Nach Messerattacke von Brokstedt: Unsicherheit fährt mit
Nach der Messerattacke von Brokstedt sind täglich viele Menschen auf der Strecke unterwegs, wo der Angriff geschah. Einige fühlen sich unsicher. Psychiater Deister rät, die Angst einzuordnen und die Opferschutzbeauftragte bietet Hilfe an.
Am Bahnhof von Brokstedt (Kreis Steinburg) brennen die Kerzen und Grablichter. Sie sollen an die beiden jungen Erwachsenen erinnern, die am Mittwoch im Regionalexpress von Kiel nach Hamburg getötet wurden. Gleichzeitig rollen hier weiter Züge vorbei. Der Alltag geht für viele Pendlerinnen und Pendler weiter. Sie müssen weiterhin auf der Strecke fahren, auf der das Drama am Mittwoch geschah.
Viele Studierende pendeln mit Regionalbahn
Teilweise seien sie mit einem unguten Gefühl unterwegs, berichten viele Menschen NDR Schleswig-Holstein. Sein Gefühl sei "beschissen. Man weiß nicht, wie man sich dagegen schützen kann", sagt ein Reisender aus dem Kreis Pinneberg. Und eine junge Frau, die regelmäßig von Hamburg an die Kieler Uni fährt, sagt: "Ich pendle jeden Tag und hätte normalerweise auch den Zug genommen, wo die Messerstecherei war. Es sind immer so viele junge Menschen und Studenten im Zug. Ich finde das erschreckend, dass das jedem hätte passieren können."
Keine entspannte Fahrt mehr
Ein gewisses Unsicherheitsgefühl reise grundsätzlich immer mit, sagt auch ein Mann, der geschäftlich viel in Deutschland umhereist - auch zwischen Kiel und Hamburg. "Ich spiele das im Kopf oft durch, weil ich manchmal auch nachts fahre. Ich hoffe, dass es nie passiert", sagt er. Eine 54 Jahre alte Frau berichtet, Fahrten in der Regionalbahn seien aktuell nicht mehr entspannt für sie. Sie halte die Augen offen und gucke, was um sie herum passiere. Die Frau ist sichtlich mitgenommen. Die beiden Opfer kannte sie. Sie arbeitet an der Schule in Neumünster, die die beiden jungen Menschen besucht hatten. "Erst vor Kurzem habe ich mich noch mit ihnen unterhalten", sagt sie und erzählt: "Ich habe an dem Tag früher Feierabend gemacht, sonst hätte ich im selben Zug gesessen."
Psychiater Deister: Angst zulassen und einordnen
Ein ungutes Gefühl dabei zu haben, jetzt in den Zug zu steigen, sei normal, sagt der Kieler Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Arno Deister. "Was ganz wichtig ist, ist, dass man versucht, diese Angst auch ein Stück einzuordnen - als etwas Normales. Dass man sich klarmacht, dass solch ein außergewöhnliches, schreckliches Ereignis nicht der Alltag ist. Es bleibt weiterhin sehr unwahrscheinlich."
Angst zu haben, sei normal und in Ordnung, so Deister. Damit dieses Gefühl einen nicht blockiere, sei der richtige Umgang damit wichtig. "Entscheidend ist, die Angst nicht ausufern zu lassen, sondern zu versuchen, sie in den Griff zu bekommen. Und das heißt manchmal auch, sie zuzulassen." Es sei zudem wichtig, den Kontakt zu anderen zu finden und sich auszutauschen.
Opferschutzbeauftragte: Alle haben Anspruch auf Hilfe
Das kann auch über die Opferschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Ulrike Stahlmann-Liebelt, laufen. Sie und ihr Team vermitteln Hilfe für Opfer von Straftaten. Menschen, die die Attacke miterlebt hätten, könnten sich an ihr Team wenden, betont sie. "Da macht es keinen Unterschied für uns als Anlaufstelle, ob jemand unmittelbar betroffen war und zum Beispiel zu den Verletzten gehörte oder ob er drei Waggons weiter gesessen hat und alles mitbekommen hat. Alle sind in irgendeiner Weise betroffen und haben einen Anspruch darauf, dass ihnen geholfen wird", so Stahlmann-Liebelt.
Hilfetelefon der Opferschutzbeauftragten
Belastungen könnten also auch erst später, manchmal erst Jahre später, auftreten. "Möglicherweise zeigt sich das erst in den nächsten Stunden und Tagen, was das bei einem bewirkt hat", so Stahlmann-Liebelt. "Und auch dann kann man sich immer noch an uns wenden, um eine Anlaufstelle zu vermittelt zu bekommen." Sie weist nochmal auf das Hilfetelefon der Opferschutzbeautragten hin: (0800) 000 75 54.
Die Fahrgäste, die von der Attacke nur über die Medien erfahren haben und nun täglich auf der Strecke pendeln, müssen jetzt oftmals den Spagat zwischen ihren Gefühlen zu der Attacke und ihrem normalen Alltag hinbekommen. Eine 43 Jahre alte Frau, die häufig im Regionalzug nach Kiel reist, sagt: "Ich saß in einem ICE von Berlin nach Hamburg, als das passiert ist. Ich denke viel darüber nach und bin einfach nur traurig."