Jugendgewalt: Wie Husum versucht, mit Streetworkern gegenzusteuern
Die Fälle von Jugendgewalt in Heide (Kreis Dithmarschen) haben bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. In Husum ist nach Vorfälle vor fast 20 Jahren ein Netzwerk von Hilfsangeboten entstanden.
"Hey Marco", ruft eine Gruppe Jugendlicher, als sich Marco Treptow gerade am Husumer Marktplatz hingesetzt hat. Der Straßensozialarbeiter erkennt die Kinder sofort, geht auf sie zu. Kurzer Smalltalk. "Wie gehts? Warum seid ihr an diesem Vormittag nicht in der Schule? Sonst alles klar bei euch?". Sie kennen sich aus einem gemeinsamen Deeskalationstraining, das Marco Treptow mit den Jugendlichen absolviert hat. Nach wenigen Minuten ziehen die Jugendlichen weiter, der Straßensozialarbeiter zufrieden. Die Kids seien auf ihn zugegangen, haben Vertrauen zu ihm. Und würden deshalb in schwierigen Situationen auch zu ihm kommen, so hofft er.
Nur wenige Plätze für Jugendliche in Husum
Marco Treptow ist eine Erscheinung. Groß, langer Bart, kräftig gebaut, mit einer besonnenen Ausstrahlung. Er wirkt wie einer, der selbst die beste Lüge sofort erkennt und ganz genau weiß, wann er seine Stimme erheben sollte. Seit zehn Jahren arbeitet er als Streetworker in Husum. Ist draußen unterwegs, oder aber im Eishaus, dem Bürohaus der Straßensozialarbeiter der Diakonie, nur wenige Gehminuten von der Fußgängerzone entfernt.
Husum, die Kleinstadt in Nordfriesland, ist beliebt, besonders bei Touristen und Familien. Malerischer Hafen und die Nordsee vor der Tür, grünes Umland, nette Cafés. Für Jugendliche aber - schwierig, sagt Kevin Petersen. Auch er ist Streetworker in Husum, seit drei Jahren Kollege von Marco Treptow. Geldnot, Mobbing, Gewalt: Gut 120 Fälle landen jedes Jahr auf dem Tisch der Streetworker. Es gebe wenig Plätze, die sich gezielt an Jugendliche richten würden. Die letzte Diskothek - längst geschlossen. Seit einigen Jahren gibt es deshalb den Skate- und Bikepark, einige Kilometer außerhalb der Innenstadt. Hier haben sie extra Flächen aufgestellt, an denen die Jugendlichen Graffitis sprühen können, ohne sich damit strafbar zu machen. Und es gibt einen weiteren Grund, erklärt Marco Treptow: "Und zum anderen wollten wir einen Rückzugsort schaffen, der nicht gelenkt ist - also wo keiner der Sozialnasen aus Husum herumspringt."
Vorteil: Langsam gewachsene Strukturen
Vor zwanzig Jahren habe es einige Unruhe im Stadtbild in Husum gegeben, erinnert sich Adelheit Marcinczyk vom Diakonischen Werk Husum, bei dem auch die Streetworker angesiedelt sind. Daraufhin habe die Stadt einen Streetworker angestellt. Das Netzwerk an Einrichtungen und Institutionen ist seitdem gewachsen. Sie arbeiten zusammen mit dem Mädchentreff Husum, dem Kinderschutzbund, dem Frauennotruf, den Obdachlosenunterkünften und vielen mehr.
Treptow will Kollegen helfen, ein ähnliches Netzwerk aufzubauen. Er hat sich deshalb mit neu eingestellten Straßensozialarbeitern aus der Nachbarstadt Heide ausgetauscht.
Land: Stationäre Einrichtungen schlagen Alarm
Doch es geht nicht nur um Streetworker: Jugendliche erhalten auch in HIlfe in stationären Einrichtungen. Dort überschatten Personalnot, Überforderung und fehlende Strukturen die Situation für die Kinder und Jugendlichen, die von Jugendämtern betreut werden. Jugendhilfeträger schlagen Alarm. 2023 ist die Zahl der Inobhutnahmen im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gestiegen. So sei eine Fachkraft in stationären Einrichtungen vielfach alleine für zehn Kinder und Jugendliche verantwortlich.
Anfang Juni wurde das Thema im Sozialausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags diskutiert. Hier ging es auch um die Arbeitsbedingungen vor Ort. Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) verwies an die Jugendämter im Land. Die Probleme seien durch das Land nicht steuerbar, so Touré.
Bürgerbeauftragte fordert, dass Jugendliche besser aufgefangen werden
Schleswig-Holsteins Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Samiah El Samadoni reicht das nicht. Sie fordert, dass Kinder und Jugendliche besser aufgefangen werden. Im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein berichtet sie von einer Jugendlichen, die den Eindruck hat, dass kein Jugendamt für sie zuständig ist. Aus Sicht von El Samadoni symptomatisch. Vielen Jugendlichen würde die Orientierung fehlen.