Gerichte in SH: Schnelle Urteile durch Computerprogramme?
Es sind gerade die Massenverfahren, die bei Gerichten immer wieder zu einer hohen Arbeitsbelastung führen. Um die Richterinnen und Richter am Landgericht Kiel dabei zu entlasten, sollen Softwarelösungen helfen.
Ob Abgasskandal, Datenschutzgrundverordnung oder Flugverspätungen - immer wieder kommt es vor, dass viele Menschen wegen derselben Sache klagen. Das kommt für die Gerichte oft überraschend. Die Fälle dann zu bearbeiten, dauert. Denn obwohl die Fälle ähnlich sind, muss jeder einzeln bearbeitet werden. Kläger müssen also meist lange auf ein Urteil warten.
So war es auch am Landgericht Kiel, als 2021 Hunderte Klagen gegen Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung bei der Kammer für Versicherungssachen eingingen. "Also sehr viel an Dokumenten, die erstmal gesichtet und sozusagen auf das Wesentliche runtergebrochen werden müssen. Dabei ist es eben schön, wenn man eine Hilfestellung hat, um die Massenverfahren besser in den Griff zu kriegen", sagt Richterin Luise Steinhausen.
Testphase läuft seit 2023
Seit gut eineinhalb Jahren testet sie deshalb das Programm "LOGOS", um Massenverfahren schneller zu bearbeiten. Das Programm gehört zur sogenannten "Legal Technology" - mit solchen Programmen werden juristische Abläufe automatisiert. Kanzleien nutzen solche Software immer mehr, um Standardfälle zu bearbeiten und Sammelklagen bei Gericht einzureichen. Verfahren sollen dadurch effizienter werden.
In dem Programm, das das Landgericht Kiel testet, sind Musterurteile, Textbausteine und Keywords hinterlegt. Kommt ein neuer Fall hinzu, durchsucht ihn die Software nach möglichen Übereinstimmungen. "Und bislang ist es so, dass das Programm dann durchaus in der Lage ist, selbstständig die passende Entscheidung aufzuwerfen", sagt Richterin Steinhausen.
Bedeutet: "LOGOS" bietet den Richterinnen und Richtern einen vollständig ausformulierten Urteilsvorschlag an. "'Die Klage wird abgewiesen' steht dann zum Beispiel am Ende unter dem Fall. Trotzdem trifft die Software nicht die Entscheidungen", sagt die Richterin. "Dieser erstellte Urteilsentwurf setzt sich zusammen aus Textbausteinen, die vorher aber vom Richter selbst formuliert worden sind. So gesehen ist es also immer noch eine Entscheidung des entscheidenden Richters."
"LOGOS" ist keine künstliche Intelligenz
Alle Entscheidungen, die die Software trifft, sind für die Richterinnen und Richter nachvollziehbar, denn: Sie haben die Informationen selbst ins Programm eingepflegt, wie Softwarentwickler und Jurist Tilo Wend erklärt: "Es ist ein Softwarewerkzeugkasten mit einzelnen Werkzeugen, die so intuitiv gestaltet sind, dass Richterinnen und Richter selbst sich ihre Automatisierungsstrecken zusammenklicken können. Es ist nur klicken und schreiben, es muss nichts programmiert werden."
Daher sei das Programm auch keine künstliche Intelligenz, sondern ein klar definiertes System. Aber eine zukünftige Arbeit mit künstlicher Intelligenz bei Gericht sei möglich, sagt er: "Technisch geht das, es müssen aber natürlich eine Menge Herausforderungen technischer Art, ethischer Art, aber auch infrastruktureller Art noch gelöst werden, damit das in der Justiz beispielsweise in der Massenanwendung zum Einsatz kommen kann."
Projekt soll fortgeführt werden
Erst einmal soll die Software noch bis zum Frühjahr 2025 beim Landgericht getestet werden. Das Gericht arbeitet dabei mit Knowledge Tools International GmbH, Dataport AöR und dem Ministerium für Justiz und Gesundheit in Schleswig-Holstein zusammen. Das Ministerium bewertet das Projekt als Erfolg und prüft, ob das Projekt verlängert und auf andere Fälle ausgeweitet werden kann, so ein Sprecher. Die Kosten insgesamt liegen bisher bei 185.600 Euro.
Carl-Sebastian Zoellner, Vizepräsident des Landgerichts Kiel, sagt: "Wir werden uns mit dem Ministerium jetzt zusammensetzen und die Schlussfolgerungen, die wir aus diesem Projekt ziehen können, gemeinsam auswerten. Und wenn das Land auch die Mittel hat, würden wir das gerne weiterführen. Beispielsweise, um eine wirkliche KI-Komponente zu ergänzen. Denn die entsprechenden Schnittstellen sind gegeben. Und das wäre sicher eine Richtung in die man denken kann und auch sollte."
Schneller sind die Verfahren bisher nicht
"LOGOS" soll also die Grundlage dafür sein, Entscheidungen am Landgericht Kiel weiter zu digitalisieren und damit die Verfahren schneller machen. Dieser Effekt bleibt aber nach eineinhalb Jahren noch aus, so Richterin Luise Steinhausen: "Zeitersparnis in dem Sinne haben wir konkret heute noch nicht. Letztlich ist es ziemlich aufwändig, das Programm dazu zu bringen, dass es zutreffende Ergebnisse bringt. Das heißt, es muss erstmal mit den vorformulierten Textbausteinen gefüttert werden. Dann muss eine Struktur erstellt werden, die einem Urteil gleicht. Und das ist schon relativ aufwändig.“
Das liege auch daran, dass bei den Klagen gegen Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung viele Variablen zu beachten seien. Bei anderen Fällen wie zum Beispiel Dieselverfahren sei es weniger kompliziert: "So gesehen ist das Programm noch keine Arbeitsentlastung. Aber das ist natürlich das Ziel." Bis so eine digitalen Lösung wie die Software vom Landgericht Kiel also wirklich zu schnelleren Urteilen und zu einer Entlastung der Richterinnen und Richter führt, wird es also vermutlich noch dauern.