Mission in Kabul: Der Schattendiplomat aus Brügge
"Deutschland darf die Menschen in Afghanistan nicht verrecken lassen", kritisiert Hans-Hermann Dube. Mehr als zehn Jahre hat der Schleswig-Holsteiner Entwicklungsprojekte am Hindukusch geleitet. Eigentlich schon im Ruhestand, kehrte er jetzt für hochrangige Gespräche mit der Talibanregierung zurück.
Afghanistan ist ein wichtiger Teil seines Lebens. Wohl auch deshalb steht sie so zentral in seinem Wohnzimmer in Brügge bei Bordesholm - die Teekanne, die ihm die Mitarbeitenden zum Abschluss seiner Zeit in Kabul geschenkt haben. Silber, mit einem langen Hals und fein eingravierten Blumen. "Eigentlich trinke ich am liebsten Espresso", sagt Hans-Hermann Dube, "aber in Afghanistan ist das gemeinsame Teetrinken ein Teil der Kultur. Eine Verhandlung beginnt mit einer Tasse Tee, man spricht über die Familie, nähert sich an. Das ist weniger auf Effizienz getrimmt als bei uns. Wer das nicht versteht, kommt in Afghanistan nicht weit."
Mehr als zehn Jahre hat Dube in den 2000er-Jahren in Afghanistan gelebt und gearbeitet. Für die staatliche deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat er in Afghanistan Entwicklungsprojekte geleitet: eine Arbeitsagentur aufgebaut, Trinkwasserprojekte oder Straßenbau organisiert. In der Zeit hat er viel grünen Tee aus schlanken Silberkannen getrunken und die afghanische Kultur intensiv kennengelernt.
Deutschlands Verantwortung, das Land zu unterstützen
Ein Wissen, das ihm jetzt sehr geholfen hat. Erstmals seit sieben Jahren kehrte der 71-Jährige für eine knappe Woche zurück nach Kabul. Als Pensionär und Privatmann - auf eigene Kosten, wie er betont. "Ich nehme zunehmend wahr, dass Afghanistan komplett von der Staatengemeinschaft abgehängt wurde und weiter wird. Ich wollte mir selbst ein Bild von der Lage vor Ort und auch von der Talibanregierung machen. Es geht mir bei meiner Reise darum, der Bundesregierung den Impuls zu geben, dass wir in Afghanistan wieder präsent sein müssen." Er sieht Deutschland in der Verantwortung, Afghanistan zu unterstützen.
Keine direkte Entwicklungszusammenarbeit mehr
Denn mit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 und dem Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan wurde auch die deutsche Botschaft in Afghanistan geschlossen. Eine direkte Entwicklungszusammenarbeit gibt es nicht mehr. Gelder für humanitäre Hilfe gibt die Bundesregierung vor allem an EU und UN. Dabei ist die humanitäre Lage nach Einschätzung von Expertinnen und Experten katastrophal. 23 Millionen Menschen sind nach Einschätzung der Vereinten Nationen von Ernährungshilfe und humanitärer Hilfe abhängig. Vor allem Familien und Kinder leiden Hunger. Mit dem Regime der Taliban ist die Sicherheit im Land gewachsen, militant-islamistische Anschläge sind zurückgegangen. Die Menschenrechtssituation - gerade für Frauen und Mädchen - hat sich jedoch nach Einschätzung von Human Rights Watch eklatant verschlechtert.
Deutsche Interessen: Rohstoffe und Fluchtursachen bekämpfen
"Nur wer im Dialog miteinander steht, kann auch etwas verändern", ist die Haltung von Hans-Hermann Dube. Er traf während seines Besuchs acht Minister der Talibanregierung in Kabul, darunter den Wirtschaftsminister. Alle hätten ihm versichert, sie wollten mehr Zusammenarbeit, das historisch gute Verhältnis zwischen Deutschland und Afghanistan wiederbeleben - trotz der politischen Differenzen. Dube sieht dabei auch deutsche Interessen: Afghanistan ist reich an Rohstoffen, zu denen vor allem China Zugang hat, das sich am Hindukusch derzeit stark einbringt. Dube sieht auch Sicherheitsinteressen im Kampf gegen den Islamischen Staat und darin, die Armut in Afghanistan zu bekämpfen. "Wenn da nichts passiert, werden sich in zwei, drei Jahren weitere Hunderttausende junge Männer auf den Weg machen. Erst nach Pakistan oder in den Iran, aber viele werden auch weiter nach Europa gehen und das ist etwas, das unsere Gesellschaft belastet."
Auch NGOs fordern mehr Kontakt und Hilfe
Mit seinem Ansatz ist der Pensionär Dube nicht allein: Auch deutsche Nichtregierungsorganisationen plädieren für verstärkten Kontakt und mehr Hilfe. "Es tut dringend Not, dass Deutschland wirklich vor Ort ist, eine eigene Repräsentanz hat, sich die Situation anguckt und nicht nur gefiltert durch Dritte wahrnimmt. Nur dann können gute Strategien entwickelt werden und etwas für die Zivilbevölkerung bewirkt werden", sagt Christina Ihle vom Afghanischen Frauenverein mit Sitz in Hamburg, der sich aktiv vor Ort in Afghanistan engagiert. Auch die Welthungerhilfe sieht Deutschland in der Verantwortung: "Wir haben 20 Jahre in diesem Land gekämpft und sind dann sehr schnell rausgegangen. Deutschland muss zumindest die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, die unabhängig vom Talibanregime arbeiten, unterstützen", sagt Matthias Mogge von der Welthungerhilfe.
"Aus der Ferne schimpfen hilft nicht"
Derzeit wird Frauen der Zugang zu Bildung nach der sechsten Klasse in Afghanistan größtenteils verweigert. Dube hat auch das bei seinem Besuch thematisiert und die Geschichte seiner Schwester aus Schleswig-Holstein erzählt: Bis ins hohe Alter leide sie noch heute darunter, aufgrund ihres Geschlechts keinen höheren Schulabschluss absolviert haben zu dürfen. Die Minister hätten sich gerührt gezeigt, so Dube. Ob das aber etwas am rückschrittlichen Weltbild des Talibanregimes ändert, ist fraglich. Dube bleibt aber optimistisch: "Ich bin mir sicher, durch Anwesenheit und Gespräche könnten wir helfen, dass Schulen für höhere Bildung und auch die Universitäten den Mädchen und Frauen wieder geöffnet werden", so Dube. "Das erreichen wir nur vor Ort - immer aus der Ferne schimpfen, was die alles verkehrt machen, hilft nicht."
SPD-Politiker Stegner lobt Dubes Engagement
Nach seiner Rückkehr war Hans-Hermann Dube nur kurz in Brügge. Dann ist er weitergefahren nach Berlin und hat der Bundestagsfraktion der SPD und im Auswärtigen Amt von seinen Eindrücken aus Afghanistan berichtet. "Das hilft, wenn Menschen mit einer Expertise wie Dube den Kontakt in Kabul herstellen - gerade in Zeiten, wo es sonst keine offiziellen Gespräche gibt", sagt SPD-Politiker Ralf Stegner nach dem Gespräch. Stegner leitet den Untersuchungsausschuss zum Truppenabzug aus Afghanistan und kennt Dube noch aus Zeiten im Kieler Regierungsviertel. Dube war Stegners Büroleiter im Bildungs- und Innenministerium - noch bevor Dube nach Afghanistan ging.
Bundesregierung hält sich zurück
Doch Dubes Bemühungen fallen nicht auf fruchtbaren Boden: Die Bundesregierung hält sich zurück. Auf NDR Anfrage erklärt das Auswärtige Amt in Berlin, eine Wiedereröffnung der Botschaft oder eine Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit sei nicht geplant. Der Schattendiplomat aus Schleswig-Holstein will nicht locker lassen - er kann sich auch eine weitere Reise nach Afghanistan vorstellen.