Das Handout der Bundeswehr zeigt einen Militärtransporter C17, der vom Feldlager in Masar-i-Scharif Richtung Deutschland fliegt. Damit endete der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. (Foto vom 29.6.2021) © picture alliance/dpa/Bundeswehr | Torsten Kraatz
Das Handout der Bundeswehr zeigt einen Militärtransporter C17, der vom Feldlager in Masar-i-Scharif Richtung Deutschland fliegt. Damit endete der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. (Foto vom 29.6.2021) © picture alliance/dpa/Bundeswehr | Torsten Kraatz
Das Handout der Bundeswehr zeigt einen Militärtransporter C17, der vom Feldlager in Masar-i-Scharif Richtung Deutschland fliegt. Damit endete der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. (Foto vom 29.6.2021) © picture alliance/dpa/Bundeswehr | Torsten Kraatz
AUDIO: Auftakt 3. Podcast-Staffel: Es war wie ein Blitz (1/5) (34 Min)

Killed in Action: Was ist schiefgelaufen in Afghanistan?

Stand: 16.02.2024 06:00 Uhr

Welche Fehler wurden beim Bundeswehreinsatz in Afghanistan gemacht? Das beschäftigt derzeit nicht nur den Bundestag - auch die dritte Staffel des NDR Info Podcasts Killed in Action geht Versäumnissen nach bei der "Mission ohne Ziel" am Hindukusch, vor allem in der Anfangszeit.

Heute ist Afghanistan wieder ein "Talibanistan" - fest in der Hand jener Steinzeit-Islamisten, die das Land beherrschten, als die internationale Gemeinschaft 2001 mit ihrem Einsatz am Hindukusch begann. Wie konnte das passieren? Wie erlebten die Beteiligten diese Zeit und wie blicken sie darauf zurück?

Die Enquete-Kommission des Bundestages will am 19. Februar ihren Zwischenbericht zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan vorstellen. Und auch die Podcast-Autoren Christoph Heinzle und Kai Küstner haben für die fünf neuen Folgen ein Dutzend Zeitzeugen befragt und Tausende Seiten Akten gewälzt.

Welche Ziele verfolgte der Einsatz in Afghanistan?

Deutschland hatte bereits Erfahrungen mit Auslandseinsätzen gesammelt, etwa auf dem Balkan. Aber keine der Missionen kam dem nahe, was nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gefordert war: Die Bundeswehr zog in ein Kriegsgebiet außerhalb Europas.

Im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ging es zunächst um Solidarität mit den USA und um Bündnistreue. Dann erst um einen Militäreinsatz, der eng mit Entwicklungshilfe verknüpft sein sollte. Doch mit welchen Zielen? Die Taliban zu vernichten, das Land zu einer Demokratie zu entwickeln oder zumindest Menschenrechte durchzusetzen?

Soldat Robert Müller: "Ich bin wütend"

Der Bundeswehr-Soldat Robert Müller im NDR Interview. © Christoph Heinzle/NDR
Bundeswehr-Soldat Robert Müller: Was war der politische Wille?

"Ich bin wirklich wütend. Und viele meiner Einsatzkräfte sind zornig, dass wir von der Politik keine Antwort bekommen. Bis heute nicht", beklagt Bundeswehr-Soldat Robert Müller in der ersten Podcast-Folge. Er war einer der ersten deutschen Soldaten, die damals, Anfang 2002, nach Afghanistan entsandt wurden. Er kehrte heim mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung, seelisch schwer verwundet.

"Ich hätte mir von der Politik wenigstens die 'Cojones' (Spanisch für: Eier) gewünscht zu sagen: Tut uns leid. Entschuldigung, wir haben Scheiße gebaut", sagt er. "Das ist ja ein Vorwurf, den ich noch heute an die Politik mache, dass mir niemand erklärt hat, bevor es losgeht, was ist eigentlich der politische Wille, dort zu sein?"

Der Bundeswehr-Soldat Robert Müller im NDR Interview. © Christoph Heinzle/NDR
AUDIO: 3. Podcast-Staffel: Es war wie ein Blitz (1/5) (34 Min)

Frauenrechtlerin Barakzai: Kein Ziel, kein Plan, keine Strategie

Vorbereitet auf diesen Einsatz war niemand - weder Deutschland, noch die USA noch irgendjemand der Beteiligten. "Es gab kein Ziel, welches Afghanistan sie haben wollten. Es gab keinen Plan, keine Strategie", sagt die afghanische Parlamentarierin und Frauenrechtlerin Shukria Barakzai. Auch Diplomaten bestätigen: Echte Afghanistan-Expertise gab es innerhalb der Bundesregierung damals kaum.

Zudem war die Vorbereitungsphase zwischen dem Beschluss für die Beteiligung an einer Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) im Dezember 2001 bis zum eigentlichen Einsatz extrem kurz. Man habe "sozusagen überhastet Rucksäcke" zusammengerafft und sei ins Einsatzland gegangen, um dort Verantwortung zu tragen, kritisiert rückblickend Carl-Hubertus von Butler, Kommandeur des ersten Bundeswehr-Kontingents, das Anfang 2002 in Kabul ankam.

Fünf Tote - Sprengstoff-Unfall erschüttert ISAF-Truppe

Der Empfang in Afghanistan war dennoch herzlich: Nach dem Sturz der Taliban und den Jahrzehnten des Krieges träumten viele im Land von einer besseren, friedlicheren Zukunft. Doch bereits nach wenigen Wochen erschütterte ein tragischer Unfall die Bundeswehr. Am 6. März detonierte eine alte russische Rakete, als Soldaten versuchten, sie zu entschärfen. Mittendrin: Robert Müller. "Die fünf Kameraden um mich herum sind irgendwie vorbeigeflogen. Und ich weiß noch, dass ich in einem Feuerball war, durch die Luft geschleudert wurde. Und ab dem Moment alles in Schwarz-Weiß gesehen habe. Und so zeitverzögert", erinnert er sich. Die Bilder von damals werden ihn wohl nie mehr loslassen.

Zwei deutsche Soldaten und drei dänische Kameraden sterben bei dem Unfall. Es sind die ersten Toten, die die Bundeswehr in Afghanistan zu beklagen hat.

Weitere Informationen
Mütter stehen mit unterernährten Kinder in einer Schlange für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Noroozi

Afghanistan - Der vergessene Konflikt

Wie geht es den Menschen in Afghanistan? Wie kann man helfen? Was passiert politisch? Die Beiträge von NDR Info über die Situation im Land am Hindukusch. mehr

Fehler bei Warlords und Polizei - zu wenig Koordination

Auch wenn das Schicksal Afghanistans nicht von Anfang an besiegelt war - schon früh passierten erste Fehler: So wurden die mächtigen Warlords - Feinde der Taliban, aber trotzdem "Kriegsfürsten" - nicht entmachtet, sondern mit politischem Einfluss und Geld bedacht: "Man hat halt die Warlords dafür bezahlt, dass sie mit einem selber zusammenarbeiten und sich nicht den Taliban angeschlossen haben", sagt der Ex-Diplomat und Afghanistan-Kenner Thomas Ruttig.

Michael Müller (SPD), Vorsitzender der Enquete-Kommission Afghanistan des Bundestags, gibt im Paul-Löbe-Haus nach der Konstituierung der Enquete-Kommission ein Statement ab. (Foto vom 19.09.2022) © picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm
SPD-Außenpolitiker Michael Müller: keine hinreichende Koordinierung.

Beim Aufbau der afghanischen Polizei versagten die dafür zuständigen Deutschen - die Zahl der dafür vom Innenministerium entsandten Beamten nennt ein Diplomat schlicht "lächerlich". Und die Idee eines "vernetzten" Einsatzes zwischen Sicherheit schaffendem Militär und Entwicklung bringenden Helfern, habe "nicht funktioniert". So sieht es Michael Müller, SPD-Außenpolitiker und Vorsitzender der Enquete-Kommission im Bundestag, im NDR Interview: "Weder hier noch vor Ort haben sich die Ressorts hinreichend koordiniert."

Krisen weltweit - Bundeswehr weiter gefordert

Bei der Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes geht es nicht nur darum, Versäumnisse und Fehleinschätzungen zu identifizieren. Vor allem müssen Lehren für die Zukunft gezogen werden - für Aufbau, Ausbildung und Ausrüstung der Bundeswehr und für Entscheidungsprozesse in der Politik. Angesichts der Zahl weltweiter Krisen dürften Auslandseinsätze weiter eine Aufgabe für die Bundeswehr bleiben: "Es wird von Deutschland, der größten Volkswirtschaft in der Mitte Europas, erwartet, dass wir eine Rolle spielen", sagt SPD-Außenpolitiker Michael Müller. "Umso wichtiger, dass man sich zuvor auch selbstkritisch fragt: Wie waren eigentlich die vergangenen Einsätze?"

Antworten zu geben ist man gerade auch denen schuldig, die in Afghanistan ihr Leben ließen. Oder - wie Robert Müller - dort einen Teil ihrer Seele verloren. Der traumatisierte Soldat wartet bis heute auf Antworten von Seiten der Politik.

Alle Podcast-Folgen sind auch in der ARD-Audiothek abrufbar.

Was bisher geschah: "Deutschland im Krieg" und "Der Fall von Kabul"

Mit der Rekonstruktion der Anfangsjahre ergänzt die dritte Staffel die seit 2019 veröffentlichten Teile der Serie über den Afghanistan-Einsatz. Die erste Staffel "Deutschland im Krieg" hatte sich auf die verlustreichen Jahre um 2010 konzentriert. Die zweite Staffel "Der Fall von Kabul" schilderte die letzten Monate und Wochen vor der Machtübernahme der Taliban 2021.

Markenzeichen der Serie bleibt, dass die Geschichte des Afghanistan-Engagements vor allem aus der Perspektive unmittelbar Beteiligter und Betroffener erzählt wird. Von Soldaten und ihren Angehörigen, von Afghaninnen und Afghanen, von deutschen und internationalen Politikern und Diplomaten.

Beginn des Einsatzes - so berichtete die Tagesschau:

Weitere Informationen
Das zweite Flugzeug von United Airlines, Flug 175 von Boston, steuert auf den noch unversehrten Turm des World Trade Centers in New York zu (Archivfoto vom 11.09.2001) © picture-alliance/ dpa | epa afp Seth Mcallister
3 Min

11. September 2001: Die Terroranschläge in den USA

Al-Kaida-Terroristen entführen vier Flugzeuge, zwei lenken sie in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York, eines ins Pentagon in Washington. Flug UA93 stürzt bei Shanksville ab. 3 Min

Screenshot Tagesschau vom 12. 9. 2001 - Bundeskanzler Gerhard Schröder verliest im Bundestag seine Regierungserklärung zu den Terroranschlägen in den USA. © NDR
8 Min

12. September 2001: Regierungserklärung Bundeskanzler Schröder

Die Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder nach den Terroranschlägen in den USA im Bundestag in voller Länge. 8 Min

Ein Stoßtrupp von Sicherheitskräften der afghanischen Nordallianz rückt am 13.11.2001 auf einem Panzer in die Hauptstadt Kabul ein. © picture-alliance / dpa | epa afp Shah Marai
2 Min

13. November 2001: Kabul fällt an die Nordallianz

Kämpfer der Nordallianz marschieren in der afghanischen Hauptstadt ein. Die Taliban verlassen Kabul Richtung Süden. 2 Min

Blick in den Verhandlungssaal während der Abschlusssitzung der Afghanistan-Konferenz am 05.12.2001 auf dem Petersberg bei Bonn. © picture-alliance / dpa/dpaweb | Gero_Breloer
6 Min

27./28. November/5. Dezember 2001: Afghanistan-Konferenz

Auf dem Petersberg bei Bonn tagt die erste Afghanistan-Konferenz unter Leitung der Vereinten Nationen. Provisorische Regelungen zur Schaffung einer Übergangsverwaltung werden verabschiedet. 6 Min

Die Abgeordneten des Bundestages stimmen am 22.12.2001 im Berliner Reichstag ab. 538 Abgeordnete stimmten in der Sondersitzung des Parlaments für die Entsendung von 1.200 Soldaten nach Afghanistan im Rahmen des UN-Mandats zur internationalen Sicherheitspräsenz. © picture-alliance / ZB | Bernd Settnik
3 Min

22. Dezember 2001: Bundestag billigt Afghanistan-Einsatz

Der Bundestag beschließt mit großer Mehrheit die Beteiligung der Bundeswehr an der Isaf-Friedensmission der Vereinten Nationen in Afghanistan. 3 Min

Screenshot Tagesschau vom 6.3.2002 - Sprengstoffunfall in Kabul, zwei deutsche und drei dänische Soldaten sterben. © NDR
4 Min

6. März 2002: Fünf Tote bei Sprengstoff-Unfall in Kabul

In Kabul sterben beim Entschärfen einer Flugabwehrrakete zwei deutsche und drei dänische Soldaten. Es sind die ersten Toten, die die Bundeswehr in Afghanistan zu beklagen hat. 4 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Killed in Action: Afghanistan - Mission ohne Ziel | 16.02.2024 | 06:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bundeswehr

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau hält ein Smarthphone in die Kamera, auf dem Display steht "#NDRfragt" © PantherMedia Foto: Yuri Arcurs

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Polizisten gehen über den Weihnachtsmarkt in der Kieler Innenstadt. © Axel Heimken/dpa

Anschlag in Magdeburg: Mehr Polizei auf Weihnachtsmärkten im Norden

Als Reaktion auf den Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt sollen die Sicherheitsmaßnahmen auf norddeutschen Märkten überprüft werden. mehr