Prozessauftakt in Kiel: Prostituierte berichtet von Gewaltexzess
Ein Freier soll die Frau schwer misshandelt haben. Sie wurde lebensgefährlich verletzt und verlor ihr ungeborenes Kind. Vor dem Landgericht Kiel schilderte sie den schweren Angriff.
Der Tag, der ihr Leben für immer verändern wird, beginnt kalt. Es ist der 28. Februar 2018. Daniela K. (Name geändert) steht auf dem Parkplatz entlang der B206 und friert - so schildert sie es selbst. Autos und Lastwagen dröhnen an ihr vorbei auf der Bundesstraße nahe Bark (Kreis Segeberg), aber niemand hält für sie an. Kein Freier, durch den sie fünfzig, vielleicht hundert Euro verdienen könnte.
Daniela K. kommt aus Bulgarien und arbeitet als Prostituierte. Irgendwann fuhr - so ihre Aussage - ein Mann mit seinem Auto auf den Parkplatz. Ein blaues Auto, das wisse sie noch genau. Der Mann sei freundlich und zugewandt gewesen, ließ sie ins Auto einsteigen, sodass sie sich aufwärmen konnte. Er fuhr sie zur nächsten Tankstelle, wo sie einen Energy-Drink kaufte. Kurz danach hätten die beiden in einem nahegelegenen Waldstück bezahlten Sex gehabt.
"Ich dachte, dass ich gleich sterben werde"
Was danach passiert sei, traumatisiere die Frau bis heute. Sie erzählt: Der Mann habe sie unvermittelt gepackt, gewürgt, gegen ihren Kopf geschlagen und mit einem Schraubenzieher mehrfach auf ihren Rücken und ihre linke Seite eingestochen. "Er schaute mir direkt in die Augen. Er wollte mich umbringen", sagt sie. Sieben Stichverletzungen werden später ärztlich dokumentiert. "Mir blieb die Luft weg. Ich dachte, dass ich gleich sterben werde."
Sie, so sagt sie, rang mit dem Mann. Es sei ihr gelungen, den Schraubenzieher zu fassen zu bekommen. Erst dann machte er die Autotür auf und ließ sie gehen. Daniela K. schleppte sich zur Straße, wo ein Autofahrer sie fand und mitnahm. Ihr linker Lungenflügel war durch die Stichverletzungen kollabiert, sie konnte kaum atmen. Dank zweier Notoperationen im Krankenhaus überlebte sie. Ihr ungeborenes Kind schaffte es nicht.
Angeklagter kann sich nicht erinnern
Während Daniela K. all das erzählt, sitzt sie auf einem Holzstuhl im Sitzungssaal 126 des Landgerichts Kiel. Neben ihr hat ein Dolmetscher Platz genommen, er übersetzt, was sie auf Bulgarisch aussagt. Immer wieder kommen ihr die Tränen. Sie windet sich, wenn es darum geht, Details jenes Tages nachzuerzählen. Aber sie will ihren Teil dazu beitragen, dass dieser Prozess in ihrem Sinne ausgeht. "Ich möchte, dass er seine gerechte Strafe bekommt."
Er. Das ist Markus B. (Name geändert), 35 Jahre alt, aus Lübeck. Er ist in dem Verfahren angeklagt. B. soll der mutmaßliche Täter sein, der die Prostituierte angegriffen haben soll. Zu Beginn der Verhandlung lässt er über seinen Verteidiger eine Erklärung verlesen. Darin heißt es: Er könne sich nicht genau an den besagten Tag erinnern. Aber: "Ich habe keine solche Tat begangen."
Polizei tappte jahrelang im Dunkeln
Er sei zwar öfter zu Prostituierten auf dem Straßenstrich bei Bark gegangen und sei vermutlich auch Kunde von Daniela K. gewesen. In seiner Erklärung heißt es allerdings auch: "Ich bin kein gewalttätiger Mensch". Nachfragen des Gerichts will der Angeklagte nicht beantworten.
Dass dem Lübecker an diesem Tag der Prozess gemacht wird, ist auf Daniela K.s privaten Einsatz zurückzuführen. Jahrelang tappte die Polizei im Dunkeln. Bis die Bulgarin irgendwann auf dem Parkplatz einen Mann wiedererkannte, der sie an den Täter von damals erinnerte: Markus B.
Sie erzählt, dass sie sich erneut auf Sex mit dem Mann einließ, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um dieselbe Person handele. Dieses Mal in der Nähe des Parkplatzes, um im Zweifelsfall schnell Hilfe holen zu können. Danach ist sie sich sicher: Es sei der Angreifer von damals. "Dieser Blick. Ich habe seinen Blick wiedererkannt", beteuert sie.
Prostitution als "Selbstbedienungsladen für Gewalttäter"
In der Folge wird B. angeklagt. Im Juni 2024 kommt es zum Prozess vor dem Amtsgericht Bad Segeberg (Kreis Segeberg) wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Richter dort entscheidet aber, den Fall an das Landgericht weiterzugeben. Denn es gehe womöglich um einen versuchten Totschlag, so die Begründung. Daher werden die Geschehnisse nun in Kiel verhandelt.
Die Lübecker Anwältin Nejla Celik, die Daniela K. in dem Verfahren vertritt, geht in ihren Forderungen sogar einen Schritt weiter: Sie will erreichen, dass der Angeklagte wegen versuchten Mordes verurteilt wird. Prostitution sei "wie ein Selbstbedienungsladen für Gewalttäter". Es gehe darum, eine "empfindlich hohe Strafe" zu verhängen. Die Tat habe ihre Mandantin zutiefst verstört.
"Der Mann, der mir alles genommen hat"
Daniela K. erklärt an diesem Tag vor Gericht immer wieder, sie leide bis heute unter dem Angriff. Sie habe Panikattacken, Depressionen, Schlafstörungen, Schmerzen. Dem Angeklagten will sie nicht ins Gesicht schauen. "Das ist der Mann, der mir alles genommen hat", sagt sie. Es gehe ihr bei dem Prozess auch darum, dass er keine anderen Frauen mehr verletzen könne.
Um zu klären, was vor sieben Jahren tatsächlich passiert ist, hat die Kammer mehrere Verhandlungstage angesetzt und weitere Zeugen geladen. Sie sollen dazu beitragen, die Umstände rund um den Angriff bei Bark aufzuklären. Das Urteil könnte Ende Februar fallen.