Partnerschaftsgewalt hat viele Facetten, © Christoph Deuschle

Gewalt in der Beziehung - Wenn Frauen flüchten müssen

Stand: 12.12.2024 05:00 Uhr

Männer, die gegenüber ihrer Partnerin zum Täter werden. Hunderttausende Frauen erleben das Jahr für Jahr - mit steigender Tendenz. Wie sieht es in den Frauenhäusern aus, was sind Gründe und vor allem: Wie geht es Betroffenen?

von Christoph Deuschle

Rund 180.000 Frauen haben bundesweit im Jahr 2023 Gewalt in ihrer Partnerschaft erlebt und sie angezeigt. 5.800 von ihnen kamen aus Schleswig-Holstein. 24 Schleswig-Holsteinerinnen starben durch die Hand ihrer Partner oder Ex-Partner, sogenannte Femizide. Eine der Frauen, die die Flucht aus der Beziehung geschafft hat: Christina Müller, die eigentlich einen anderen Namen hat, hier aber nicht mit echtem Namen oder Bild erscheinen will.

Christina Müller suchte Schutz im Kieler Frauenhaus. Dabei war es für sie schon der zweite Anlauf. Bereits einige Wochen vorher war sie schon einmal hier gewesen, konnte sich aber nicht zum Bleiben durchringen, sagt sie. "Ich war ja nicht grün und blau geschlagen, mein Ex hat ja 'nur' psychische Gewalt gegen mich ausgeübt - bis kurz vor Schluss." Der Ex-Partner von Müller hatte sie jahrelang psychisch misshandelt.

Illustration: Ein Kind sitzt auf dem Boden. Es sieht wütend aus. © Christoph Deuschle
Im öffentlichen Diskurs oft vergessen, sagen die Frauenhäuser: Die Kinder der Betroffenen Frauen. (KI-generiertes Bild)

Als er dann bei einem Wutausbruch zum ersten Mal auch die junge Tochter schlägt, schafft sie es die Kraft aufzubringen, um zu fliehen. Ein gutes Jahr ist das nun her. Durch therapeutische Hilfe ist sie heute im Stande, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Das geht längst nicht allen Frauen so. Lange mussten wir nach einer Frau suchen, die zu einem Gespräch bereit war. Die Traumata sitzen als Folge der Gewalt oft tief, erzählt uns eine Mitarbeiterin im Frauenhaus Kiel.

Die Eskalation kam schleichend

"Wenn ich nicht noch Streit ums Sorgerecht hätte, würde ich offen vor der Kamera mit Euch sprechen." Aber die Angst vor möglichen Repressalien durch das Familiengericht oder ihren Ex-Partner seien zu groß. Eben jener Ex entpuppt sich laut Müller schon früh in der Beziehung als streitlustig. Schob die Schuld immer auf sie, sagt sie. Stundenlang hätten sie diskutiert, oft wegen Kleinigkeiten. Immer intensiver sei seine drohende Haltung geworden. Als der gemeinsame Sohn zur Welt kommt, habe er versucht sie mit Kindesentzug zu kontrollieren.

So laufe es in vielen toxischen und gewalttätigen Partnerschaften, sagt Jördis Spengler von der Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Kiel. Seit einem Jahrzehnt forscht sie im Bereich Partnerschaftsgewalt.

"Diese zwanghafte Kontrolle schleicht sich am Anfang ein. Zwanghafte Kontrolle meint dabei so viel wie die klassische Eifersucht, zum Beispiel." Jördis Spengler (CAU)

Fragen wie: Mit wem triffst du dich? Was ziehst du an? Warum isst du das? Warum gibst du dein Geld dafür aus? Also eine schleichende und zunehmende Kontrolle der Lebensrealität, das sei typisch. So erlebte es auch Christina Müller.

Druckmittel: Kind und finanzielle Ausbeutung

"Wenn ich spazieren gehen wollte, sagte er: 'Du kannst gehen, aber der Kleine bleibt hier!' Da bin ich natürlich nicht raus, ich habe ja gestillt." Da kam ihr zum ersten Mal der Gedanke: "Ich erlebe hier häusliche Gewalt." Zu diesem Zeitpunkt sind die Konflikte bereits Alltag für sie geworden, sie hatte sich irgendwie daran gewöhnt, so Müller. Das nichts daran normal gewesen sei, musste ihr erst bewusst werden.

Auch finanziell habe er sie ausgebeutet. Müller, selbständig im Marketing und beruflich fest im Sattel, ist Hauptverdienerin in der Beziehung. Frei über das Geld bestimmen, das habe sie aber nicht gekonnt.

"Ich wurde kontrolliert und unter Druck gesetzt, selbst als ich schwanger war." Christina Müller (Name geändert)

Mittlerweile bezieht die Mutter von zwei Kindern finanzielle Unterstützung, denn als alleinerziehende Selbstständige in einer fremden Stadt komme aktuell nicht genug Geld rein. Ohne die Flucht vor ihrem Ex, sagt Müller, wäre das anders.

Schutz im Frauenhaus ist immer noch ein Glücksspiel

Dass Müllers Flucht in ein neues Leben überhaupt gelingen konnte, war nicht selbstverständlich. Denn Sie hatte Glück. Es gab einen freien Platz für sie und ihre Kinder in den 14 Frauenhäusern im Land. Oftmals müssten sie aber Frauen zurückweisen, weiter schicken oder - im äußersten Notfall - auf dem Sofa schlafen lassen. "Die Kraft zur Flucht, die bringen die wenigsten Frauen mehr als einmal auf", sagt Nele. Sie arbeitet im Kieler Frauenhaus und möchte ihren Nachnamen an dieser Stelle aus dem Spiel halten.

Dabei könnten sie mit mehr Finanzierung hier im Kieler Frauenhaus sofort fünf weitere Zimmer betreiben, den Platz hätten sie. Aber es fehle Geld für die Betreuung. Regelmäßig müssten sie verzweifelte Mütter samt Kindern deshalb wieder weg schicken. Oder auf eine lange Reise zu einem freien Platz irgendwo in der Republik schicken.

Der Politik ist das Problem bewusst. Bei einer Kundgebung der Frauenhäuser im Oktober versicherte Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein, die Finanzierung der Frauenhäuser werde auch in der angespannten Haushaltslage nicht angerührt. An dieser Zusage wird sich die Landesregierung in den aktuellen Haushaltsverhandlungen messen lassen müssen.

Die Istanbul Konvention und der Schutz von Frauen vor Partnerschaftsgewalt in Deutschland

Die Istanbul-Konvention ist 2011 unterzeichnet worden. Sie ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument um Gewalt gegen Mädchen und Frauen zu bekämpfen und zu verhindern. In den 81 Paragraphen wird unter anderem festgelegt, wie viele Plätze in Frauenhäusern ein Staat vorhalten muss. Unter anderem sieht die Konvention rund 2,6 Betten in Frauenhäusern pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern vor. Für Schleswig-Holstein wären das rechnerisch etwas über 750 Plätze in Frauenhäusern. Tatsächlich vorhanden: 400. Bundesweit nötig wären 21.000 Plätze - vorhanden 7.000.

Betroffene: Gewalt von außen oft schwer zu erkennen

Illustration: EIn paar steht in einem festlichen Saal, um sie herum diverse Menschen. Die Frau sieht angespannt aus. © Christoph Deuschle
"Lass uns nach Hause gehen." Dieser Satz bedeutet in den meisten Beziehungen nichts besonderes. Für Christina Müller aber war er lange Zeit mit Stress verbunden, sagt sie. (KI-generiertes Bild)

Auf die Frage, ob ihr Außenstehende in der Öffentlichkeit hätten helfen können, antwortet Christina Müller nach etwas Bedenkzeit: "Nein. Wenn ein Mann seiner Partnerin zum Beispiel auf einer Veranstaltung ins Ohr flüstert, dass er nach Hause will, ist das ja etwas völlig normales." Sie habe in der genannten Situation aber immer genau gewusst: Wenn sie nicht reagiert, gibt es zuhause stundenlang Streit und Diskussionen.

Das Bild, dass gewalttätige Männer ihren Partnerinnen sichtbar Gewalt antun, sei falsch. "Das habe ich auch von anderen Betroffenen gehört, dass die Täter vornehmlich psychische Gewalt ausgeübt hätten", so Müller.

Forscherin: Männer müssen ihre Rolle hinterfragen

"Vieles von dem, was per Definition unter Partnerschaftsgewalt fällt, ist straffrei. Psychische Misshandlung ist fast immer straffrei", sagt Jördis Spengler von der CAU. Auch deshalb vermutet sie, sei die Dunkelziffer wahrscheinlich deutlich höher als das, was die Kriminalstatistik hergebe. Für die Forscherin muss der Blick weg von den Opfern und hin zu den möglichen Tätern.

"Wenn sie mehr als fünf männliche Freunde haben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass einer davon schon einmal physische oder psychische Gewalt gegen die Partnerin ausgeübt hat." Jördis Spengler (CAU)

Für Christina Müller war das Frauenhaus in Kiel der rettende Hafen, um aus der gewalttätigen Beziehung zu entkommen. Rückblickend sagt sie, sei sie "so dankbar, dass ich den Schritt gemacht habe. Dass ich mich wieder sicher fühle. Dass die Kinder spielen können und es keinen Streit gibt, nur Harmonie".

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Dieses Thema im Programm:

Nachrichten für Schleswig-Holstein | 12.12.2024 | 19:30 Uhr

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