Kieler Forscher sammeln Daten zur Eisschmelze in der Antarktis

Stand: 22.05.2024 16:17 Uhr

Die Ostantarktis liegt weit entfernt von der Zivilisation. Deshalb ist sie auch kaum erforscht. Im vergangenen Winter hat Dr. Marcus Gutjahr vom GEOMAR-Helmholtz-Zentrum in Kiel dort eine Expedition geleitet.

Wie verändern sich die Eisflächen in der Ostantarktis? Und vor allem wie schnell? Das versuchen Forscher unter anderem aus Kiel bei den EASI-Expeditionen mit dem Forschungsschiff POLARSTERN herauszufinden. EASI steht dabei für die Erforschung Ostantarktischer Eisschild-Instabilitäten. Ergebnisse gibt es zwar noch nicht, aber Dr. Marcus Gutjahr hat mit NDR Schleswig-Holstein über erste Erkenntnisse und den Zweck der Forschungsreise gesprochen.

Was haben Sie dort vor Ort genau gemacht?

Dr. Marcus Gutjahr: Wir hatten eine Vielzahl an Stationen in der Prydz-Bucht, manche in der Nähe der australischen Davis-Forschungsstation. Dort haben wir unter anderem Wasserproben entnommen. Die Wassertiefe auf dem antarktischen Schelf liegt zwischen knapp 1.500 und 400 Metern, je nach Lage. In mehreren Teilbereichen haben wir den Untergrund kartiert. Wir haben also geschaut, wie der Meeresboden beschaffen ist. Dann haben wir in der Wassersäule in regelmäßigen vertikalen Abständen Wasserproben genommen. Wir können jetzt anhand verschiedener Messung herausfinden, wo das Wasser herkommt, denn Wasser zirkuliert ja. Im Ozean ist Wasser immer in Bewegung.

Im offenenen Südozean ist das Wasser drei, vier, fünf Kilometer tief. Dort zirkuliert das Wasser natürlich anders als am Rand der Antarktis mit einer Wassertiefe von oft nur ein paar hundert Metern Tiefe. Und das Wasser, das da zirkuliert, war natürlich schon an anderen Stellen. Es gibt entlang der antarktischen Küste einen Strom. Dieser kommt aus dem Osten angeschossen und bringt Spurenmetalle aus anderen Teilen der Antarktis mit, deren Herkunft wir bestimmen können.

 

Man beobachtet Absinkprozesse des Wassers innerhalb der Prydz-Bucht, und das zirkuliert dann innerhalb der Bucht oder sinkt über die Schelfkante in die Tiefsee weiter nördlich. In der Prydz-Bucht wird neues antarktisches Bodenwasser gebildet und was wir uns anschauen, sind die Vorläuferwassermassen dieses neugebildeten antarktischen Bodenwassers.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich aus diesen Proben?

Dr. Gutjahr: Wir wollen wissen, wie das Wasser heute zirkuliert und wie es in der Vergangenheit zirkulierte. Bevor wir uns die Vergangenheit anschauen können, müssen wir erst mal schauen, wie denn heute der Status quo ist. Welche chemische Zusammensetzung hat eine Wassermasse, die heute in der südlichen Prydz-Bucht vorkommt? Mit unseren Methoden können wir in erster Linie die Herkunft einzelner Wassermassen erkunden.

Die Prydz-Bucht ist ein klimatisch wichtiges Gebiet, da von dort neu gebildetes antarktisches Bodenwasser über die Schelfkante in die Tiefsee absinkt und so auch Sauerstoff in die Tiefsee transportiert. Aber es gibt verschiedene Bildungsgebiete von antarktischem Bodenwasser. Diese liegen teilweise im Weddellmeer, teilweise in der Prydz-Bucht, teilweise im Rossmeer. Durch unsere chemischen Analysen können wir sagen, wie wichtig welches Gebiet für die Neubildung von antarktischem Bodenwasser ist. Diese Frage interessiert uns, da durch extremes Schmelzen von antarktischem Schelfeis die Neubildung antarktischen Bodenwassers bereits zurückgeht.

Durch unsere Analysen können wir dann zum Beispiel sagen, 30 Prozent von diesem Tiefenwasser kommt aus diesem Quellgebiet. Das wurde in der Prydz-Bucht mit unseren Methoden aufgrund der Abgeschiedenheit dieser Gegend noch nicht gemacht. Meist sind die südlichen Gebiete dieser Bucht eisbedeckt. Aber wir kamen relativ gut rein, da die Meereisausdehnung dieses Jahr sehr gering war.

Welche Erkenntnis bringt Ihnen das auch im Bezug zum Klimawandel?

Dr. Gutjahr: Vereinfacht gesagt ist es erst mal eine Kartierung der Wassersäule. Welche Wassermasse hat welche Eigenschaft oder welche Zusammensetzungen für bestimmte Spurenmetalle wie Neodym und Blei. Gerade diese beiden Spurenmetalle zeigen sehr schön, wo eine Wassermasse herkommt. Wenn ich den heutigen Ozean in Sachen der Herkunft des Wassers schon mal ganz gut verstehe, können wir auch die Herkunft der verschiedenen Wassermassen im offenen Südozean weiter nördlich gut räumlich einordnen.

Mit unseren Methoden der Klimaforschung wollen wir herausfinden, wie sich die Wassermassenverteilung in der Vergangenheit verändert hat verglichen mit der heutigen Warmzeit. Man darf den antarktischen Eisschild aber nie alleine sehen. Das übergeordnete Thema dieser Ausfahrt war deshalb herauszufinden, wie stabil der ostantarktischen Eisschild auf geologischen Zeitskalen ist. Eis und Ozean muss man zusammen betrachten, denn das Wasser und Eis interagieren. Das heißt, wenn zu viel warmes Wasser aus dem Norden in die Antarktis gelangt, fängt der Eisschild an einzuschmelzen. Wenn wir die heutige Situation mit der Zirkulation vor 20.000 Jahren während der letzten Eiszeit vergleichen, dann sagt das sehr viel aus. Es ist wichtig für uns zu rekonstruieren, wie der Ozean in der Vergangenheit funktionierte, als noch mehr Meereis vorhanden war. Wir studieren aber auch vergangene Warmzeiten, als das Klima wärmer war als heute, da uns dies wertvolle Rückschlüsse auf die zu erwartenden Entwicklungen in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten geben kann.

Was hat diese Ausfahrt mit der POLARSTERN aus Forschungssicht so besonders gemacht?

Dr. Gutjahr: Wir sind ja nicht die Ersten, die dort hinfahren. Australische Forscher sind dort regelmäßig unterwegs. Aber, dass der Forschungseisbrecher POLARSTERN dorthin fährt, ist für die deutsche Wissenschaftsgemeinde wirklich etwas Besonderes. Es ist ein Gebiet, das schwer zugänglich ist, denn man ist alleine schon zwei Wochen unterwegs, um überhaupt dort hinzukommen. Die Klimaentwicklung dieses Teils der Antarktis ist noch nicht so gut erforscht wie andere Bereiche. Außerdem ist die Prydz-Bucht ein biologischer Hotspot, mit vielen Wale, Robben und Pinguinen. Auch das Zusammenspiel von Ozean und Eisschilden ist dort gut zu beobachten. Warmes Wasser, welches in der Tiefe von Norden auf den Antarktischen Schelf gelangt, kann zum Schmelzen der Eisschilde von unten führen, was letztendlich zu einem Anstieg des Meeresspiegels führt. Wir haben unser Forschungsprogramm in Kooperation mit den Australiern gemacht, eine sehr gute Erfahrung.

Gab es etwas, das Sie besonders erstaunt hat?

Dr. Gutjahr: Was mich erstaunt hat, war die die geringe Meereisausdehnung in manchen Teilgebieten. Da hätte ich echt mehr erwartet. Es gab dieses Jahr weniger Meereis als in den Jahren davor. Uns interessiert natürlich die Ursache dafür. Kommt die benötigte Wärme aus der Atmosphäre oder wird diese Wärme von unten durch das Wasser herangeführt? Wir haben beides beobachtet. Meist war die Wassersäule fast so kalt, wie sie es eigentlich sein sollte. Aber trotzdem war kein Eis mehr da. Mitten in der Prydz-Bucht hatten wir dann anderthalb Grad plus im Oberflächenwasser. Bei früheren Ausfahrten in anderen Gebieten der Antarktis war auch alles voller Wildleben, also Pinguine, Robben und so weiter. Und wir haben diesmal sehr wenig gesehen, auch wenig Wale. Eigentlich ist die Gegend dafür bekannt, dass viele Wale da sind oder es waren. Wir haben aber kaum Wale gesehen. Das hat mich dann ein bisschen stutzig gemacht.

Was hat Ihnen besonders Spaß gemacht?

Die Zusammenarbeit auf dem Schiff war einzigartig. Wir hatten ein tolles Team an Bord. Die Mannschaft war sehr engagiert und hilfsbereit. Der Wille, dass das Schiff funktioniert. Es ist ein altes Schiff, da gehen ständig Sachen kaputt, und die Mannschaft sorgte immer dafür, dass das Schiff funktionierte und wir unsere Arbeit machen konnten. Wir haben eine unglaubliche Strecke zurückgelegt: 10.000 nautische Meilen, das sind fast 20.000 Kilometer. Außerdem ist die Antarktis wunderschön. Es gibt Tausende Formen von Eisbergen. Ich habe Tausende Bilder davon gemacht. Dann diese absolute Abgeschiedenheit. Da kommt ja sonst niemand hin. Eigentlich sind dort nur Forschungsschiffe unterwegs und ein paar verstreute Transportschiffe. Ab und zu ein Fischer, der dort nicht sein sollte.

Das Interview führte NDR Schleswig-Holstein Reporterin Anke Rösler.


22.05.2024 16:16 Uhr

In einer früheren Version des Artikels haben wir fälschlicherweise "Arktis" und "Pittsburgh" als Ortsmarken angegeben. Richtig ist "Antarktis" und "Prydz-Bucht". Wir haben die entsprechenden Stellen korrigiert.

 

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 14.05.2024 | 19:30 Uhr

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