Füsse eines Mädchens unter einer Bettdecke. © picture alliance / imageBROKER | alimdi / Jana Fernow
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AUDIO: Mediziner und Gewerkschaften plädieren für späteren Unterrichtsbeginn (1 Min)

Gut für den Biorhythmus, schlecht für die Fahrpläne: Späterer Schulbeginn in Horst

Stand: 02.09.2024 05:00 Uhr

Die Forschung zeichnet ein eindeutiges Bild: Um leistungsfähige Schülerinnen und Schüler zu bekommen, sollte der Unterricht morgens später starten. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft äußert Bedenken.

von Hannah Böhme

Möglich, dass sich für einige Schülerinnen und Schüler der Jacob-Struve-Schule in Horst (Kreis Steinburg) die ersten Schultage nach den Sommerferien erst mal etwas komisch anfühlen werden. Aber für viele vermutlich auf eine gute Art: Sie alle müssen nämlich erst eine dreiviertel Stunde später da sein als in der Vergangenheit - nämlich erst um 8 Uhr. Jahrzehntelang begann die Schule morgens an der Gemeinschaftsschule um 7.15 Uhr.

Grund für den späteren Start: die Wissenschaft

Schulleiter Mo Yanik schreibt etwas an die Tafel. © Mo Yanik
Schulleiter Mo Yanik testet an der Jacob-Struve-Schule einen regulären Unterrichtsbeginn ab 8 Uhr.

"Ich hatte letztes Jahr Mathe, zehnte Klasse, erste Stunde", berichtet Schulleiter Mo Yanik, der den späteren Schulstart eingeführt hat. "Da sitzen viele ohne Puls. Und das wird es jetzt einfach nicht mehr geben", so seine Hoffnung.

Einer der Gründe, den Schulstart nach hinten zu verlegen, war die Wissenschaft. Aus der Forschung wisse man seit vielen Jahren, dass es umso besser für die Schüler sei, je später die Schule anfange, erklärt der 35-jährige Schulleiter.

Jugendliche haben anderen Biorhythmus

Professor Robert Göder, Leiter des Schlaflabors des Universitätsklinikums in Kiel erklärt, dass das an der inneren Uhr liegt, die jeder Mensch hat. Die sei zum einen genetisch bedingt, zum anderen verändere sie sich im Laufe der Entwicklung, so Göder. Während vor allem jüngere Kinder und ältere Menschen eher zum "Lerchentyp" gehören, also früh wach sind, zählen die meisten Jugendlichen zum "Eulentyp". Sie werden also später müde, sind aber eben auch entsprechend später morgens fit und leistungsfähig.

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Schuld ist möglicherweise das Schlafhormon Melatonin

Woran das biologisch liegt, ist dem Schlaf-Experten nicht ganz klar. Aber es gibt seinen Angaben zufolge Hinweise darauf, dass junge Menschen weniger Melatonin produzieren. Das ist das Hormon, das oft auch als Schlafhormon bezeichnet wird. "Das könnte der Faktor dafür sein, dass das frühere ins Bett Gehen und frühere Einschlafen bei Jugendlichen einfach nicht funktioniert", so der Professor. Dadurch verschiebe sich der Rhythmus etwa eineinhalb Stunden nach hinten, im Vergleich zu den meisten Erwachsenen. Die Folge: chronischer Schlafmangel unter der Woche, der bei einigen dazu führt, dass sie sich in einer ersten Schulstunde am frühen Morgen nicht so gut konzentrieren können.

Wer ständig müde ist, ist auch anfälliger für psychische Erkrankungen

Viele Jugendliche können laut Göder ein gewisses Maß an Müdigkeit gut aushalten. Das gilt aber nicht für alle. "Es gibt natürlich auch Jugendliche, die vulnerabler sind und dann tatsächlich auch eine psychische Erkrankung wie eine Depression entwickeln können", erklärt der Professor. Denn: "Die Widerstandsfähigkeit bei Müdigkeit ist nicht so gut, als wenn man fit und wach ist." Auch deshalb ist für Göder selbst ein Schulbeginn um 8 Uhr noch zu früh. Der Leiter des Schlaflabors spricht sich für einen Start um 9 Uhr oder noch später aus.

Gewerkschaft GEW mit Bedenken

Auch Versuche im Nachbarland Dänemark zeigen, dass ein späterer Schulstart für Schülerinnen und Schüler durchaus sinnvoll sein kann.

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AUDIO: Dänemark testet späteren Unterrichtsbeginn für Teenager an Schulen (4 Min)

Aus wissenschaftlicher Sicht eine gute Sache, findet auch Kerstin Quellmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Schleswig-Holstein. Sie gibt aber zu bedenken, dass Schule nicht isoliert zu betrachten sei. Denn ein früher Schulstart passe oft mit der Arbeitswelt der Eltern zusammen und auch mit dem Busfahrplan.

Fahrpläne anzupassen wäre aufwendig

Gerade im ländlichen Raum sei der Busverkehr zu bestimmten Zeiten auf die Schulanfangszeiten abgestimmt, erklärt ein Sprecher des Verkehrsverbundes Nah.SH. Wenn diese sich änderten, seien die Fahrten komplett neu zu planen. Neue Fahrplankonzepte zu entwickeln wäre demnach sehr aufwendig. Aber "grundsätzlich machbar", so der Sprecher weiter.

Schule bietet Betreuungsangebot an

Dass Schulbeginn und Busfahrplan nicht ganz zusammenpassen, müssen ab diesem Schuljahr auch einige Schülerinnen und Schüler an der Jacob-Struve-Schule in Kauf nehmen. Das betreffe vor allem Jugendliche, die nicht im direkten Schulträger-Gebiet lebten, erklärt Schulleiter Mo Yanik. Für Schülerinnen und Schüler, die weit vor 8 Uhr da sind, gibt es an der Schule deshalb ein Betreuungsangebot. Finden natürlich nicht alle gut, weiß der Schulleiter. Aber viele Eltern und Schülerinnen und Schüler würden sich darüber freuen, dass sie jetzt länger schlafen können, berichtet Yanik von den Rückmeldungen, die ihn erreichen.

Späterer Start auch für viele im Kollegium sinnvoll

Den Schulstart nach hinten zu verlegen hatte für den 35-jährigen Schulleiter noch einen weiteren Grund: Der spätere Start passt nicht nur besser zum Biorhythmus der Jugendlichen, sondern auch besser zum Familienalltag vieler seiner Lehrerkolleginnen und -kollegen, die kleine Kinder haben. Zur frühen Zeit hätten sie keine Betreuung bekommen, berichtet er. Zur ersten Stunde konnte er diese Kolleginnen und Kollegen deshalb selten einplanen.

Schulende bleibt gleich

Und er hat nicht nur den Unterrichtsbeginn nach hinten gelegt, sondern auch die Unterrichtsstunden verkürzt. Bis zu den Sommerferien dauerte eine Schulstunde an der Jacob-Struve-Schule 60 Minuten. Jetzt sind es die gängigen 45 Minuten. Das macht laut Yanik unter anderem die Abrechnung einfacher, führt aber auch dazu, dass sich der Schultag für die Schülerinnen und Schüler trotz späterem Start nicht nach hinten raus verlängert. Er endet regulär weiter um 14.40 Uhr. In einem Jahr will Yanik die neue Struktur evaluieren lassen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 02.09.2024 | 06:00 Uhr

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