Nach 161 Jahren wird das Modehaus Kunstmann Geschichte
Das Modehaus Kunstmann wurde im Januar geschlossen. Der Nachlass wird seitdem verpackt. Jetzt wurde er dem Stadtarchiv und dem Museum Pinneberg übergeben.
Schon seit Wochen räumt Hermann Kunstmann um - und aus. Das Lager, das Büro. Von der Wand hängt er drei Porträts seiner Vorfahren ab. Die will er erst einmal nur als Leihgabe ans Museum geben. "Das ist der Gründer: Hermann I., mein Urgroßvater," sagt er und stellt das Bild auf den Boden. Das zweite zeigt Hermann II, den man Hermann Patent nannte, weil er so patent gewesen sein soll. Das dritte Foto zeigt seinen Großvater, Hermann III. Alle Männer dieser Linie heißen Hermann. Auch sein Vater. Hermann Kunstmann Junior selbst hat zwei Töchter. "Aber hätte ich einen Sohn gehabt, ich hätte ihn sicher nicht Hermann genannt", sagt er. Das Modehaus Kunstmann hat er im Januar geschlossen. "Eine Ära, die jetzt zu Ende geht."
Familienbetrieb seit 161 Jahren
161 Jahre lang gab es das Modehaus Kunstmann in Pinneberg. Eine Institution.
Erst war der Familienbetrieb eine Färberei und dann ein Bekleidungsgeschäft. Hochzeiten, Konfirmationen, Jubiläen oder Bälle - wer sich fein kleiden wollte, ging zu Kunstmann. Doch Globalisierung, Internethandel und zuletzt die Pandemie haben dem Modehaus schwer zugesetzt. Nun ist es verkauft, geschlossen und ausgeräumt.
Beim Leerräumen hat Hermann V. Kunstmann einige Dinge gefunden, die für die Nachwelt interessant sein könnten. 100 Jahre alte Firmenunterlagen, alte Anzeigen, Fotos von Belegschaften oder Sportevents, die die Kunstmanns initiiert haben. "Ich hab gedacht, dass das eigentlich viel zu schade ist, um im Karton von einem Keller in den nächsten geschleppt zu werden", sagt er. Stattdessen habe er deswegen einfach entschieden, vieles in Pinneberg ans Museum und ins Stadtarchiv zu geben.
Die Kisten voller Geschichte(n)
Um 11 Uhr klopft es an die verhängte Kaufhaus-Tür. Die Leiterin des Pinneberg Museums Caroline Schröder hat Männer von einem Elmshorner Umzugsunternehmen mitgebracht, die den Nachlass transportieren werden. Sie gehen zusammen in den Keller, wo noch einige alte Kartons lagern. Sie sind gefüllt mit Geschäftsunterlagen und fest verschnürt. Einer ist aus den 1920er Jahren, ein anderer aus der Zeit der Währungsreform kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein anderer ist offen.
Caroline Schröder nimmt ein kleines Fotoalbum in die Hand. Der Umschlag ist aus Samt, die Fotos müssen um die Jahrhundertwende gemacht worden sein. Frauen, Männer, Kinder: Mitglieder der Familie Kunstmann. "Ich war sehr beglückt und sehr erfreut, dass Herr Kunstmann uns angerufen und gesagt hat, er könnte sich gut vorstellen, dass die Dinge ein weiteres Leben im Museum finden, was ich toll finde", denn, so sagt sie, "Kunstmann ist eine wirkliche Pinneberger Institution" und es seien wirklich tolle Objekte dabei. "Ich bin ganz begeistert davon, dass wir die im Museum haben dürfen."
Bügeleisen, ein Druckstock und eine alte Kasse
Im Erdgeschoss, im Eingangsbereich steht eine Vitrine, etwas eingequetscht, zwischen den Treppen. Hier haben Kunstmanns schon seit den 1980er Jahren die wichtigsten Firmengegenstände ausgestellt. Auch die sollen jetzt ans Museum gehen. Hermann Kunstmann reicht den Männern des Umzugsunternehmens die schweren Bügeleisen aus Eisen, damit sie sie in den Karton packen. Die seien aus der ehemaligen Scheiderei, erzählt Kunstmann. "Wir haben ja mit einer Färberei angefangen" und zeigt noch einen alten Druckstock. "Damit wurde früher Bettwäsche bedruckt." Dann hievt er eine alte Kasse aus der Vitrine. Sie ist so schwer, dass die Umzugshelfer sie auf einem Rollbrett zum Transporter fahren.
Wie alt diese Kasse ist, weiß Hermann Kunstmann nicht genau, möglicherweise 100 Jahre oder älter. Kurz wird er nostalgisch, zeigt, wie die Kassiererinnen diese Kasse früher bedient haben, schiebt die Regler, einen nach dem anderen, um den Preis einzugeben. Dann kurbelt er an der großen Kurbel an der Seite, es mach "Kling" und die Kasse öffnet sich. "Das liebste Geräusch aller Ladenbesitzer", sagt er und lacht. Die Kasse sei bis in die 1970er Jahre im Einsatz gewesen. In der Modescheune. Da hätten sie junge Mode verkauft. "Schon ein paar Jahre her."
Eine Pop-Up-Ausstellung zeigt den Nachlass
Bevor der Nachlass im Magazin des Museums verschwindet und die Geschäftspapiere ins Archiv gehen, wird Caroline Schröder ab kommender Woche für einen Monat im Pinneberg Museum eine kleine Pop-Up-Ausstellung zeigen. Da könnten dann auch die Pinnebergerinnen und Pinneberger, die hier über all die Jahrzehnte eingekauft haben, von ihrem Modehaus Abschied nehmen. Das fühlt sich für Hermann Kunstmann gut an: "Die Sachen sind jetzt in guten Händen." Er freue sich sehr auf die Ausstellung. Am 2. Mai sei der Pressetermin, "da kommt dann auch mein Vater dazu und da fällt uns bestimmt noch die ein oder andere Geschichte ein."
"Kunstmann macht M̶o̶d̶e̶ Museum" wird die Ausstellung heißen. So wird ein Haus Geschichte.