Aussortierter Hausrat steht zum Mitnehmen an einer Straße. © IMAGO / teutopress

Kolumne: Wie viel Haben brauchen wir zum Sein?

Stand: 30.09.2023 06:00 Uhr

Wir alle sind umgeben von Dingen, die wir nicht brauchen. Unsere Wohnungen und Häuser sind zum Bersten gefüllt, und trotzdem wollen wir mehr. Unsere Kolumnistin fragt sich, warum wir mit so viel Liebe Gegenstände anhäufen.

von Stella Kennedy

Es fing an mit der Nachricht einer Kollegin: "Hast du schon mal übers "sich-von-Dingen-trennen" geschrieben?", fragte sie mich. "Zum Beispiel das Abiballkleid inklusive der Schuhe von vor 15 Jahren im Rot-Kreuz-Laden abgeben und sich fühlen, als würde man Hochverrat begehen?" Mein erster Gedanke: Und wie ich das Gefühl kenne. Mein Zweiter: Und wie ich es hasse! Es gibt nämlich kaum etwas Unbefriedigenderes als zu Hause mal so richtig (!) ausmisten zu wollen, nur um alte Gegenstände doch wieder zurück in ihre verstaubten Boxen zu legen, nach dem Motto: "Könnte ja irgendwann wieder wichtig sein". Oder aber, sich danach schlecht zu fühlen. Ich bin überzeugt: Nicht nur besitzen die meisten von uns viel zu viel. Sondern die Gegenstände besitzen uns.

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Je mehr man besitzt, umso weniger ist man zufrieden

Natürlich ist Konsumkritik auf vielen Ebenen hochaktuell und relevant. Ich finde allerdings, dass wir gerade hier auf ganz privater Ebene, in unseren eigenen vier Wänden, mit etwas wirklich Paradoxem konfrontiert werden. Einerseits wissen wir genau, dass "weniger mehr" ist. Dass die Loblieder auf den Minimalismus richtig sind. Das die japanische Ordnungsberaterin und Bestseller-Autorin Marie Kondōauf jeden Fall recht hat.

Andererseits wäre es doch schlichtweg dumm, diese alte Technikbox mit Handys, Aufladekabeln und meiner alten Digi-Cam jetzt einfach wegzugeben, oder?! Wetten, ich brauche sie genau in dem Moment, an dem ich sie aussortiert habe, wieder? Wollte ich nicht schon längst mal wieder auf ein analoges Handy switchen, um digital zu detoxen? So lüge ich mich selbst weiter an und der Haufen an Krempel, den ich eigentlich-nicht- oder-doch-vielleicht-irgendwann-einmal brauche, wird höher und höher. In meinem Fall: Sechs Kisten auf meinem Balkon, die ich einfach nicht loswerden kann. Die hässliche Kehrseite unseres Wohlstandes, die perversen Auswüchse unserer unstillbaren Völlerei. Ich bin schuldig.

Die ewige Frage nach dem wohin

Das Verrückte: Es gibt mittlerweile Menschen, die mieten sich extra Räume, oder auch ganze Wohnungen, um dort die Gegenstände zu lagern, die nicht mehr ins Zuhause passen. Die haben nicht nur mehr als sechs Kisten, die haben ein Problem. Und wie immer gibt es auch welche, die von diesem ganzen Irrsinn profitieren. Nein, nicht unsere Erde, deren Ressourcen wir bis zum Äußersten plündern. Nein, nicht die Länder, an die wir unseren Müll verschiffen. Nein, nicht unser Klima, in dessen Atmosphäre wir den Rauch des verbrannten Plunders schießen. Nein, wer von der Frage nach dem wohin profitiert, sind natürlich unter anderem die Unternehmen, die für Geld Stauraum anbieten. Das Konzept nennt sich "Self Storage". Der Slogan eines dieser Unternehmen: "Wie ein Hotel, aber für Sachen!". Herzlichen Glückwunsch.

Kann das weg oder kann das weg?

Angeblich kam ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland vor 100 Jahren noch mit rund 180 Gegenständen aus, während wir laut statistischem Bundesamt nun mehr als 10.000 Gegenstände besitzen. Das ist ziemlich verrückt. Wie aber den Spagat schaffen zwischen: Wenn ich das Abiball-Kleid abgebe, begehe ich an ihm Hochverrat - und der erleichterten Befreiung von unnötigem Ballast? Sich Hilfe holen. Ich habe mit einer Freundin einen Ausmist-Tag organisiert. Der geht so: Ich gehe einen Kaffee trinken und sie wirft meine alten Sachen weg. Danach mache ich das bei ihr. Kein Zögern, einfach Augen zu und durch. Punkt.

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