Hannah Kiesbye: Vom Schwer-in-Ordnung-Ausweis auf die Theaterbühne
Zum 20. Mal jährt sich der Welt-Down-Syndrom-Tag. Grund, darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen mit Trisomie 21 ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Die 22-jährige Hannah Kiesbye aus Halstenbek lebt das.
"B-L-I Bli" ruft der Chef in den Raum. Ihm gegenüber und verteilt stehen zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler und wiederholen: ""B-L-I Bli". Dann: "B-L-O Blo" und alle wiederholen. Dazu recken sie die Arme nach oben oder zur Seite. Wie sie wollen. Aufwärmübungen bei der Monitaurus Kompanie der Elbe-Werkstätten in Hamburg. Wer hier arbeitet, will nur eines: Theater spielen. So wie Hannah Kiesbye aus Halstenbek: "Es macht sehr viel Spaß und deswegen fühlt es sich richtig an für mich." Doch, dass sie als Schauspielerin arbeiten kann, dafür musste sie einige Hürden überwinden.
Los geht alles in Halstenbek

Ortswechsel: das Wohnzimmer der Familie Kiesbye in Halstenbek. Hannah ist zwar erst 22, blickt aber schon jetzt auf ein ereignisreiches Leben zurück. Mit ihren Eltern versucht sie, Ordnung in die Fotoalben zu bringen, die sie auf dem Tisch ausgebreitet hat. "Wo sind die Bilder von deinem Kindergartenpraktikum", fragt ihre Mutter Inge. Sie wühlt. "Hier!" Kindergartenhelferin zu werden war der Plan, schon bevor Hannah ihren Schulabschluss gemacht hat. Das war zumindest der Wunsch der Mutter.
Beide Eltern waren damals froh, eine sichere Zukunft für ihr Kind gefunden zu haben. Hannah erinnert sich, wie sie dann aber durch das Praktikum gemerkt hat, "dass mir das nicht so liegt." Es war ihr zu stressig, die Kinder zu laut. Hannah hat das Downsyndrom. Stress kann sie nicht ab. Sie hat gemerkt, "dass ich das gar nicht will."
Hannah Kiesbye wollte schon immer auf der Bühne stehen
Vor allem Hannahs Mutter tut sich zunächst schwer mit ihrem neuen Berufswunsch. Schauspielerei? Und dann auch noch mit Downsyndrom, wie soll das gehen? Hannahs Vater Kai Bruhn erzählt, schon in einem von Hannahs ganz frühen Zeugnissen habe gestanden: "Hannah, einmal mehr hast du einen starken Willen bewiesen!" Längst sei dieser Satz ein geflügeltes Wort für die Familie.
"Wenn Hannah was was will, dann dauert es immer eine Weile, bis man das sieht." Aber genau das sei es, was die Gesellschaft leisten müsse. Man müsse die Neigungen und Talente der Kinder sehen und fördern. "Wir haben immer nach dem geschaut, was sie gut kann." Seit Hannah klein ist, geht sie in die Zirkusschule, in der Nachbarschaft spielt sie seit Jahren Theater. Und trotzdem ist Schauspielerei als Beruf vor allem für ihre Mutter erst undenkbar. Sie ist zunächst enttäuscht, hatte sie doch für die Kita-Ausbildung alles perfekt organisiert. "Aber als ich das überwunden hatte, konnte ich auch wieder lockerer sein und gucken, dass ich Hannah unterstützen kann. In dem, was sie braucht."
Bundesverdienstkreuz für Schwer-in-Ordnung-Ausweis
Vor acht Jahren schreibt Hannah Kiesbye in einem Schul-Aufsatz, dass sie es nicht richtig findet, dass ihr Ausweis Schwerbehinderten-Ausweis heißt. Stattdessen solle er Schwer-in-Ordnung-Ausweis heißen. Die damals 14-Jährige bastelt eine Hülle, die den alten Schriftzug überdeckt. Jemand postet ihre Botschaft bei Twitter. Daraufhin geht die Geschichte viral. Es folgt eine ganze Flut an Presseanfragen. Sogar überregional wird berichtet. Etliche Bundesländer führen nach und nach eine Schwer-in-Ordnung-Ausweis-Hülle ein. Dafür bekommt Hannah Kiesbye 2020 das Bundesverdienstkreuz. Damals sagt sie: "Ich bin froh, dass einfach so viele Leute mögen, was man macht. Das ist einfach ein schönes Gefühl für mich."
Hannah Kiesbye arbeitet jetzt als Schauspielerin
Während sie nach ihrem Schulabschluss weiterhin bei ihren Eltern wohnt, wird sie in einer Einrichtung für Jugendliche mit Lernschwierigkeiten gecoacht. Sie macht etliche Praktika, legt in einem Büro Akten ab, schnippelt Paprika in einer Küche. "Das war nett, aber langweilig", sagt sie und sie bleibt dabei: Sie will Schauspielerin werden.
2022 spielt sie als Komparsin bei einem ZDF-Zweiteiler mit. Auch das bestärkt sie sehr in ihrem Entschluss. Und sie schafft es: Im Januar 2024 bekommt sie einen Arbeitsvertrag. Seitdem fährt sie jeden Morgen von Halstenbek nach Hamburg-Barmbek, nimmt erst die S- und dann die U-Bahn, so, dass sie nur einmal umsteigen muss. Den Weg hat sie lange genug eingeübt.
"Der Gesellschaft kann ich sagen, dass ja jeder quasi frei ist, in dem was man macht." Hannah Kiesbye
Gerade erst haben sie mit den ersten Probem zu ihrem neuen Stück begonnen: "Mr. Pilks Irrenhaus". Jetzt sollen sie aber erst einmal die Lüftungsanlage an der Wand beleidigen. Hannah tritt bis zum aufgeklebten Kreuz, und brüllt: "Mein Gott, Alter, du bist so dumm!" Ihr Chef Moritz Schlick kommentiert: "Sehr überzeugend, Hannah. Gut gemacht", denkt kurz nach und sagt: "Hannah brennt für die Arbeit. Das ist total schön, sie dabei zu begleiten und sie damit zu beobachten."
Als sogenannte Außenarbeitsgruppe sei die Minotauros-Kompanie auch eine Art Botschafterin für Inklusion, betont er. Auch Hannah Kiesbye ist eine Art Botschafterin, wenn sie sagt: "Der Gesellschaft kann ich sagen, dass ja jeder quasi frei ist, in dem, was man macht." So einfach ist das. "Ich liebe es auf der Bühne zu stehen. Ich fühle mich einfach gut dabei, Schauspielerin zu sein", sagt sie und lacht. "Das ist genau mein Ding!".
