Integrationskurse: Geht nicht, kann nicht, darf nicht
Es ist die große Aufgabe für die Zukunft: Die Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen in die deutsche Gesellschaft. In jeder Rede betonen die Spitzen der Politik, wie wichtig diese Integration und vor allem die deutsche Sprache sei, "sonst riskieren wir eben, dass aus Frust und Langeweile Gewalt und Kriminalität werden oder politischer und religiöser Extremismus gedeihen kann", wie es Bundespräsident Joachim Gauck vor kurzem ausdrückte.
Hartwig Stork dachte, er könnte bei dieser großen Aufgabe helfen. Der ehemalige Oberst der Bundeswehr hat in seiner Dienstzeit viele Jahre im Ausland verbracht, unter anderem auch an der US-Militärakademie Westpoint. Dort brachte er US-Kadetten Deutsch bei, arbeitete als "assistant professor". Deshalb wollte er in seiner ostwestfälischen Heimat als Lehrer in Integrationskursen für Flüchtlinge arbeiten. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lässt ihn nicht. Nicht weil er es nicht kann, denn das hat man gar nicht überprüft. Stork habe kein Hochschulstudium oder einen sprachlichen Berufsabschluss und damit sei er nicht geeignet.
"Deutsche Gründlichkeit" vs. "deutsche Flexibilität"?
Dabei werden Lehrkräfte bundesweit verzweifelt gesucht, über 5.000 Lehrer fehlen laut dem Deutschen Volkshochschul-Verband. Denn es gibt eine riesige Nachfrage nach Integrationskursen. Mithilfe dieser Integrationskurse will die Politik die vielen Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft integrieren, ihnen die deutsche Sprache und Grundkenntnisse des Staates beibringen.
Recherchen von Panorama zeigen allerdings, dass dieses hehre Ziel oftmals an einem Übermaß an Bürokratie scheitert. Das Diktum von Bundeskanzlerin Merkel, dass "deutsche Gründlichkeit" super sei, aber im Zuge der vielen Flüchtlinge nunmehr auch "deutsche Flexibilität" gebraucht werde, scheint in der Praxis noch nicht ganz angekommen zu sein.
Ohne Hochschulstudium kein Unterricht
So stellt sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beim ehemaligen Bundeswehr-Oberst Stork quer. Zwar verweist man darauf, dass man die Kriterien für die Zulassung von Lehrern bereits abgesenkt habe und auch bereits viele tausend Lehrer im vergangenen Jahr zugelassen habe, nur an einem Kriterium wird nicht gerüttelt: Ein Hochschulstudium oder ein sprachlicher Berufsabschluss ist zwingend. Die für Integration zuständige Abteilungsleitern im BAMF, Regina Jordan, begründet dieses Pochen auf dem Uni-Abschluss wie folgt: "Das Hochschulstudium vermittelt gewisse Grundqualifikationen, die ich als Lehrkraft in einem Integrationskurs einfach brauche: Abstraktionsfähigkeit und auch die Fähigkeit, sich Sachverhalte eigenständig zu erschließen".
Stork versteht die Welt nicht mehr: Er hat das deutsche KFOR-Kontingent im Kosovo kommandiert, diente in diversen Stäben, unterrichtete an der Offiziersschule des Heeres in Dresden und brachte mehrere Jahre US-Kadetten Deutsch bei. Nur als Lehrer in Integrationskursen darf er nicht arbeiten. "Jetzt weiß ich, was mir in meiner 40-jährigen Offizierszeit bei der Bundeswehr gefehlt hat", so Stork.
Dass er es kann, beweist Stork seit Anfang des Jahres. Er unterrichtet einen Einsteigerkurs für Flüchtlinge. Nur auch damit ist es seit Ende März vorbei. Die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak machten große Fortschritte und sind nun zum Warten auf einen Platz in einem Integrationskurs verdammt.
Hoffen auf bürokratische Erleichterungen
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), saarländische Regierungschefin und Präsidentin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes fordert im Panorama-Interview mehr Flexibilität und plädiert dafür, dass Einzelfälle wie Stork trotz fehlender formaler Qualifikationen zumindest überprüft werden. "Für uns als Bildungsträger ist der Bedarf auch schwer zu decken und wir brauchen auch wirklich gute qualifizierte Menschen. Aber wir werden immer Fälle haben, wo es an dem formalen Abschluss fehlt und wo die Person sonst aber alles mitbringt. Und zumindest müssten wir diese Menschen zu einer Fortbildung zulassen", so Kramp-Karrenbauer.
Etwa 40 Prozent aller Integrationskurse werden von den Volkshochschulen (VHS) in Deutschland veranstaltet. Und viele Volkshochschulen hoffen auf bürokratische Erleichterungen, um den Ansturm auf die Integrationskurse bewältigen zu können.
Schildbürgerstreich aus den Tiefen der Bürokratie
In Bad Krozingen in Baden-Württemberg kämpfen VHS-Leiterin Barbara Schweer und ihr Team täglich mit Zulassungsanträgen, Abrechnungsbögen, Anwesenheitslisten und der Integrationsverordnung. Allein die Abrechnung der Integrationskurse entpuppt sich als ein bürokratisches Monstrum. Erst müssen die Teilnehmer des Integrationskurses die Anwesenheitsliste unterschreiben. Penibel wird vom BAMF aufgelistet, wie das ordnungsgemäß zu geschehen hat: "Die Eintragungen sind mit einem Kugelschreiber oder ähnlichem, nicht radierbaren Stift vorzunehmen (nicht mit Bleistift)", heißt es in der Abrechnungsrichtlinie, kurz AbrRL.
Diese Liste landet dann bei VHS-Mitarbeiterin Silke Bannasch auf dem Tisch, und nun kommt eine zweite Liste ins Spiel: Denn Bannasch muss die Anwesenheitsliste in eine Kreuzchenliste übertragen. Fein säuberlich wird also für jeden Tag und für jeden Teilnehmer ein extra Kreuz gesetzt. Und weil das noch nicht genug des bürokratischen Wahnsinns ist: In eine dritte Liste werden die Daten für die Abrechnung erneut eingetragen. All das wird dann an das BAMF geschickt.
Was sich wie ein Schildbürgerstreich aus den Tiefen der Bürokratie anhört, hat für die VHS in Bad Krozingen ganz reale Auswirkungen. "Ich könnte meine Mitarbeiter auch viel besser einsetzen, zum Beispiel für die Beratung der Teilnehmer, als dass sie Kreuzchenlisten ausfüllen", so Schweer. BAMF-Vertreterin Jordan hält das Verfahren nicht für zu aufwendig, es gehe schließlich um die Verwendung von Steuergeldern.
Mehr Flexibilität ist gefragt
VHS-Leiterin Schweer ärgert, dass sie so unter Generalverdacht gestellt wird. Klar müsse man kontrollieren, aber deswegen gebe es ja auch ein umfangreiches Verfahren bei der Zulassung als Kursträger. Warum das BAMF den Trägern vor Ort nicht mehr Vertrauen entgegen bringt, kann sie nicht verstehen. In Normalsituationen mag das System funktionieren, aber ob des schieren Andrangs auf die Integrationskurse könne man nicht von Normalität sprechen, so Schweer.
Auch VHS-Präsidentin Kramp-Karrenbauer spricht von "Beharrungskräften", die in jedem Apparat vorhanden seien. "Da brauchen wir mehr Flexibilität", so ihre Forderung. Denn die Zahl der Flüchtlinge, die in Integrationskurse strömen, dürfte dieses Jahr massiv steigen. Mit etwa 350.000 Teilnehmern rechnet das BAMF.
Jeden Donnerstag hält die VHS in Bad Krozingen eine Sprechstunde für Flüchtlinge zum Thema Integrationskurs ab. Normal dauert die Beratung zwei Stunden. Oft müssen die Mitarbeiter aber die doppelte Zeit beraten, so groß ist der Andrang. Sechs Kurse wollen sie nun im Jahr geben, die Nachfrage ist aber doppelt so groß.
VHS-Leiterin Schweer verfolgt die politische Debatte über Flüchtlinge, die sich integrationsunwillig zeigen würden, mit Kopfschütteln. Natürlich gibt es auch Integrationsunwillige, nur: "Ich erlebe die Flüchtlinge überwiegend als lernbegierig. Die Flüchtlinge möchten Deutsch lernen, die möchten sich integrieren, und die möchten arbeiten. Stattdessen fokussiert man sich in der Öffentlichkeit immer auf die fünf Prozent, die das nicht wollen."
Nachtrag vom 22. Juni: Mittlerweile hat der ehemalige Bundeswehr-Oberst Stork die Zulassung vom BAMF erhalten, als Integrationslehrer zu arbeiten.