Heimatschutz fehlen Leute: Im Ernstfall wehrlos?

Stand: 02.03.2024 17:46 Uhr

Die Reserveeinheiten des Heimatschutzes der Bundeswehr schützen im Kriegs- oder Krisenfall kritische Infrastruktur - zum Beispiel Kraftwerke und Brücken. Lange galt: Wer zu dieser Truppe gehören möchte, muss vorher schon gedient haben. Seit einigen Jahren ist das anders. Personal fehlt trotzdem.

von Christoph Deuschle

"Demokratie und Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif", sagt Stabsfeldwebel Cindy beim Anlegen der Splitterschutzweste. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine nennt die Bundeswehr keine Nachnamen mehr. "Wir haben zu viele Drohungen gegen das private Umfeld erhalten, wenn der ganze Name zu erkennen war", so Cindy weiter. An diesem Samstagmorgen üben sie und 50 weitere Freiwillige der Heimatschutzkompanie Schleswig-Holstein das Schießen auf der Standortschießanlage Alt-Duvenstedt (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Mit den beiden Standardwaffen der Bundeswehr: dem Sturmgewehr G36 und der Pistole P8. Nachdem alle den Gehörschutz sowie ihre Helme und Schutzwesten angelegt haben, kann es losgehen.

Ein Soldat zielt mit einem Sturmgewehr auf einem Schießstand © NDR Foto: NDR Screenshot
Ein Soldat zielt mit einem Maschinengewehr auf einem Schießstand

Bei einem Abstand von 200 Metern zu den Zielen beginnt die Übung. Dann wird in ihre Richtung gelaufen, im Liegen geschossen, weiter gelaufen - Schluss ist erst kurz bevor die Ziele erreicht werden. Mit Weste, Helm und Gewehr tragen die Männer und Frauen dabei fast 20 Kilo Gewicht am Leib. Kalt ist an diesem Morgen um 8 Uhr schnell niemandem mehr. Bis zu zehn Mal im Jahr treffen sich die Reservistinnen und Reservisten des Heimatschutzes zum Üben. Dabei geht es auch um Fitness, Taktik und Vernetzung mit dem Katastrophenschutz. Doch wozu das Ganze?

Im Ernstfall kritische Infrastruktur schützen und kämpfende Truppe entlasten

Die Heimatschützerinnen und -schützer der Bundeswehr haben in ihren jeweiligen Bundesländern im Verteidigungsfall eine wichtige Rolle. Sie sichern kritische Infrastruktur, zum Beispiel Kraftwerke, Brücken und Munitionslager, vor feindlichen Angriffen und Sabotage. So soll die reguläre Truppe entlastet werden, damit sie sich im Ernstfall einem etwaigen Aggressor widmen kann. Doch ob das klappt, darüber gehen die Meinungen auseinander, denn beim Heimatschutz fehlt es an Personal.

Heimatschutz in Schleswig-Holstein mit großen Lücken

Der Plan für die territoriale Reserve, zu der auch der Heimatschutz gehört, sieht in Schleswig-Holstein laut Landeskommando der Bundeswehr 1.746 Dienstposten für Freiwillige vor. Besetzt sind davon derzeit 240 in zwei Kompanien - also nur ein Bruchteil. Michael Scholz vom Bundeswehrverband Nord sieht persönlich eine große Gefahr darin. "Sollte in der aktuellen Personalsituation eine echte Großlage auf die Reserveeinheiten zukommen, könnten sie wohl kaum alle Aufgaben erfüllen, die ihnen zugedacht sind." Das sei simple Mathematik. Mit einem Bruchteil der benötigten Reserveeinheiten könne man eben auch nur einen Bruchteil der Aufgaben erfüllen, meint Scholz.

Eine einzelne Frau steht am Ende eines Schießstandes © NDR Foto: NDR Screenshot
Eine einzelne Frau steht am Ende eines Schießstandes

Das Bundesverteidigungsministerium beschwichtigt und teilt auf Anfrage mit, dass sich "Aufgabenumfänge einzelner Truppenteile" an den jeweiligen "aktuellen personellen und materiellen Umfängen der Einheiten" orientieren würden. Für 2024 sei für das nördlichste Bundesland mit einem Zuwachs auf 30 Prozent des geplanten Personals zu rechnen. Das entspräche mehr als einer Verdoppelung im Vergleich zum Stand Anfang des Jahres. Neben den aktuell vorhandenen zwei Kompanien in Eutin und Husum soll laut Landeskommando im Laufe des Jahres eine dritte in Alt-Duvenstedt entstehen.

Reserve der Bundeswehr verzeichnet bundesweit Zulauf

Das Verteidigungsministerium spürt nach eigenen Angaben insbesondere auch gesteigertes Interesse an der territorialen Reserve von Menschen, die bisher mit der Bundeswehr noch nichts zu tun hatten. Doch deren Ausbildung gestaltet sich nach Auffassung des Bundeswehrverbands Nord offenbar schwierig. Wer im zivilen Leben in der Backstube, im Krankenhaus oder am Schreibtisch sein Geld verdient, kann nach Einschätzung von Michael Scholz schlecht werktags mit den Berufsoldaten trainieren. Die nötigen Ausbildungsstrukturen entstehen gerade erst und fordern der Truppe zusätzlich Personal ab.

Wer das Land schützen will, muss oft dafür Urlaub nehmen

Wer die Grundausbildung für sogenannte Ungediente durchlaufen hat oder auch als ehemaliger Zeitsoldat in die Reserve kommt, der steht nach Ansicht der Freiwilligen in Alt-Duvenstedt, dem Landeskommando und auch Michael Scholz vom Bundeswehrverband oft vor einem neuen Problem: der Freistellung durch die Arbeitgeber. Denn eine Pflicht zur Freistellung von Angehörigen der Reserve, so wie es bei den freiwilligen Feuerwehren zum Beispiel der Fall ist, die gibt es nicht. Der allgemeine Personalmangel macht damit auch vor der Landesverteidigung nicht Halt.

"Viele Arbeitgeber tun sich schwer damit, uns für unsere Übungen freizustellen", sagt auch Stabsfeldwebel Cindy. Sie selbst sei Beamtin und arbeite in einer Behörde. "Und selbst dort ist es wirklich schwierig, die Übungen genehmigt zu bekommen." Nach ihrer Einschätzung geht es den Arbeitgebern meist gar nicht mehr ums Geld - das bekommen sie von der Bundeswehr erstattet. Es ginge vor allem um die fehlende Arbeitskraft über mehrere Wochen im Jahr. Cindy wünscht sich deshalb eine Pflicht der Arbeitgeber, ihre Beschäftigten während der Arbeitszeit freizustellen. "Dann muss ich nicht mehr entscheiden ob ich Zeit mit der Family verbringe, oder hier auf die Übung fahre."

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 24.02.2024 | 19:30 Uhr

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