Excel statt Acker: Diskussion um Bürokratie in der Landwirtschaft
Sie soll Nährstoffströme besser dokumentieren, aber sie sorgt vor allem für Bürokratie: Wie die "Stoffstrombilanzpflicht" Landwirte von ihrer eigentlichen Arbeit abhält.
Jan Witting hat kein Interesse daran, seine Pflanzen zu überdüngen. Denn Dünger kostet Geld. "Dann setze ich Nährstoffe und Kapital ein, das die Pflanze gar nicht umsetzen kann", sagt Witting, der einen Betrieb in Rehhorst im Kreis Stormarn hat. Dass Landwirte nicht nach Lust und Laune übermäßig Gülle ausfahren, dagegen spricht also schon der "landwirtschaftliche Sachverstand", wie er es formuliert.
Daten werden mehrfach erfasst
Wie viele Nährstoffe seine Pflanzen brauchen, das berechnet Witting vorher. Und dokumentiert es natürlich. "Einmalig ist das auch total legitim", sagt er. Es mehrmals zu dokumentieren, sei aber "nicht sinnstiftend", drückt der Landwirt es vorsichtig aus.
Genau das aber passiert. Und das liegt an der Stoffstrombilanz. Sie soll transparent machen, welche Nährstoffe auf die Felder gehen und welche wieder raus gehen. Etwa wie viel Stickstoff und Phosphor über Dünger oder Futter in den Betrieb gelangt und über die Produkte wieder den Betrieb verlässt.
Zeit ist Geld
Vier bis fünf Stunden pro Woche Mehraufwand bedeutet die Stoffstrombilanz im Ackerbau- und Schweinehaltungsbetrieb von Jan Willing, schätzt er. Immer, wenn er Saatgut oder Futter einkauft, muss er die enthaltenen Nährstoffe dokumentieren. Und wenn er Getreide oder Fleisch verkauft, auch. Oder wenn er Gülle abgibt. "Und das schreibe ich alles auf und ziehe am Ende eine Bilanz."
Und zwar obwohl er vorher schon dokumentiert hat, was er auf seinem Feld ausbringt. Und es in sein "Feldtagebuch" schreibt, die sogenannte Ackerschlagkartei. Für die erste Stoffstrombilanz hat er sich damals einen Berater geholt. Um keine Fehler zu machen.
Bauernverband: Zu viel Aufwand
Die Stoffstrombilanz gibt es seit 2018. Von Anfang an, sagt der Bauernverband Schleswig-Holstein, sei die Berechnung fehlerhaft gewesen. Seitdem fordere man die Abschaffung. Der Aufwand viel zu hoch. Und von europäischer Ebene gebe es keine Verpflichtung zu dieser Bilanzierung, so das Argument.
Ziel der Vorschrift ist es eigentlich, die Umwelt zu schützen. Bini Schlamann ist beim BUND Schleswig-Holstein für den Bereich Landwirtschaft und Biodiversität zuständig. Sie erzählt, wie es sich auswirkt, wenn zu viele Nährstoffe ins Wasser gelangen. An der Schlei etwa färbt sich das Wasser an manchen Stellen grün und es entsteht ein unangenehmer Geruch.
BUND findet Stoffstrombilanz wichtig für die Transparenz
Schlamann sagt, zu große Nährstoffeinträge führten auch zur Vermehrung von Blaualgen - und zu Badeverboten. Die Stoffstrombilanz, sagt Schlamann, mache "mega transparent", wo die größten Nährstoffüberschüsse entstehen. "In allen anderen Unternehmen sagt man zu so etwas Controlling." Und davon könnten die Bauern profitieren und beispielsweise mit nährstoffreduzierter Ernährung reagieren, so die BUND-Frau.
Der Bauernverband dagegen sagt: Die Methode sei gar nicht dazu geeignet, die Gewässerqualität zu verbessern und eine grundwasserschonende Bewirtschaftung nachzuweisen. Und Bauer Jan Witting sagt, mit der Stoffstrombilanz werde nur der grobe Bestand im gesamten Betrieb dokumentiert. Nicht aber, wie viele Nährstoffe genau auf den Feldern verteilt sind.
Politik will Entlastung schaffen
Der Landtag hat Freitag darüber diskutiert, wie Landwirte von Bürokratie befreit werden können - damit sie sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können. Für die FDP-Abgeordnete Anne Riecke ist die Stoffstrombilanzpflicht "ein bürokratisches Monster, das keinen echten Mehrwert für den Umweltschutz bietet, aber viel Arbeit verursacht."
Die FDP fordert deshalb, dass die Landesregierung sich für eine Abschaffung der verpflichtenden Stoffstrombilanz einsetzt. "Eine nachhaltige Landwirtschaft erreichen wir nicht durch Excel-Tabellen und Bürokratenwillkür, sondern durch praxistaugliche, digitale Lösungen, die Landwirte entlasten, statt sie weiter zu gängeln", so Anne Riecke. Der FDP-Antrag fand aber keine Mehrheit.
Standards sollen erhalten bleiben
Dass Papierkram die Landwirte nicht von ihren eigentlichen Aufgaben abhalten sollte, das sehen zwar auch die anderen Fraktionen so. Aber ganz ohne geht es eben auch nicht, findet etwa Sandra Redmann von der SPD. Denn eine gesunde Umwelt und saubere Meere seien ein hohes Gut: "Es reicht daher nicht, immer nur nach weniger Kontrolle zu rufen, es heißt eben auch sich an teils hohe Standards zu halten und dies dann auch nachweisbar."
Die SPD stimmte am Ende einem gemeinsamen Antrag von CDU, Grünen und SSW zu. Sie fordern darin, dass die Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft zügig umgesetzt werden sollen. Das Gremium auf Bundesebene, in dem Landwirtschaft, Verbraucher, Umweltverbände und Wissenschaftler vertreten sind, hatte zuletzt Ende 2024 Vorschläge gemacht - auch zum Abbau von Bürokratie. Landwirtschaftsminister Werner Schwarz (CDU) fordert von der kommenden Bundesregierung, auf Basis dieser Empfehlungen zügig eine bundesweite Regelung auf den Weg zu bringen.
Gespräche über Bürokratieabbau
Weniger Bürokratie - das hatten die Landwirtschaftsminister nach den Bauernprotesten im vergangenen Jahr zugesagt. In Schleswig-Holstein sitzen Land, Bauernverband und Landwirtschaftskammer seit dem Frühjahr 2024 in einer Arbeitsgruppe zusammen. Die "Kernarbeitsgruppe zur Entbürokratisierung" beschäftigt sich zum Beispiel mit
- Baurecht: Laut Bauernverband genehmigen die Behörden oft nur ein Altenteilerhaus auf landwirtschaftlichen Betrieben. Damit auch mehrere Generationen unterkommen können, arbeite man intensiv daran, das Baurecht anzupassen.
- Sachkundenachweise: Wer Ratten und Mäuse bekämpfen will, braucht einen Sachkundenachweis. Der Bauernverband will erreichen, dass der entsprechende Sachkundenachweis für "Schadnager" gemeinsam mit dem Nachweis für die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln abgebildet werden kann.
- Antibiotika: Laut Bauernverband sollten die in bestimmen Fällen sehr umfangreichen Antibiotika-Maßnahmenpläne bei Tierhaltern deutlich gekürzt werden.
Erste Erfolge und Reformwünsche
Bauernpräsident Klaus-Peter Lucht fordert mehr Vertrauen in die Arbeit der Landwirte. Mit Blick auf die Arbeitsgruppe lobt er aber das Engagement der Beteiligten und sagt: "Erste Erfolge lassen sich bereits verzeichnen."
Wenn Landwirt Jan Witting sich etwas wünschen könnte, dann wäre das eine Datenbank, in der er seine Werte eingeben kann - und wer auch immer Zugriff darauf braucht, kann sich seine Daten raus suchen. "Das erspart mir halt viel Zeit, weil ich es einmal dokumentiere und nicht für mehrere Systeme."
Das allerdings, sagt er, würde eine ganz grundlegende Reform bedeuten.
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