Krankenpflegeschüler Berri: Von Gemeinschaft, Prüfung und Nebenjob
In den letzten Monaten seiner Ausbildung sieht für Mohammad Berri eigentlich alles sehr gut aus: Er macht seine Arbeit gut, ist beliebt und ist auf dem Weg, einen guten Abschluss zu machen. Private Probleme machen es ihm aber nicht leicht.
Ein durchdringendes Piepen schallt durch einen Flur im Klinikum Itzehoe. Mohammad Berri greift im Bereitschaftsraum zum Stethoskop und geht in das Patientenzimmer nebenan. Frau Schulze ist seit einer Stunde aus dem OP und klagt über Schmerzen. Ruhig und bedacht desinfiziert sich der Krankenpflegeschüler die Hände und tritt an das Bett der Patientin. Sie ist aus Plastik und hat einen Lautsprecher im Kopf. "Frau Schulze ist unser Simulator", erklärt Simulationstrainerin Tanja Baier. "Wir können an der Puppe Vitalfunktionen einstellen und ablesen. Ich habe hier im Technikraum ein Mikrofon, über das ich in ihre Rolle schlüpfen kann." Der Simulationsraum in der Krankenpflegeschule auf dem Gelände des Klinikums Itzehoe gibt den Auszubildenden die Möglichkeit, Situationen im Krankenzimmer durchzuspielen und dabei Fehler zu machen, die hier ohne Konsequenzen bleiben. "Wir sollen sogar Fehler machen, denn dann können wir in der Nachbesprechung mit unseren Lehrern das analysieren und daraus lernen", sagt Mohammad Berri.
Corona bringt Ausbildungsjahr durcheinander
Das Ausbildungsjahr war für den 23-Jährigen und seine Mitschüler nicht einfach. Eigentlich sollten sie sich mit Praxisstationen und theoretischem Unterricht auf ihre Abschlussprüfung vorbereiten. Doch dann kam im Frühjahr die Corona-Pandemie. "Das hat alles verändert. Wir mussten den Blockunterricht unterbrechen und erst mal eine Woche in den Urlaub gehen", sagt Mohammad Berri. "Jetzt sind wir aber wieder auf Station und auch in der Schule. Aber nie alle gleichzeitig, viele nehmen über Zoom am Unterricht teil." Zoom ist eine Software für Videokonferenzen, mit denen auch viele Schulen ihren Online-Unterricht gestalten. "Wir mussten ja erst mal ein Hygienekonzept für den Unterricht entwickeln und uns auf die neue Situation einstellen", erklärt Ausbilder Benjamin Jahn. "Dieser Online-Unterricht ist eine Herausforderung für uns alle - Lehrer und Schüler -, weil der Kontakt zueinander im Präsenzunterricht ganz anders ist. Man nimmt viel mehr wahr", meint Mohammad Berris Ausbilder. Trotzdem sei sein Eindruck, dass das für alle gut funktioniert hat.
Klassengemeinschaft funktioniert sehr gut
Das liegt nach seinen Worten auch an der guten Gemeinschaft in der Ausbildungsklasse. "Wer Probleme hat, bekommt ganz selbstverständlich Hilfestellung von denen, die weiterhelfen können", schwärmt der Klassenlehrer. Das betrifft aber nicht nur schulische Probleme, sondern auch das Privatleben. Mohammad Berris Eltern leben noch immer in Syrien. Anfang dieses Jahres mussten sie aus ihrem Heimatort an die türkische Grenze fliehen, weil das Assad-Regime den Ort angegriffen hat. "Mein Vater hat auf der Flucht einen Schlaganfall gehabt und brauchte zwei Stents", erzählt Mohammad Berri mit fester Stimme. "Das ist dort nicht so wie hier, dass es viele Krankenhäuser gibt. Er musste in eine Privatklinik - und die machen gar nichts, bevor man sie nicht bezahlt hat. Das waren mehrere Tausend Euro. Das Geld mussten mein Bruder und ich irgendwie auftreiben."
Nebenjob und Gehaltsvorschuss vom Arbeitgeber
"Meine Eltern brauchten früher nie Unterstützung von mir", sagt Mohammad Berri. Aber sie hätten auf der Flucht alles zurücklassen müssen. "Deswegen habe ich in der Schule Bescheid gesagt, dass ich dringend Geld brauche. Ich habe einen Vorschuss bekommen und jeden Monat wird mir etwas vom Gehalt abgezogen, um das zurückzuzahlen." Weil die Abzüge so groß sind, nahm er einen Nebenjob bei einem ambulanten Pflegedienst an, um selbst über die Runden zu kommen. Doch dann schlug das Schicksal erneut zu: "Mein Vater hatte noch einen Schlaganfall und brauchte einen Bypass", erzählt Mohammad Berri.
Einen weiteren Nebenjob genehmigte ihm das Klinikum nicht, aber er bekommt über die Kirche einen Privatkredit. "Ich wusste nicht, wie ich das zurückzahlen soll, das war zu viel für mich", berichtet Mohammad Berri. Also vertraut er sich einer Freundin in seiner Ausbildungsklasse an. "Ich hab das schon gemerkt, das irgendwas war", erzählt Klassensprecherin Louisa Kruse. "Ich fand das sehr bewegend, weil er das ja auch so lange versucht hat, es selber zu stemmen. Aber ich bin auch sehr froh, dass er jetzt um Hilfe gebeten hat, denn das schafft einer allein ja gar nicht."
Klassenkameraden starten Spendenaktion
Schnell ist klar, dass die ganze Klasse eingebunden werden soll. "Wir haben eine Besprechung gemacht. Ich habe dann den anderen alles erzählt", beschreibt Mohammad Berri das damalige Treffen. Das Verständnis sei sehr groß gewesen. "Es ist ja selbstverständlich, dass wir da alle unterstützen", nickt Klassensprecher Bizahn Seddigh. "Deswegen haben wir uns mit unserem Lehrer Herrn Jahn, der Ausbildungsleitung und der Pressesprecherin des Klinikums zusammengesetzt und überlegt, was wir tun können." Inzwischen gibt es ein Spendenkonto, auf das jeder einzahlen kann, der Mohammad Berri dabei unterstützen will, den Kredit für die Herz-OP seines Vaters zurückzuzahlen. Die Pressestelle des Klinikums hilft mit den Kontakten zu den örtlichen Medien und bei der Formulierung einer Pressemitteilung. So wollen seine Kollegen und Mitschüler ein wenig Last von seinen Schultern nehmen, damit er sich wieder mehr auf die Vorbereitung auf die Abschlussprüfung konzentrieren kann.
Ohne Hilfe geht es nicht
"Ich habe anfangs gedacht, dass ich das nicht schaffen kann", sagt Mohammad Berri. "Meine Ausbildung, der Nebenjob, meine Familie, es bleibt nicht viel Zeit für etwas anderes. Aber wenn ich sehe, wie viele Leute hinter mir stehen, dann hilft mir das sehr. Ich weiß nicht, was ohne Hilfe passiert wäre." Trotz dieser schweren Situation will der 23-Jährige seine Ausbildung gut abschließen. Mit der Hilfe seiner Mitschüler hat er dafür auch den Kopf frei genug. Sein Klassenlehrer Benjamin Jahn ist überzeugt, dass er das schaffen kann: "Die Ausbildung läuft wunderbar für ihn, er ist super beliebt, ist fester Bestandteil der Kursgemeinschaft und ich sehe im Bezug auf den Lernstoff keine Probleme, dass er das auch schaffen wird."
Man merke ihm aber die Belastung durch seine private Situation an. Die Klasse zeige hier aber ihre gute Gemeinschaft und unterstütze überall wo es geht. "Das finde ich schon beachtenswert, zumal in der Klasse so viele unterschiedliche Menschen und Kulturen zusammenkommen. Das spielt bei denen aber gar keine Rolle. Das zu erleben, ist ein wunderbares Gefühl", sagt der Klassenlehrer.
Fünf Autoren begleiten fünf Auszubildende in fünf Branchen - über Wochen, Monate und Jahre: In einer langfristig angelegten Serie berichtet NDR Schleswig-Holstein über junge Menschen, die ins Berufsleben starten. Nach den ersten zwei Jahren ziehen die Auszubildenden im fünften Teil der Serie Bilanz.