"Letzte Generation": Urteil nach Klebe-Aktion in Flensburg
Es war die erste Aktion der "Letzten Generation" in Schleswig-Holstein: Fünf Unterstützer hatten im Februar für Chaos im Flensburger Berufsverkehr gesorgt. Das Amtsgericht hat nun den ersten Fall verhandelt.
Er sei zu aufgeregt, um frei zu sprechen, bekannte der 54-jährige Pellwormer, bevor er im Saal seine Erklärung verlas. Am 2. Februar wohnte der Offshore-Windtechniker noch in Stockelsdorf (Kreis Ostholstein). Von dort sei er nach Flensburg gefahren, um sichtbaren Protest zu zeigen. Schon lange sei bekannt, dass die Ressourcen der Welt für unsere Lebensweisen nicht ausreichen würden. Mit Demonstrationen, Petitionen und dem Versuch, vorbildlich zu leben, habe er aber nichts erreicht. Wenn Kollegen zu Terminen flogen, nutzte er den Nachtzug. Seit 13 Jahren fährt er ein kleines E-Auto. Und er führte an, dass alle Grundrechte historisch nur durch zivilen Ungehorsam erkämpft worden seien.
Busspur sollte für Rettungswagen frei bleiben
Polizeibeamte berichteten als Zeugen vom friedlichen Verlauf der Aktion, die allerdings für lange Staus im Feierabendverkehr gesorgt hatte. Drei Personen hatten sich an der Flensburger Hauptverkehrsader "Schiffbrücke" festgeklebt. Zwei Frauen blockierten zudem die Busspur ohne Klebstoff. Das sei Absicht gewesen, sagte der Angeklagte: Im Notfall hätte ein Rettungswagen dort entlang fahren können. Für alle Autofahrer war schnell kein Durchkommen mehr. Nach dem Protokoll der Polizei war die Straße 23 Minuten lang komplett gesperrt. Anschließend wurde der Verkehr mehr als drei Stunden lang über die Busspur geführt. So lange dauerte es, bis Spezialkräfte aus Eutin mit einem geeigneten Lösungsmittel die Protestierenden von der Fahrbahn entfernen konnten.
Protest nicht geeignet, den Klimawandel zu bekämpfen
Die Richterin bestätigte den Vorwurf der Nötigung. Zwei Grundrechte gelte es abzuwägen: Die Versammlungs- und die Fortbewegungsfreiheit. Ziviler Ungehorsam sei aber nur gerechtfertigt, wenn die Demokratie in Gefahr sei. Das konnte die Richterin nicht erkennen. Der Angeklagte verfolgte diese Ausführungen mit Kopfschütteln. Der Protest sei nicht geeignet, den Klimawandel zu bekämpfen, so die Richterin. Schließlich seien auch Verkehrsteilnehmer in E-Autos und Bussen am Fortkommen gehindert worden.
Kein Widerstand gegen die Staatsgewalt
Der Staatsanwalt forderte eine Strafe von 1.950 Euro. Weil sich die Protestierenden seiner Einschätzung nach erst festgeklebt haben, als die Polizei erschien, habe Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgelegen. Dem konnte die Richterin aber nicht folgen. Eine Jura-Studentin unterstützte den Angeklagten als Laienverteidigerin. Sie forderte einen Freispruch und verwies auf das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz.
"Wegtragegebühr" ist nicht vorgesehen
Zu dem Prozess am Amtsgericht Flensburg war es gekommen, weil der 54-Jährige gegen einen schriftlich zugestellten Strafbefehl Einspruch eingelegt hatte. Zu den 900 Euro kommen nun noch Gerichtskosten von 155 Euro sowie Fahrgeld für die Zeugen hinzu. Die Kosten des Polizeieinsatzes muss der Angeklagte nicht zahlen. In der Vollzugs‐ und Vollstreckungskostenverordnung sei keine Wegtragegebühr oder ähnliches vorgesehen, teilte die Landespolizei auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein mit.
Eine Aktivistin akzeptierte den Strafbefehl
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte kann noch Revision einlegen. Drei weiteren Beteiligten aus dem Flensburger Raum, Kiel und Hamburg steht der Prozess noch bevor. Sie hatten ebenfalls Einspruch erhoben. Eine Frau hatte von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht und war bereits im Vorfeld ohne Gerichtsverhandlung rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
"Letzte Generation": 19 Aktionen in SH
Die Aktion in Flensburg war die erste Aktion dieser Art in Schleswig-Holstein der "Letzten Generation". Mittlerweile gehen 19 Klimaprotest-Aktionen im Land auf das Konto der Gruppe. Viel bundesweite Aufmerksamkeit bekamen zuletzt Farb-Aktionen auf Sylt. Am Donnerstagnachmittag zog eine kleine Gruppe der "Letzten Generation" mit einer unangemeldeten Demonstration durch das Flensburger Zentrum. Hierbei kam es erneut Staus im Berufsverkehr.