NDR Recherche: Flickenteppich bei Waffenkontrollen in SH

Stand: 12.04.2024 12:07 Uhr

Viele Waffenbehörden im Land sind überlastet. Wie streng sie Waffenbesitzer unter die Lupe nehmen, schwankt stark von Kreis zu Kreis. Die Gewerkschaft der Polizei fordert Konsequenzen.

von Johannes Tran

Sie sind Jäger, Sportschützen, Sammler oder arbeiten im Sicherheitsgewerbe: Mehr als 30.000 Menschen besitzen in Schleswig-Holstein privat eine genehmigungspflichtige Schusswaffe. Sie im Blick zu haben, ist Aufgabe der Waffenbehörden der Kreise und kreisfreien Städte.

Deren Mitarbeiter müssen überprüfen, ob Waffenbesitzer ihre Gewehre, Pistolen und Revolver sicher aufbewahren - in einem zertifizierten Waffenschrank. Verstoßen die Besitzer gegen die Vorschriften, können die Behörden ihnen die Waffenerlaubnis entziehen.

Recherchen von NDR Schleswig-Holstein zeigen jetzt: Die Waffenkontrollen dieser Behörden gleichen einem Flickenteppich. Wie streng und wie umfangreich kontrolliert wird, schwankt stark von Kreis zu Kreis. Denn während einige Waffenbehörden einen beträchtlichen Anteil ihrer Waffenbesitzer regelmäßig überprüfen und die Aufbewahrung der Waffen unter die Lupe nehmen, halten sich die Kontrollen in anderen Regionen in Grenzen.

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Kreis Segeberg: Keine einzige anlasslose Kontrolle

Die Waffenbehörde des Kreises Segeberg beispielsweise war 2023 nach Angaben einer Sprecherin derart unterbesetzt, "dass Kontrollen nur anlassbezogen und in geringem Umfang durchgeführt werden" konnten.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Die Behörde hat im vergangenen Jahr keinen einzigen der rund 3.700 Waffenbesitzer im Kreis einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen. Der Kreis will jetzt nach Angaben der Sprecherin zwei neue Stellen schaffen, um die Kontrollen in diesem Jahr "deutlich" auszuweiten.

Personelle Ausfälle im Kreis Ostholstein

Auch der Kreis Plön berichtet von Personalengpässen. Dort besitzen rund 2.900 Personen eine genehmigungspflichtige Schusswaffe. Die Waffenbehörde konnte im vergangenen Jahr nur 96 Waffenbesitzer kontrollieren. Das entspricht einer Quote von etwa drei Prozent.

Eine Glock 17 Pistole liegt samt Munition auf einem Tisch. © picture alliance/Frank Duenzl Foto: Franz Duenzl
AUDIO: Waffenkontrollen: Viele Behörden in SH sind überlastet (1 Min)

Ein ähnliches Bild ergibt sich im Kreis Ostholstein, in dem rund 3.100 Waffenbesitzer leben. Die Waffenbehörde des Kreises hat 2023 laut eigener Aussage "aufgrund personeller Ausfälle" nur 48 Kontrollen durchgeführt - eine Quote von weniger als zwei Prozent.

Dass es auch anders geht, belegen Zahlen aus anderen Kreisen. In Kiel etwa wurden rund elf Prozent der etwa 1.100 Waffenbesitzer kontrolliert. Im Kreis Dithmarschen lag die Quote bei etwa zwölf Prozent. Und der Kreis Rendsburg-Eckernförde meldet für das vergangene Jahr sogar eine Kontrollquote von rund 22 Prozent - dort haben die Mitarbeitenden der Waffenbehörde also mehr als jeden fünften Waffenbesitzer zuhause besucht.

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Hinzu kommt: Während viele Waffenbehörden ihre Kontrollen vorher ankündigen, klingeln die Mitarbeitenden anderer Behörden unangekündigt an der Haustür der Waffenbesitzer, sodass diese sich nicht auf einen Besuch einstellen können.

In Flensburg und dem Kreis Steinburg beispielsweise fanden im vergangenen Jahr alle Kontrollen unangekündigt statt. Auch die Stadt Kiel kontrolliert nach Angaben eines Sprechers grundsätzlich nur ohne Vorankündigung, "da ein Schutz vor einer unsachgemäßen Aufbewahrung nur erreicht werden kann, wenn der*die Waffenbesitzer*in jederzeit mit einer verdachtsunabhängigen Kontrolle rechnen muss".

In den Kreisen Pinneberg, Stormarn und Nordfriesland wurden 2023 dagegen fast alle Kontrollen vorher angekündigt. Der Grund: Unangekündigte Kontrollen sind für die Behörden deutlich zeitaufwendiger - weil sie viele Waffenbesitzer nicht zuhause antreffen und deshalb erneut anrücken müssen.

Gewerkschaft der Polizei fordert mehr Personal

Die Gewerkschaft der Polizei kritisiert diesen Flickenteppich. Der stellvertretende Landesvorsitzende Sven Neumann fordert mehr unangekündigte Kontrollen. Angekündigte Hausbesuche nennt er "nicht zielführend". Es brauche mehr Personal in den Waffenbehörden, "dass die notwendigen Prüf- und Kontrollaufgaben verlässlich erfüllt werden können".

Auch das schleswig-holsteinische Innenministerium setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, dass mehr Kontrollen stattfinden. Es hat vor eineinhalb Jahren eine Zielvorgabe veröffentlicht: Die Kreise sollen demnach mindestens zehn Prozent der Waffenbesitzer jährlich überprüfen.

Jörg Sibbel, Staatssekretär im Innenministerium, sagt: "Diese Quote ist natürlich ambitioniert. Aber das geht Step by Step." Jetzt hätten die Waffenbehörden der Kreise die Möglichkeit, sich personell besser aufzustellen. "Von daher erwarten wir, dass diese Quote 2024 erfüllt wird."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 12.04.2024 | 06:00 Uhr

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