Hat die Gemeinde Sylt bei neuen Ferienwohnungen getrickst?
Auf der Nordseeinsel Sylt ist Dauerwohnraum knapp. Eigentlich wollte die Gemeinde das ändern. Jetzt wirft die nachträgliche Genehmigung von 17 Ferienwohnungen in Westerland Fragen auf.
Das Ehepaar Christa und Harald Brinkmann (Namen geändert/die echten Namen sind der Redaktion bekannt) hat im Jahr 2022 eine Wohnung in der Bohmhoffstraße 15-17 in Westerland auf Sylt (Kreis Nordfriesland) gekauft. Kaufpreis: 850.000 Euro. Die Zweizimmerwohnung durfte laut Notarvertrag als Ferienwohnung vermietet werden. Die Wohnung wurde im Januar 2023 an das Paar übergeben. Die Käufer mussten den Vertrag mit einer Vermietungsagentur für Ferienwohnungen übernehmen. Wenige Monate später stellte sich aber heraus, dass die Wohnung nur als Dauerwohnung genutzt werden durfte. Das Ehepaar will die Rückabwicklung und stellte sogar Strafanzeige wegen Betrugs gegen den Verkäufer.
Beherbergungskonzept der Gemeinde Sylt
Seit Mai 2022 wurde in der Gemeinde Sylt über ein Beherbergungskonzept diskutiert. Ziel dabei: keine weiteren Ferienwohnungen. Hintergrund ist die dramatische Lage auf dem Wohnungsmarkt der Insel. Die Gemeindevertretung hat dieses Konzept dann im März 2023 einstimmig beschlossen. Damit sollte letztendlich mehr Dauerwohnraum für Sylterinnen und Syltergeschaffen werden.
Neuer B-Plan für Westerland legalisiert Ferienvermietung
Beim Bürgerbündnis "Merret reicht's" gibt es schon länger Zweifel, dass den Verantwortlichen bei der Gemeinde Sylt tatsächlich an mehr Dauerwohnraum gelegen ist. Indiz dafür ist für die Autorin und Merret-Aktivistin Susanne Matthiessen ein im Jahr 2023 in Kraft getretener Bebauungsplan (B-Plan 137). In dem Gebiet, zu dem auch auch die 22 Wohnungen in der Bohmhoffstraße 15-17 gehören, sind nun doch legale Ferienwohnungen möglich. 17 der 22 Wohnungen dürfen auf Antrag demnach als Ferienwohnungen genutzt werden. Auch die Wohnung der Familie Brinkmann wurde so nachträglich zu einer legalen Ferienwohnung.
Legale Vermietung ab August 2024 möglich
Christa Brinkmann und ihr Mann fühlen sich betrogen. Das Rentnerpaar aus Niedersachsen lebt seit 2019 in einer Eigentumswohnung in Westerland. Die Ferienwohnung in der Bohmhoffstraße war als Kapitalanlage gedacht. Selbst darin wohnen wollten sie zu keinem Zeitpunkt. "Mich ärgert, dass wir unsere Ferienwohnung monatelang illegal vermietet haben", so die resolute Frau, die das "Gebaren" der Sylter Geschäftsleute als unsauber empfindet.
Der Vorgang füllt inzwischen einen großen Aktenordner. "Die Nutzungsänderung wurde dann im Juni 2024 beim Kreis Nordfriesland beantragt, aber nicht von uns", wundert sich Christa Brinkmann. Die Baugenehmigung wurde am 13. August 2024 vom Kreis verschickt. Adressat sind allerdings nicht die neuen Besitzer, sondern der Verkäufer, den die Brinkmanns verklagt und angezeigt haben. Hat der Vorbesitzer die Ferienwohnung nachträglich legalisiert? Der Sylter Unternehmer war mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht zu einer Stellungnahme bereit.
Welche Rolle spielt die Gemeinde Sylt?
Die Gemeinde wollte sich auf NDR Anfrage lediglich schriftlich äußern. Ein Interview wurde abgelehnt. In einer E-Mail verweist die Gemeinde darauf, dass der Bebauungsplan 137 "Nördliche Innenstadt" bereits 2018 angestoßen wurde. In Kraft getreten ist er nach Angaben der Gemeinde aber tatsächlich erst im Juni 2023. Zum B-Plan schreibt die Gemeinde weiter: "Zulässig sind u.a. Dauerwohnungen und Ferienwohnungen, wobei mindestens 20% der Geschossfläche für Dauerwohnungen vorzusehen sind." Für Susanne Matthiessen von "Merret reicht's" eine Farce. "Hier wurde ganz bewusst Ferienvermietung nachträglich legalisiert", so Matthiessen. Die Gemeinde wiederum stellt aus ihrer Sicht klar: "Ein Verbot neuer Ferienwohnungen hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben."
Kaufvertrag vom amtierenden Bürgermeister aufgesetzt
Carsten Kerkamm (CDU) ist langjähriger Gemeindevertreter und aktuell amtierender ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Sylt, nachdem der mittlerweile verstorbene Nikolas Häckel abgesetzt worden war. Kerkamm ist im Hauptberuf Notar. Er hat den strittigen Kaufvertrag aufgesetzt. Zu einer Stellungnahme war er mit Verweis auf seine Tätigkeit als Notar nicht bereit. So bleibt auch die Frage unbeantwortet, warum die Wohnung im Kaufvertrag von 2022 als Ferienwohnung ausgewiesen wurde. Susanne Mattiessen kann da nur den Kopf schütteln: "Drei Personen, die jeden Tag nichts anderes machen, als sich mit Immobilien zu beschäftigen. Ein Makler, ein Immobilienfinanzierer und ein Notar, der jeden Tag solche Verträge macht, behaupten heute, sie hätten nicht gewusst, dass das eine Dauerwohnung ist. Also wie glaubhaft ist denn das?"
Wurden ehemalige Mieter verdrängt?
Nach Susanne Mattiessens Informationen gibt es zudem eine Vorgeschichte: "Auf dem Grundstück gab es bis zum Neubau 2010 mehrere Mietwohnungen. Damals wurden die Mieter mit unfeinen Mitteln vertrieben", so Mattiessen. Die Gemeinde konnte dagegen damals angeblich nichts ausrichten. "Klar war dann aber auch, dass hier 22 neue Dauerwohnungen entstehen. Das muss sowohl den damaligen ersten Käufern der neuen Wohnungen als auch dem Notar beim Wiederverkauf bekannt gewesen sein", unterstreicht Susanne Matthiessen. "Das ist ein Riesenskandal, der aufgeklärt gehört", so die Sylterin.