Frust bei Geflüchteten: Vielerorts zu wenige Deutschkurse
Sie wollen Deutsch lernen, sind aber zum Warten verdammt: Nach Recherchen von NDR Schleswig-Holstein bekommen viele Geflüchtete zurzeit keinen Platz in Integrationskursen. Das führt zu Frust.
Vier Monate ist es her, da verließ Halyna Andreiko ihre Heimatstadt Charkiw in der Ostukraine und flüchtete nach Deutschland. "Wir hatten so viele russische Angriffe, ich hatte große Angst", sagt Andreiko. Sie ist eine Frau mittleren Alters, trägt einen Kapuzenpullover und eine große braune Hornbrille. Auf dem Tisch vor ihr liegen zwei Schreibblöcke mit Notizen.
Die Ukrainerin sitzt in einem Raum des Bad Oldesloer Vereins Kaktus (Kreis Stormarn). Hier lernt sie zusammen mit zwei anderen Frauen Deutsch. Eine pensionierte Lehrerin unterrichtet die Geflüchteten ehrenamtlich. "Ich will jede Gelegenheit nutzen, um Deutsch zu lernen", sagt Andreiko. Sie hat in der Ukraine mehr als fünfzehn Jahre als Krankenschwester gearbeitet, möchte das auch in Deutschland tun. Um eine Stelle zu finden, braucht sie gute Deutschkenntnisse.
Volkshochschulen: "Situation ist belastend"
Ginge es nach ihr, würde sie deshalb nicht nur ein paar Stunden pro Woche Deutschunterricht nehmen, sondern mehrere Stunden täglich einen der offiziellen Integrationskurse besuchen, die von staatlich beauftragten Trägern wie den Volkshochschulen angeboten werden. Die Kurse umfassen üblicherweise einen mehrmonatigen Sprachkurs und einen sogenannten Orientierungskurs, in dem unter anderem die deutsche Kultur und Rechtsordnung behandelt werden. Das Problem: Freie Plätze gibt es kaum. "Ich habe im Oktober nach einem Kursplatz gefragt", sagt Andreiko. "Bis heute keine Antwort."
Mit ihrem Problem steht die Ukrainerin nicht alleine da. Mehrere Träger von Integrationskursen in Schleswig-Holstein berichten von einem großen Andrang, der kaum zu bewältigen sei. "Die Situation ist sowohl für die Mitarbeitenden an Volkshochschulen als auch für die Menschen auf der Suche nach einem Kursplatz sehr unbefriedigend und belastend", schreibt ein Sprecher des Landesverbands der Volkshochschulen. Die durchschnittliche Wartezeit betrug demnach zuletzt 16 Wochen, teilweise sogar mehr als 24. "Es fehlt fast überall Personal, allem voran Lehrkräfte", erklärt der Sprecher.
Kursleiter haben sich andere Jobs gesucht
Auch bei den Kursen der AWO übersteigt die Nachfrage das Angebot deutlich. "Die Wartezeiten, um einen Integrationskurs bei uns zu beginnen, liegen bei sechs bis 18 Monaten", sagt eine Sprecherin. Besonders auf dem Land sei die Situation angespannt. "Wir haben einen großen Engpass bei den Kursleitenden." Viele der Lehrkräfte seien freiberuflich tätig und hätten sich während der Corona-Pandemie andere Jobs gesucht.
Die Träger kritisieren, dass die Integrationskurse vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht ausreichend vergütet würden. "Der Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit den Kursen steigt seit Jahren beständig an", erklärt die AWO-Sprecherin. "Die Träger müssen entsprechend mehr Ressourcen in die Administration der Kurse investieren, die aber durch Land und Bund nicht ausreichend finanziert sind."
BAMF: Haben Kostensätze für Träger erhöht
Das Bundesamt äußert sich auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein zu den Vorwürfen. Ein Sprecher verweist darauf, dass die Kostensätze für die Träger bereits deutlich erhöht worden seien. Das BAMF arbeite zudem an einem Maßnahmenpaket, "um potentiellen Lehrkräften den Einstieg ins Integrationskurssystem zu erleichtern". Bundesweit gebe es grundsätzlich ausreichend Kursplätze, betont der Sprecher, auch wenn einige Kursträger regional "zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen".
Dass Zugewanderte oft monatelang auf einen Platz in den Integrationskursen warten müssen, ist für den Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein allerdings kein regional begrenztes, sondern ein landesweites Problem. Die Wartezeiten seien für die Menschen psychisch sehr belastend. "Ohne Chance auf Teilnahme an einem zielführenden Sprachkurs sehen sich viele Betroffene gezwungen, eine nicht ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeit im Niedriglohnsektor aufzunehmen und bleiben dann in unterqualifizierten Arbeitsverhältnissen stecken", schreibt der Flüchtlingsrat.
Unternehmensverband: Engpässe schaden Arbeitsmarkt
Auch von Arbeitgeberseite kommt Kritik an den Engpässen. "Die Sprachbarriere ist nach wie vor eine der größten Hürden für eine Integration in den Arbeitsmarkt", sagt der Geschäftsführer des Unternehmensverbands Nord, Sebastian Schulze. "Zu geringe Sprachkurskapazitäten behindern eine schnelle Integration." Es gebe viele Unternehmen, die mehr Geflüchtete beschäftigen wollten, sich aber aufgrund der Sprachbarriere gegen eine Einstellung entscheiden müssten. "Wir brauchen belastbare Strukturen, dass es nicht zu diesen Wartezeiten kommt."
Für die Ukrainerin in Bad Oldesloe, Halyna Andreiko, ist klar: Sie wird weiterhin versuchen, einen Platz im Integrationskurs zu bekommen. "Ich will endlich mehr Deutsch lernen", sagt sie. Sie hofft, dass bald die Zusage kommt. Damit sie endlich eine Perspektive hat. Für ihr neues Leben in Deutschland.