Kolumne: Im Norden sein, Glück allein
Die Menschen in Schleswig-Holstein sind die glücklichsten in Deutschland. Das ist zwar schön - uns selbst allerdings schietegal, glaubt unsere Kolumnistin und mutmaßt: Genau das ist der Grund für unsere Zufriedenheit.
Ich habe wirklich schon an vielen Orten in meinem Leben gelebt, knapp zehn Jahre in Berlin, ein gutes Jahr in Edinburgh in Schottland, am Bodensee, ein paar Monate in Südafrika - aber ganz ehrlich: "Ob Ost, ob West - to Hus is best." Nicht nur ich finde das so, wieder mal hat unser Bundesland in der jährlichen Umfrage der Süddeutsche Klassenlotterie (SKL) den ersten Platz gemacht. Und das, obwohl uns im Gegensatz zu den Bayern zum Beispiel, die in den Glücksumfragen den zweiten Platz belegen, so vereinende, lokalpatriotische Dinge wie Trachten, starke religiöse Verwurzelung oder Volksfeste wie das Oktoberfest fehlen.
Leben und leben lassen
Das soll nicht heißen, dass Windjacke plus Segelschuhe nicht auch eine Art Tracht wären, unsere Fischbrötchenliebe keine Religion oder die Kieler Woche kein Volksfest, aber na ja, Sie wissen schon. Das kollektiv gefühlte Glück bei uns im Norden muss also an etwas anderem liegen...
Meine These: Ganz viel Zufriedenheit ziehen wir aus unserer Unaufgeregtheit. Das Motto: Leben und leben lassen. Bis ich zehn war lebte ich mitten auf dem Land auf der Halbinsel Schwansen. Unser kleiner Ort bestand aus zwei Häusern und einem Hof, auf den Feldern Raps oder Kühe und alle paar Stunden fuhr mal ein Trecker vorbei. Eine typische Unterhaltung unter Nachbarn: "Moin." "Na." "Löppt?" "Jo, muss ja, ne. Selbst?" "Jo. Auch."
Geschichtenerzähler sind hier "Schnacker"
Und ich kann nicht anders, als eine tiefe Liebe für diese Art der treuherzigen Kommunikations-, sagen wir mal, -essenz zu empfinden. Weniger ist mehr - oder auch, warum nicht gleich auf den Punkt kommen? Geschichtenerzähler sind hier "Schnacker" und wer zu weit ausholt, kriegt ein "Sabbel nich!" entgegengeschleudert.
Man ist nordisch herb, oder besser noch: abgeklärt. Statt nach links und rechts zu schauen, wer das größere, bessere Haus hat, das tollere Auto, wird mit den Schultern gezuckt. Großes Gerede und Lästerei mit einem Achselzucken im Keim erstickt: "Do, wat du wullt, de Lüüd snackt doch!" Und dann ist da natürlich noch das Meer...
Wellen tragen Altes fort, spülen Neues an den Strand
Selbstverständlich dürfen wir das Meer, was sich von beiden Seiten an unsere Küsten schmiegt, als wichtigen Glücksfaktor nicht vergessen. So kitschig es auch klingt: Der Wind am Meer pustet den Kopf frei, Wellen tragen Altes fort, spülen Neues an den Strand. Und die beste Medizin gegen Engstirnigkeit? Der Blick auf die Weite des Horizonts.
Diesen heilenden Effekt spüren übrigens nicht nur wir Einheimischen, laut einer jüngsten Marktforschungsstudie schätzen viele deutsche Urlauber Schleswig-Holstein als Erholungsland sehr. Dass die jetzt im Sommer in Horden kommen und auf E-Bikes unsere heißgeliebte Ruhe zerstören? Joa ne, wat willst moken? Auch bei denen kommt der Wind immer von vorn. Und Gegenwind formt den Charakter - is' klar.