Kolumne #Hyggepost: Hygge ist mehr als ein Einrichtungsstil
Das Handy kündigt mit einem leisen Ping eine Nachricht an. Och nö, wer will denn nach diesem nicht ganz unanstrengenden Arbeitstag jetzt noch was? "Wir wollen euch gerne zu einem kleinen Pizzaabend einladen", schreibt meine Nachbarin. Die Aussicht auf einen spontanen Hygge-Abend zaubert mir sofort ein Lächeln ins Gesicht. Erst recht, weil mir wieder eine Warnung einer Bekannten einfällt: "Was, Du willst nach Dänemark auswandern? Die Dänen glucken doch in ihrer Hygge nur untereinander zusammen, da kommst Du nie rein!"
Hygge ist keine dänische Erfindung
Eine bemerkenswerte Aussage - zumal Hygge, sprich "Hügge" - nicht mal dänisch ist. Der Begriff bedeutet ursprünglich Wohlbefinden und stammt aus Norwegen. Oft wird Hygge auch übersetzt mit Spaß oder Gemütlichkeit. Auch wenn's die Dänen nicht erfunden haben, sind sie es aber, die Hygge als Lebensart etabliert haben. Traditionen, Zeit mit Familie und Freunden verbringen und mit ihnen die schönen Dinge des Lebens teilen - das ist den Dänen wichtig. Ob sie das auch mit Zugereisten teilen, hängt zum großen Teil eben von jenen ab.
Kennt ihr das auch? Ihr scrollt durch die so genannten sozialen Netzwerke und findet unter dem Hashtag Hygge massenhaft Fotos von in hellen Farben eingerichteten Wohnungen im "Skandistil". Perfekt inszenierter Einheitsbrei in weiß und beige - wie man das sauber hält, womöglich noch mit Haustieren oder Kindern im Haus, das steht da nicht. Abgesehen davon, dass ich bislang nicht einen dänischen Haushalt kenne, in dem es so aussieht, ist Hygge mehr als ein Einrichtungsstil, mehr als Kerzen und ein flackerndes Feuer im Kamin (viele Dänen haben gar keine Kamine mehr, aber das ist ein anderes Thema). Hygge ist eine Lebensart, die die Dänen zelebrieren - und für die sie sich gerne Zeit nehmen. Hygge hat viele Gesichter: der spontane Schnack mit Nachbarn oder Freunden. Ein Spaziergang. Ein gemeinsamer Ausritt durch den Wald - alles hyggelig.
Hygge braucht Zeit zu wachsen
Mein Nachbar - ein Mann namens Ove und seine Frau Jonna - feiern seit mehr als 30 Jahren zusammen mit befreundeten Ehepaaren Silvester. Es gibt reichlich zu Essen und zu Trinken, der Tisch ist mit kleinen Dannebrogs, der dänischen Flagge, dekoriert. Zusammen sehen sie sich sie Neujahrsansprache der Königin an (was im vergangenen Jahr mit der Ankündigung ihres Rücktritts für reichlich Gesprächsstoff gesorgt hat). Im letzten Jahr klopften die Nachbarn das erste Mal nach Mitternacht an unsere Tür. "Kommt doch rüber zu uns!" Wir hatten uns zwar zuvor schon öfters gegenseitig eingeladen, aber dass wir zu dieser seit Jahrzehnten eingeschworenen Silvester-Gesellschaft gebeten wurden, war neu. Mein Mann und ich hockten also in fröhlicher Runde, aßen, tranken, lachten und schnackten - natürlich an diesem Abend vor allem über die scheidende Königin. Das habe ich als Privileg empfunden.
Wer es hyggelig will, muss sich integrieren
Als Zugereiste dieses dänische Hyggegefühl zu (er)leben, ist - eigentlich - gar nicht so schwer. Es setzt aber eines voraus: Sich in die dänische Mehrheitsbevölkerung zu integrieren, die Sprache zu lernen. Sich in der Deutschen Minderheit in Dänemark einzuigeln: Keine gute Idee, wenn man wirklich in Dänemark ankommen will. Einen Teil dieser Integrationsarbeit leistet der Bund Deutscher Nordschleswiger BDN - bis zu einem gewissen Grad. "Ladet doch einfach mal eure Nachbarn zum Kaffee ein - das ist Hygge in Süddänemark", sagt der Vorsitzende Hinrich Jürgensen. Dabei könnt ihr auch wunderbar die Sprache lernen und verbessern.
Hygge braucht wenige Zutaten
Neben dem Willen zur Integration gibt es eine weitere, wichtige Zutat für das Erlebnis Hygge: Zeit. Zeit und den Willen, sein Haus und auch sein Herz zu öffnen für gemeinsame Zeit mit anderen, für Gespräche. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass das Konzept des "gemütlichen Abends“ in Deutschland nicht nur aus dem Wortschatz, sondern auch dem Tun verschwunden ist. Oder wann habt ihr zuletzt, einfach so, einen gemütlichen Abend mit Menschen verbracht, die euch wichtig sind? Während ich diese Zeilen schreibe, fällt mir auf: Wir haben schon länger keinen Hygge-Abend mehr mit unseren Nachbarn verbracht. Ich nehme mein Telefon, tippe eine kurze Einladung. Das Handy kündigt mit einem leisen Ping eine Nachricht an. "Wir kommen gerne!" Ich freue mich.