Erst angefeindet, jetzt im Bundestag: 75 Jahre SSW
Erst angefeindet, dann Teil einer Regierung, schließlich im Bundestag: Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) war 1948 gegründet worden - als Partei der dänischen und friesischen Minderheit. Jetzt feiert die Partei ihr 75-jähriges Jubiläum.
Vom "hässlichen Entlein" zum "schönen Schwan". So beschreibt der SSW-Landesvorsitzende Christian Dirschauer den Werdegang seiner Partei. Einst hatten sie eine kleine Kernwählerschaft. Inzwischen hat sich die Partei über Schleswig-Holstein hinaus etabliert. Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr feierte der SSW ein historisches Ergebnis mit 5,7 Prozent, das war doppelt so viel wie bei der Wahl 2017. Bei der Kommunalwahl in diesem Jahr erreichte die Partei dann 4,6 Prozent.
Jetzt feiert die Partei ihr 75-jähriges Jubiläum. Und ist so erfolgreich wie nie. "Es ist bemerkenswert, dass wir uns als Minderheitenpartei trotz aller Widerstände und auch Klagen gehalten haben", sagt Landtagsfraktionschef Lars Harms. Die Partei ist angesehen als gelungenes Beispiel für Völkerverständigung und Minderheiten-Integration.
Von der Fünfprozentklausel befreit
Das war nicht immer so. Mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen 1955 wurde der SSW von der Fünfprozentklausel bei Landtags- und Bundestagswahlen befreit. Das gab in der Vergangenheit viel Kritik. Der ehemalige Landesvorsitzende Flemming Meyer erinnert sich noch an die Anfeindungen im Nachkriegsdeutschland. Sein Vater Karl Otto Meyer war 15 Jahre lang Parteichef und fraktionsloser Abgeordneter im Landtag.
Eklat im Jahr 1987
1987 kam es zum Skandal. Nachdem der CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel zurückgetreten war, weigerte sich Meyer einen neuen CDU-Ministerpräsidenten mitzuwählen. Björn Engholm (SPD) gewann die Wahl. Meyer erhielt Drohbriefe, die Familie hatte Polizeischutz.
Junge Union klagt 2012
2012 klagten Mitglieder der Jungen Union beim Landesverfassungsgericht gegen den besonderen Rechtsstatus. Zu dem Zeitpunkt war der SSW an der Küstenkoalition unter Führung des damaligen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) beteiligt.
"Für die Partei eine bedrohliche Zeit, es war ein Moment der Gefahr, wie relevant die Partei in Zukunft noch sein wird", sagt Rechtswissenschaftler Florian Becker. Er war 2008 bis 2009 Prozessvertreter für die FDP-Fraktion vor dem Landesverfassungsgericht. 2013 bekräftigte das Landesverfassungsgericht das besondere Privileg. "Die Entscheidung hat der Entwicklung der Partei geholfen. Ohne diese wahlrechtliche Ausnahme wäre es der Partei vermutlich nicht möglich gewesen, sich parlamentarisch so zu entwickeln", so Becker.
Ausweitung der Themenfelder
Zuspruch erhält die Partei über die Angehörigen der dänischen und friesischen Minderheit hinaus. "Dort präsentiert sich der SSW vor allem als Regionalpartei des Nordens, und als eine linksliberale Partei, in der Nähe der SPD und der Grünen", fasst Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen zusammen. "Mit den Wahlerfolgen ging eine Ausweitung der Themenfelder einher, die parlamentarisch bearbeitet werden konnten. Heute ist die SSW-Fraktion ein parlamentarischer Vollsortimenter", so Landtagspräsidentin Kristina Herbst.
Mit nordischen Lösungen nach Berlin
Die Reichweite der Partei ragt über Schleswig-Holstein hinaus. Seit 2021 sitzt Stefan Seidler als SSW-Abgeordneter im Bundestag. Damit ist die Partei seit knapp 70 Jahren wieder mit einem Mandat im Bundestag vertreten und erhält weitere Sichtbarkeit. "Ein großer Meilenstein" sei das, so Seidler. "Wir treffen den Puls der Zeit." Seidler will die nordischen Werte in Berlin etablieren. Erste Erfolge sieht er beim Thema Küstenschutz.
Regierungsbeteiligung nicht ausgeschlossen
Für die europäische Ebene reicht der Ehrgeiz der Partei aber wohl noch nicht. An der Europawahl 2024 wird der SSW nicht teilnehmen. Derzeit ist der SSW in Schleswig-Holstein in der Opposition. Für eine erneute Regierungsbeteiligung wie unter Ministerpräsident Albig, bleibt der SSW aber offen.