Nach Nord-Stream-Anschlag: KI-Forscher wollen Pipelines schützen
Nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines 2022 hat der Schutz der kritischen Infrastruktur auf See stark an Bedeutung gewonnen. Die Firma north.io arbeitet aktuell daran, sogenannte Geisterschiffe zu entdecken.
Auf dem Meeresboden ist es in den vergangenen Jahrzehnten immer voller geworden. In Nord- und Ostsee liegen unter anderem Glasfaserkabel, Öl- und Gaspipelines und gerade in den Offshore-Windparks viele Stromkabel, um die Energie an Land zu transportieren. Wo sich die Leitungen befinden, ist kein Geheimnis. Der Kieler Jann Wendt und sein 60-köpfiges Team des Software-Unternehmens north.io arbeiten daran, diese Lebensadern unserer Industrie- und Kommunikationsgesellschaft besser vor Anschlägen zu schützen.
Sprengungen der Nord-Stream-Gaspipelines: Schwierige Ermittlungen
Im September 2022 gingen die Bilder des austretenden Gases in der Ostsee um die Welt. Sprengsätze an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 rissen große Löcher in die Rohre, durch die bis dahin russisches Erdgas nach Deutschland gepumpt wurde. Die Frage, wer hinter dem Anschlag steckt, ist bis heute nicht vollständig beantwortet. Die deutschen Ermittler gehen davon aus, dass die Täter mit der Segelyacht "Andromeda" zum Anschlagsort gefahren sind. Expertinnen und Experten glauben, dass das Schiffs-Ortungssystem AIS dafür ausgeschaltet wurde. Die Sprengungen bezeichnet Jann Wendt als eine Art Weckruf für die Sicherheitsbehörden. Erst danach habe man sich intensiv mit dem Schutz der kritischen Infrastruktur auf See beschäftigt.
Aufspüren von "Geisterschiffen"
North.io arbeitet zur Zeit daran, ein System zu entwickeln, mit dem sowohl verdächtige Bewegungen von Fahrzeugen auf dem Wasser, aber auch unter Wasser schnellstmöglich zu erkennen sein sollen. Schiffe ab einer gewissen Größe sind verpflichtet, mittels GPS ihre jeweiligen Positionen mitzuteilen. Schaltet die Crew die Transponder während der Fahrt ab, spricht man von einem Geisterschiff.
Um so ein Schiff aufzuspüren, sind Daten aus anderen Quellen nötig. Zum Beispiel von Radar-Satelliten. Diese sind in der Lage, Boote und Schiffe auf dem Meer zu lokalisieren, selbst bei starker Bewölkung. Zeigt das Radarbild Objekte, die keine GPS-Daten senden, könnte es sich um Geisterschiffe handeln. Wegen der riesigen Datenmenge können diese Informationen nicht von Menschen ausgewertet werden. Eine künstliche Intelligenz soll nun sogenannte Anomalien erkennen. Anschließend könnte ein autonom fahrendes U-Boot an der gemeldeten Position prüfen, ob es sich wirklich um ein verdächtiges Schiff handelt.
Sicherheitsexperte: Neue Anschläge jederzeit möglich
Henrik Schilling forscht an der Christian-Albrechts-Universität Kiel zu den Themen Maritime Strategie und Sicherheit. Er hält Anschläge auf kritische Infrastruktur im Meer jederzeit für möglich. Ziel solcher Angriffe sei weniger der größtmögliche Schaden als vielmehr das Erzeugen von Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung. Um Kabel und Pipelines effektiv zu schützen, müssten die deutschen Behörden besser kooperieren, sowohl innerhalb der Bundesrepublik als auch im Verbund mit anderen Staaten. Schilling: "Man sieht das beispielsweise an Pipelines aus Norwegen. Über die haben wir keine Handhabe, deswegen muss man mit den Behörden vor Ort zusammenarbeiten."
Millionenauftrag vom Bund
Das Projekt zur Überwachung der Meere nennt sich "Argus" und kostet etwa 3,5 Millionen Euro, von denen der Bund 77 Prozent übernimmt. "Argus" ist auf zwei Jahre ausgelegt und soll danach in die Praxis überführt werden. Die Herausforderung für north.io besteht darin, die oft sensiblen Daten von den verschieden Stellen zu bekommen und diese so miteinander zu verknüpfen, dass Anomalien wie Geisterschiffe möglichst schnell auffallen. Dann ließen sich Angriffe wie der auf Nord Stream möglicherweise verhindern.