Ein Perlenarmband sowie Neugeborenenarmbänder in blau und rosa liegen auf einem Tisch. © Picture Alliance Foto: Stefan Puchner
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Ein Perlenarmband sowie Neugeborenenarmbänder in blau und rosa liegen auf einem Tisch. © Picture Alliance Foto: Stefan Puchner
AUDIO: Intergeschlechtliche Kinder (4 Min)

Intergeschlechtliche Kinder: UKSH Lübeck unterstützt Eltern

Stand: 26.10.2024 10:24 Uhr

Die "Sprechstunde für Menschen mit biologischen Varianten der Geschlechtsentwicklung" am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck ist für Eltern da, deren Kinder nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Auch Silke ließ sich dort beraten, die Mutter von Louis.

von Astrid Wulf

Vor etwas mehr als zwei Jahren kam Louis zur Welt, erzählt Silke aus Rheinland-Pfalz. "Uns wurde gesagt: Sie haben einen gesunden Jungen, allerdings hat er eine hochgradige Hypospadie". Der Fachbegriff beschreibt eine Fehlbildung der Genitalien, Louis' Penis ist verkürzt und verkrümmt. Die Eltern ließen sich beraten, ob eine Operation nötig sei. Dabei stand zum ersten Mal im Raum, dass Louis intergeschlechtlich sein könnte. Von Intergeschlechtlichkeit hatte Silke nie zuvor gehört.

"Bis dahin war für uns klar: Es gibt nur Jungen oder Mädchen. Louis hat eine Fehlbildung der Harnröhre und des Geschlechtsteils, aber er ist ein Junge." Silke, Mutter von Louis

Nach dem Gentest: 1.000 Fragen, viele Sorgen

Dann erhält Silke die Nachricht, erzählt sie: Ein Gentest hat ergeben, dass 78 Prozent von Louis‘ Chromosomensätzen weiblich sind. Bei einer Bauchspiegelung werden dann ein Eierstock und eine Gebärmutter gefunden. Von der Erkenntnis, dass ihr Kind intergeschlechtlich ist, ist Silke zunächst völlig überfordert. "Ich musste mich erstmal zuhause hinsetzen und recherchieren." Dann fingen die Sorgen an.

"Wie wird unser Kind sich entwickeln? Wird es gemobbt werden? Wie wird mal das Sexualleben aussehen? Man hat einen Riesenberg an Fragen und muss erstmal alles sacken lassen." Silke, Mutter von Louis

Zunächst habe sie nur mit wenigen engen Freunden und Familienmitgliedern darüber gesprochen - und dann oft selbst Aufklärungsarbeit leisten müssen: "Viele fragen: Was kann man da machen? Und wie geht es jetzt weiter?" Selbst der Kinderarzt habe noch nie von Intergeschlechtlichkeit gehört und sich erst einmal zu einer Fortbildung angemeldet.

Mutter Silke: Viele Informationen und Gespräche waren hilfreich

Sehr wertvoll für Louis' Mutter: Der Kontakt zum Verein "Intersexuelle Menschen Landesverband Niedersachsen e.V" in Schortens. Neben viel Infomaterial hilft ihr besonders die "Peer-Beratung", bei der speziell geschulte und selbst intergeschlechtliche Menschen über ihre Erfahrungen berichten und Fragen beantworten.

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Dazu wandte Silke sich an die "Sprechstunde für Menschen mit biologischen Varianten der Geschlechtsentwicklung" am Lübecker UKSH - eines von bundesweit zehn Versorgungszentren für intergeschlechtliche Menschen. Die Expertinnen und Experten nehmen Silke ihre große Sorge, dass sie etwas in der Schwangerschaft falsch gemacht haben könnte, erzählt sie.

Kinder- und Jugendmediziner Olaf Hiort. © UKSH Foto: UKSH
Der Kinder- und Jugendmediziner Olaf Hiort berät am UKSH Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklungen und Eltern betroffener Kinder.

In der Sprechstunde wird geklärt, was nötig ist, um Kinder und auch Erwachsene mit Varianten der Geschlechtsentwicklung gut zu versorgen, erklärt der verantwortliche Mediziner Prof. Olaf Hiort. In den Beratungen gehe es um Hormontherapie, Operationen, auch um Fragen rund um Fruchtbarkeit sowie soziale und psychologische Themen.

Intergeschlechtlichkeit kann verschiedene Ursachen haben

Dass Kinder nicht eindeutig weiblich oder männlich auf die Welt kommen, sei selten. Schätzungsweise bei einem von zweieinhalbtausend Kindern kämen Varianten der Geschlechtsentwicklung vor, sagt der Kinder- und Jugendmediziner Olaf Hiort.

Zu Beginn, wenn Eizelle und Samenzelle verschmelzen, seien immer sowohl weibliche als auch männliche Merkmale vorhanden: "Wir sind in erster Linie Mensch. Geschlechtlichkeit in seiner Ausprägung entsteht um die sechste Schwangerschaftswoche herum, wenn sich die Keimdrüsen gebildet haben" erklärt der Arzt. "Dann entsteht ein Eierstock oder ein Hoden. Dabei kann es zu Abweichungen kommen und zu sehr unterschiedlichen Körperbildern."

Auch andere organische Ursachen können zu sowohl männlichen als auch weiblichen Merkmalen führen. Beim "adrenogenitalen Syndrom" produziert die Nebenniere eine zu geringe Menge des Stresshormons Cortisol. Der Körper versucht, den Mangel zu kompensieren und bildet andere Hormone, die wiederum Geschlechtsmerkmale verändern.

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Wenn nötig: Hormontherapien und Operationen

Oft könnten Menschen gut mit Varianten der Geschlechtsentwicklung leben, sagt Olaf Hiort vom UKSH. In etwa einem Viertel aller Fälle gebe es allerdings Entwicklungsauffälligkeiten, die krank machen oder zum Beispiel einer Schwangerschaft im Wege stehen können. Beim "adrenogenitalen Syndrom" sei das der Fall, wenn bei Mädchen Vagina und Harnröhre im Körper miteinander verschmolzen sind.

In solchen Fällen können Hormontherapien und Operationen hilfreiche Optionen sein. Bei minderjährigen Kindern seien solche Eingriffe allerdings nur erlaubt, wenn es dringende medizinische Gründe gibt - wenn beispielsweise wegen einer Fehlbildung der Harnröhre Urin nicht abfließen kann.

Heute Standard: Selbstbestimmung statt "Geschlechtsangleichung"

Früher seien sogenannte "geschlechtsangleichende Operationen" bei intergeschlechtlichen Kindern üblich gewesen, sagt Olaf Hiort. Lange habe man gedacht, dass sich die empfundene Geschlechtsidentität an die zurechtoperierten Körpermerkmale anpassen würde. Heute wisse man: Es ist besser, möglichst spät Maßnahmen zu ergreifen. "So dass der Mensch selbst mitbestimmen kann, wie er sich selbst sieht."

Bei Louis sei bisher keine Operation nötig gewesen, erzählt Silke. Wenn ihr Kind in die Pubertät kommt, werde es über operative Eingriffe und Hormontherapien mitentscheiden können. Silke benutzt das Pronomen "er", wenn sie über ihr Kind spricht, das fühle sich für sie stimmig an. In Stein gemeißelt sei auch das nicht: Louis solle später auch selbst festlegen, ob der Name noch passt. Auch, ob im Ausweis "männlich", "weiblich" oder "X" stehen soll.

Louis' Mutter Silke: "Alles, was kommt, werden wir schaffen."

Abgesehen von der jährlichen Ultraschall-Routineuntersuchung spielt es Silke zufolge mittlerweile keine große Rolle, dass ihr Kind intergeschlechtlich ist. Seit einigen Monaten geht Louis in den Kindergarten. Die Erzieherinnen und Erzieher seien informiert, in der Gruppe sei das "Jungen und Mädchen"-Thema allerdings noch nicht so präsent, sagt sie.

Silke will Louis schon früh erklären, dass er Mädchen und Junge zugleich ist. "Dass er auch selbstbewusst anderen Kindern gegenüber sagen kann: Ich bin beides." Sie hat sich vorgenommen, Louis dabei nach allen Kräften zu unterstützen. "Ich habe ein gesundes, wunderbares Kind. Und alles andere, was kommt, werden wir schaffen."

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