Azubi-Serie: Erste Schritte im weißen Kittel
Fünf Autoren begleiten fünf Auszubildende in fünf Branchen - über Wochen, Monate und Jahre: In einer langfristig angelegten Serie berichtet NDR Schleswig-Holstein über junge Menschen, die ins Berufsleben starten. Wie liefen die ersten Monate der Ausbildung? War die Berufswahl die richtige oder wird die Entscheidung bereut? Stellt sich Ernüchterung ein oder wächst die Begeisterung? Nach dem ersten halben Jahr ziehen die Auszubildenden im zweiten Teil der Serie eine erste Zwischenbilanz.
von Kai Salander
Wie schnell schlägt der Puls des Patienten am frühen Morgen? Das soll Mohammad Berri nun prüfen. Der angehende Krankenpfleger hat vor zwei Monaten den ersten praktischen Teil seiner Ausbildung am Klinikum in Itzehoe begonnen. Um 6 Uhr morgens besucht er zunächst die Krankenzimmer der Stationen 8 und 9 der Inneren Medizin. In den Betten liegen Menschen mit Magen-Darm-Erkrankungen oder Atemschwierigkeiten, einige müssen von Maschinen beatmet werden. Berri geht im weißen Klinik-Kittel über den Krankenhaus-Flur. Pflichtbewusst trägt der Auszubildende seine Aufgaben vor: Er bereite die Patienten auf das anstehende Frühstück und die darauf folgende Visite vor. "Den Menschen, die sich nicht selbstständig umziehen oder frisch machen können, helfen wir dabei", erklärt der 21-Jährige und fügt hinzu: "Jeden Morgen kontrollieren wir auch ihre Vitalzeichen: Atmung, Körpertemperatur, Herzschlag."
Weniger enger Kontakt mit Patienten im Krankenhaus
Zunächst durfte Berri nur examinierten Pflegekräften über die Schulter schauen. Inzwischen hat er seine Begabung bewiesen und darf einige Untersuchungen selbstständig erledigen. Diese Morgen-Routine kennt Berri bereits aus seinem vorangegangenen Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) als Altenpfleger. Seit dem Ausbildungsstart im vergangenen Oktober muss er allerdings früher aufstehen. Zudem ist der Kontakt zu den Patienten im Klinikum nicht so eng wie zu den Senioren im Altenheim. Die Rentner konnte Berri über Monate betreuen. Die Genesenen verlassen die Klinik nach wenigen Wochen, das sorgt für distanziertere Verhältnisse. "Das bringt der Beruf mit sich, ich hatte das aber auch erwartet", sagt der angehende Krankenpfleger.
Tausende Lehrstunden und viele schwierige Vokabeln
Auf dem Weg zu seinem Traumjob muss Berri in den kommenden drei Ausbildungsjahren 2.100 Theoriestunden und 2.500 Praxisstunden absolvieren. Dazu muss er täglich Bücher wälzen und büffeln. Die Körperpflege sowie die Rechte und Pflichten der Pfleger gehören zum theoretischen Teil des Fächerkanons. Besonders herausfordernd sei das Fach Anatomie mit seinen schwierigen Vokabeln. "Arteria carotis und Arteria ulnaris sind Arterien die direkt zum Herzen führen. Ich habe mir die Begriffe auf Karteikarten geschrieben, auf der einen Seite deutsch auf der anderen lateinisch", erklärt Berri. Sogar die arabischen Übersetzungen wollte der syrische Flüchtling lernen, musste allerdings abbrechen - das war dann doch zu viel Arbeit. Am liebsten paukt er jedoch so wie einst in seiner kriegszerrütteten Heimatstadt Damaskus: Ohne Notizen studiert er die Lehrbuchseiten, bis er sie auswendig kennt.
Fleiß und Freundlichkeit zahlt sich aus
Zusätzliche Hilfe bekommt der junge Pfleger in Fragerunden. Schüler aus höheren Ausbildungsstufen erklären dem jungen Jahrgang, wie sie sich den Theoriestoff einprägen können. Zudem bietet das Klinikum Deutschkurse für Mitarbeiter mit Migrationshintergrund an. Die fünf Teilnehmer aus Syrien, Afghanistan sowie dem Iran üben die korrekte Sprache in nachgestellten Situationen des Klinik-Alltags - wie Gespräche am Krankenbett oder die Dienstübergabe an Kollegen. Die Fleißarbeit hat sich nach einem halben Jahr ausgezahlt. Berri berichtet zufriedenen, er habe die Probezeitprüfung vor Kurzem bestanden. "Wir hatten vier Prüfungen, drei schriftlich, eine mündlich. Ich habe in allen Prüfungen gute Noten", freut er sich. Vor allem im Umgang mit den Patienten kann Berri punkten, während seiner Visite lobt Stationsleiterin Claudia Rak: "Er geht offen auf die Patienten zu und das bereits in diesem frühen Stadium der Ausbildung. Das ist eine seiner Stärken."
Zuhören und lächeln - damit kommt Berri gut an
Leicht verlegen und zugleich stolz bedankt er sich bei seiner Chefin. Sein Erfolgsgeheimnis? "Vielleicht, dass ich manchmal ein bisschen Lächle", vermutet der junge Syrer bescheiden. Er betritt das nächste Krankenzimmer. Gelassen grüßt er eine bettlägerige Frau, gibt ihr zu verstehen, es sei nun an der Zeit ihren Blutdruck zu messen. Berri redet dabei etwas langsamer, fast schon vorsichtig, als ob er die Patientin nicht stören möchte. Wann immer sie etwas sagt, hört er genau hin. Die Dame sitzt bereits mit einem Lächeln auf der Bettkante und streckt ihren Arm aus, offensichtlich zufrieden mit ihrem Pfleger. Berri legt die grüne Manschette um ihren Oberarm - Puls und Blutdruck liegen im Normalbereich. Als er das Zimmer verlässt, schlägt sein eigenes Herz etwas höher.
Neue Erfahrungen: Plattdeutsch und "Mäuse melken"
Klassenkameradin Katharina Willy steht auf dem Flur vor dem Stationsbüro. Berri und Willy gehen oft gemeinsam Mittagessen, die 18-Jährige hat ihrem syrischen Mitschüler schon einige neue Redewendungen beigebracht. "Von mir kennt er das Sprichwort vom 'Mäuse melken'", lacht sie. Entgegen seiner ersten Befürchtung weiß der Arabisch-Muttersprachler nun, dass von Mini-Melkschemeln unter Nagetieren dabei nicht die Rede ist. Für eine weitere linguistische Überraschung sorgt der Nachwuchspfleger während eines Spaziergangs über den Klinikparkplatz. "Wi geiht di dat?" Plötzlich grüßt er auf Plattdeutsch, gefärbt mit arabischem Akzent. "Good muss man dann sagen", erklärt der junge Syrer, "das habe ich von meinen Kollegen gelernt." Allerdings wolle er sich nicht mit den Patienten auf Platt unterhalten. Berri befürchtet, er könne ihre Antworten nicht verstehen.
Lernen statt lieben
Der Theorie-Unterricht dauert von 8 bis 15 Uhr, inklusive zwei Stunden Pause im Aufenthaltsraum. Und danach? "Ich mache noch immer regelmäßig Sport. Nicht direkt nach der Arbeit, da fehlt mir die Kraft", sagt Berri. "Nach zwei, drei Stunden Pause gehe ich zum Fitnesstraining." Auch Boxen will er bald probieren, wäre da nicht die lange Heimfahrt mit dem Bus. Sie kostet ihn viel Freizeit. Deshalb will Berri sich bald ein Auto kaufen, er sucht mithilfe eines Kollegen erschwingliche Gebrauchtwagen. An einer Beziehung ist er dagegen überhaupt nicht interessiert. "Viele Fragen mich, ob ich eine Freundin habe. Eine Liebesbeziehung wäre jetzt allerdings schwierig für mich, dann könnte ich mich nicht mehr auf meine Ausbildung konzentrieren."