dass die Überstunden nicht mehr geworden sind.
Polizeiwissenschaftler sieht Zahlen weniger alarmierend
An der Polizeiakademie in Hamburg sieht man die Mehrarbeit weniger alarmierend. Polizeiwissenschaftler Rafael Behr verweist darauf, dass die Zahl der Überstunden nichts über den individuellen Belastungsgrad der Beamten aussagt. Überstunden gebe es in fast allen Unternehmen.
Entlastung bei Schwerlasttransporten
Eine weitere Entlastung der Polizei sei geplant, heißt es aus dem Innenministerium. "Das bedeutet nicht nur Personalaufbau, sondern auch Aufgabenübertragung", so Magdalena Finke. So wird beispielsweise überlegt, dass Abschiebefahrten nicht mehr von der Polizei begleitet werden. Die Technik der Polizeibeamten sei ein weiteres Thema. "Die gute technische Ausstattung kann auch dazu führen, dass die Landespolizei entlastet werden kann", so Finke.
Auch sollen Polizisten künftig von der Begleitung von Schwerlasttransporten im Land befreit werden. Im vergangenen Jahr hatte der Bundesrat dazu eine Verordnung beschlossen, dass Groß- und Schwertransporte, wie etwa bei Windkraftanlagen, künftig von privaten Unternehmen begleitet werden dürfen. "Wir sind gerade dabei diese Verordnung ins Landesrecht umzusetzen. Wir müssen klären, wer die Leute ausbildet und wer diese Aufgabe als privater Unternehmer übernehmen kann", so Finke. Anfang des nächsten Jahres sei eine Lösung avisiert. In Niedersachsen wird diese Idee bereits umgesetzt. Dort wurden sogenannte "Hilfspolizisten" ausgebildet, um Schwertransporte zu begleiten und die Polizei zu entlasten.