Essstörungen: Für Männer immer noch ein Tabu-Thema
Schleswig-Holstein gehört zu den Ländern mit den meisten Patientinnen und Patienten, die Essstörungen haben. Meistens sind sie weiblich. Männern scheint der Weg zum Therapeuten schwerer zu fallen.
Ein langsamer Spaziergang durch den Wald war für Maximilian (Name geändert) noch vor wenigen Wochen mit Stress verbunden. Denn der Student hatte den Drang, sich schneller zu bewegen. Bevor sich der junge Mann in therapeutische Behandlung begab, trieb Maximilian exzessiv Sport: sechs- bis siebenmal pro Woche, jeweils für zwei bis drei Stunden. Und er aß viel zu wenig. Er hatte das Gefühl, sich das Essen durch den Sport erarbeiten zu müssen. Wie wenig genau er wog, möchte Maximilian nicht sagen. Das Untergewicht sei aus medizinischer Sicht "akut bedenklich" gewesen.
Besonders viele Patientinnen und Patienten in Schleswig-Holstein
Nach Erhebungen der Barmer Krankenkasse lag die Zahl der diagnostizierten Fälle von Essstörungen in Schleswig-Holstein zuletzt bei 522 pro 100.000 Einwohner. Der Bundesdurchschnitt lag bei 430 Patienten pro 100.000 Einwohner. Nur in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin gab es höhere Werte. Die jüngsten Zahlen beziehen sich aufs Jahr 2021. "Gerade bei Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht müssen wir zusätzlich von einer hohen Dunkelziffer ausgehen", sagt Barmer-Landesgeschäftsführer Bernd Hillebrandt. "Insbesondere Männer haben eine höhere Hemmschwelle, sich eine als 'weiblich' angesehene Krankheit einzugestehen und Hilfe zu suchen."
Beginn der Magersucht ist ein schleichender Prozess
Vor rund zwei Jahren hatte Maximilian, der im nördlichen Hamburger Umland wohnt, den Entschluss gefasst, gesünder zu leben und mehr Sport zu treiben. Anfangs tat er das in einem unbedenklichen Maß, doch dann traten mehrere schwierige Situationen in seinem Leben auf: eine Trennung, Nachwirkungen von Corona und Belastungen im Studium. Der Ausdauersport nahm einen immer größer werdenden Teil seines Lebens ein. Zusätzlich achtete der Mann Anfang 20 immer intensiver auf gesunde Ernährung und aß immer kleinere Portionen.
Stationäre Behandlung in der Schön Klinik Bad Bramstedt
Das Untergewicht führte bei Maximilian zu erheblichen gesundheitlichen Problemen: "Es fing mit einem permanenten Kältegefühl an, dazu kamen Konzentrationsschwierigkeiten und viele Blutwerte waren erhöht." Sein Umfeld bemerkte die Veränderungen und riet ihm, sich professionelle Hilfe zu holen. Seit gut zwei Monaten ist der Mann Anfang 20 in stationärer Behandlung in der Schön Klinik Bad Bramstedt (Kreis Segeberg). Mit Hilfe vieler Gespräche und einer Verhaltenstherapie soll Maximilian nicht nur Gewicht zunehmen, sondern auch die Freude am Sport und am Essen zurückgewinnen.
Überwiegend Frauen von Essstörungen betroffen
Die Zahl der erkrankten Frauen ist laut Barmer im Bundesdurchschnitt 4,5-mal höher als die der Männer. Oberärztin Dr. Katharina Wong erklärt diesen Unterschied damit, dass weibliche Körper in der Öffentlichkeit schon seit Langem viel intensiver bewertet werden als männliche: "Es gibt Schönheitsideale, wie eine Frau auszusehen hat. Die wandeln sich natürlich: vom weiblichen sinnlichen Körper der 1950er-Jahre hin zum Heroin-Chic der Neunziger, wo die Frauen sehr dünn, auch untergewichtig waren." Abweichungen von diesen Normen würden bei Frauen deutlicher wahrgenommen, sodass das Bewusstsein für Essstörungen ausgeprägter sei als bei Männern.
Body-Mass-Index als Messwert für Unter- und Übergewicht
Der Body-Mass-Index (BMI) ist ein Wert, der das Körpergewicht ins Verhältnis zur Körpergröße setzt. Die Formel zur BMI-Berechnung lautet Körpergewicht (in Kilogramm) geteilt durch Körpergröße (in Meter) zum Quadrat. Als normalgewichtig gelten Menschen mit einem BMI von 21 bis 25. In der Schön Klinik Bad Bramstedt gilt für die Behandlung ein Mindest-BMI von 13,5. Ein 1,75 Meter großer Mensch mit diesem Wert wiegt nur 42 Kilogramm.
Dauer der Therapie richtet sich nach Behandlungserfolg
Wie lange Maximilian noch in Bad Bramstedt bleibt, ist offen. Sein Bezugstherapeut und auch Maximilian selbst sind stolz auf die ersten Erfolge: So schafft er es inzwischen, eine vollwertige Portion zum Mittag zu essen und auch der Drang nach Sport ist bereits kleiner geworden. Maximilian ist zuversichtlich, dass er nach Abschluss der Therapie im kommenden Jahr sein Studium beenden kann.
Anlaufstellen in Schleswig-Holstein
- Schön Klinik Bad Bramstedt
- Curtius Klinik Bad Malente
- Landesverband Frauenberatung e. V.
- Frauenberatungsstelle Eß-o-Eß