Gewalt gegen Frauen in konservativen Familien: Eine Frau berichtet

Stand: 25.11.2024 19:21 Uhr

"Ich habe dir das Leben geschenkt - ich kann es dir auch wieder nehmen!" Diesen Satz hört Zada Wagner in ihrer Jugend mehr als einmal, sagt sie. Ihr Wunsch nach Selbstbestimmung kam in ihrer Familie nicht gut an.

von Christoph Deuschle

Wenn das eigene Kind eine andere Vorstellung vom Leben hat als die Eltern, sind Konflikte oft programmiert. Doch was für die meisten Menschen in der deutschen Gesellschaft selbstverständlich sei, sei in manchen streng konservativen arabischen Familien auch heute noch ein Tabu - so schreibt es die Schleswig-Holsteinerin Zada Wagner in ihrem Buch "Verstoßen für die Freiheit". Zada Wagner ist ein Pseudonym.

Frauenrechte: Kultur sei nicht gleich Religion

Eine Frau mit Brille in einer weißen Blouse sitzt in einem Raum und blickt in die Kamera. © NDR
"Verstoßen für die Freiheit: Zwischen Familienehre und Sehnsucht - eine Frau kämpft für ihren Weg in die Selbstbestimmung" - das ist der Titel des Buches von Zada Wagner.

"Es geht dabei vor allem um die Kultur. Nicht um die Religion", sagt Wagner im Gespräch immer wieder. Sie ist in den späten Achtzigern in einer deutschen Großstadt geboren und aufgewachsen, lebt mittlerweile mit Kindern und Partner in Schleswig-Holstein. Und hat schon viel erlebt. Ihre palästinensische Mutter sei mit ihrem Vater zwangsverheiratet worden, ihr Elternhaus sei von strengen konservativen Wertevorstellungen geprägt gewesen - und von Angst.

Geschlechtergerechtigkeit? Mutter bleibt erlernten Werten treu

Nach der Scheidung der Eltern seien Zada Wagner und ihr Bruder bei verschiedenen Elternteilen untergekommen. Der Bruder beim Vater, Zada Wagner bei ihrer Mutter. Und die sei alles andere als eine Feministin gewesen. Denn obwohl die Mutter selbst als 17-Jährige zwangsverheiratet worden sei, blieb sie laut Wagner den erlernten Wertevorstellungen treu. Dieser Effekt ist laut Studien bei Menschen, die sich in einer neuen Kultur zurechtfinden müssen, oft zu beobachten.

Immer wieder führte Wagners Wunsch nach denselben Freiheiten wie die ihrer Mitschülerinnen und Freundinnen zu Streit, sagt sie. Regelmäßig auch zu Gewalt gegen das Mädchen. "Wenn du nicht hörst, setze ich dich nackt in den Hausflur", sei nur eine der gängigen Drohungen hinter verschlossenen Türen gewesen.

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Schritte zur Selbstständigkeit - trotz Schlägen

"Als ich 14 war, habe ich mir von meinem Taschengeld mein erstes Sommerkleid gekauft. Ich war so stolz, es war so farbenfroh und schön", berichtet Wagner. Die Reaktion der Mutter: laut Zada Wagner Beschimpfungen und Schläge. Für sie sei das Kleid nichts anderes als eine unzüchtige Schande gewesen - trotz geschlossenem Ausschnitt.

Zum größten Eklat kommt es wohl, als ihre erste Beziehung ans Licht kommt. Denn ihr erster Freund, den sie mit 18 kennenlernt, ist ein Deutscher. Ihre Mutter - so erzählt Zada Wagner - setzt sie daraufhin unter Druck die Beziehung zu beenden, und soll gedroht haben: "Wenn du jetzt gehst, hast du keine Familie mehr. Ich werde allen sagen, dass meine Tochter gestorben ist. Du darfst deine Geschwister nie wieder sehen." Selbst ihre Freundinnen raten ihr dazu, sich zu trennen. Wagner weigert sich.

Zwangsheirat: Schulen versuchen Betroffenen zu helfen

Drohungen und Gewalt seien oft ein Teil der streng konservativen Familien - und nicht nur der arabischen. Das sagt Schulsozialarbeiter Olaf Fuhrmann. Er ist seit 20 Jahren Ansprechpartner für 3.500 Schülerinnen und Schüler am Berufsbildungszentrum (BBZ) Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg). Das Thema Zwangsheirat komme der bisherigen Erfahrung nach aber vor allem im arabischen Kulturkreis vor: "Ich kann sagen, dass ich einige Schülerinnen über viele Jahre begleite. Das heißt vom Hauptschulabschluss bis zur ersten Ausbildung." Bei vielen könne er in dieser Zeit sehen, wie sie emanzipierter werden. "Bei anderen jungen Frauen wiederum kann man aber auch sehen, dass das leider nicht klappt."

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Präventionsmaßnahmen bauen auf Vertrauen

Wie am BBZ Schleswig ist auch an anderen Schulen vor allem Präventionsarbeit und ein vertrauensvoller Umgang mit den jungen Menschen der Schlüssel, um in solchen Fällen Hilfe zu leisten. Das sagt Marion Mœller, die als Präventionslehrkraft arbeitet. Sie beschreibt es als schleichenden Prozess. Junge Frauen - aber auch Männer - müssten immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden, was normal ist und was nicht. Häusliche Gewalt sei "wie ein Frosch, den man in lauwarmes Wasser setzt und es immer mehr erhitzt. Der merkt gar nicht, dass er gekocht wird, bis es zu spät ist".

Verschleppt nach Jordanien: "Ich kämpfe, bis ich nicht mehr kann"

Zada Wagners Mutter habe kurze Zeit nach Bekanntwerden ihrer Beziehung zum deutschen Christian versucht, sie bei einem vermeintlichen Urlaub in Jordanien mit einem Cousin zu verheiraten. Ihren Plan offenbart sie laut Zadas Aussage nach der Ankunft so: "Zada, du verdammte Schlampe, erzähl niemandem, was du unserer Familie für eine Schande angetan hast." Kurz vorher habe sie Wagners Mobiltelefon und ihren Pass an sich genommen.

Doch Zada Wagner nimmt sich vor, zu kämpfen: "So lange bis ich nicht mehr kann. Ich wollte meinen Weg gehen. Ich wollte zu nichts gezwungen werden." Mit Erfolg. Sie schafft die Rückkehr nach Deutschland, indem sie vorgibt, bereits nach dem islamischen Recht mit Christian verheiratet zu sein.

Am Ende entscheidet sie sich mit Christian tatsächlich zu der Ehe. Vor allem, um endlich zur Versöhnung mit ihren Eltern zu kommen - und auf Christians ausdrücklichen Wunsch hin. Doch auch dieser Schritt in Richtung Tradition reicht der Mutter am Ende laut Zada Wagner nicht.

Gewalt und Zwangsheirat sind wohl weiter keine Ausnahmen

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Im Kieler Verein TIO (Treff-und Informationszentrum) e.V. kennen sie Geschichten wie die von Zada Wagner. Hierher kommen Migrantinnen, um Deutsch zu lernen, aber auch um Hilfe zu bekommen. "Erst kürzlich hatten wir drei Schwestern vor der Tür, die eine Zwangsheirat vor sich hatten", berichtet Nurcan Kurun, Geschäftsführerin des TIO. Laut ihr sucht knapp jede zehnte der Frauen hier auch Hilfe wegen häuslicher Gewalt oder Zwangsheirat. Diese Beobachtung deckt sich in etwa mit den Zahlen von Studien der Bundesregierung dazu, wie hoch der Anteil an Menschen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen ist, die gegen Gleichberechtigung sind.

Nurcan Kurun vermutet, dass sich nach wie vor viel weniger Frauen um Hilfe bemühen als tatsächlich von häuslicher Gewalt und Zwangsehen betroffen seien: "Weil die damit groß werden. Die wissen gar nicht, dass das nicht normal ist." Auch deshalb will Zada Wagner aufklären und zusammen mit dem Kieler Verein TIO Workshops geben. Um den Kreislauf zu durchbrechen. Wer Hilfe sucht, kann sich über tio-kiel.de informieren.

Zada: "Wir leben in einem so tollen Land"

Die Geschichte von Zada und ihrem ersten Freund Christian, der dann auch ihr erster Ehemann wurde, endet mit dem finalen Bruch zwischen ihr und ihrer streng konservativen Familie. Nur zu ihren Großeltern habe sie bis zu deren Tod noch Kontakt gehalten. Auf die Frage, ob sie etwas anders machen würde, antwortet sie schnell und bestimmt: "Nein!" Sie kenne zu viele Frauen, die sich irgendwann vorwerfen würden, nicht genug für die eigene Freiheit unternommen zu haben, so Wagner. "Wir leben in einem so tollen Land, in dem so viel für uns möglich ist", sagt sie. Dafür wolle sie kämpfen.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 25.11.2024 | 19:30 Uhr

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