Krebskranke Eltern: Verein hilft betroffenen Kindern
Wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt, dann werden Kinder oft schnell zu Erwachsenen. Ein Projekt in Lübeck unterstützt sie und kümmert sich darum, dass sie mal wieder unbeschwert Kind sein dürfen.
"Ich war als Erstes total schockiert darüber und habe auch angefangen zu weinen. Aber dann habe ich mich danach auch wieder irgendwie gefangen und ihr gesagt, dass alles gut wird." Die 13-Jährige Amelie erzählt von dem Moment, als ihre Mutter ihr gesagt hat, dass sie an Schilddrüsenkrebs erkrankt ist. Es war im Auto auf der Fahrt vom Krankenhaus nach Hause. "Sie hat es mir im Auto gesagt, weil sie Angst hatte, dass ich mich sonst in mein Zimmer verkrieche und das mit mir alleine ausmache", erzählt Amelie weiter.
Deutsche Krebsgesellschaft: Jedes zehnte Kind psychisch auffällig
So wie der 13-Jährigen geht es vielen Kindern. Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft gehen Fachleute davon aus, "dass jedes zehnte Kind krebskranker Eltern psychisch auffällig wird". Die Diagnose bringt oft Ängste, Ohnmacht, Unsicherheiten und emotionalen Druck mit sich. "Ich habe schon von Anfang an sehr auf meine Mutter geachtet. Habe sie morgens geweckt und gefragt, ob sie ihre Tabletten genommen hat und ob sie genug getrunken hat", sagt Amelie. "Ich habe auf meine Mama schon sehr ein Auge gehabt."
Recherche belegt die Belastung
Karola Brixius kennt solche Fälle. Die Psychologiestudentin arbeitet zusammen mit sechs weiteren Studenten der Medizin und der Psychologie ehrenamtlich für "Time out". Finanziert wir das Projekt durch die Schleswig-Holsteinische Krebsgesellschaft. Ins Leben gerufen wurde "Time out" durch Medizinstudenten der Uni Lübeck. "Die Studenten haben das Projekt nach einer relativen langen Literaturrecherche gegründet, in der sie festgestellt haben, dass es bei Kindern und Jugendlichen, die an Krebs erkrankte Familienangehörige haben, eine höhere Rate an sozialer Isolation gibt."
"Time out": Ein Ort der Entlastung
![Mehrere Kinder sitzen auf einem Sofa und spielen auf einer Spielekonsole Mehrere Kinder sitzen auf einem Sofa und spielen auf einer Spielekonsole © NDR Foto: Christiane Stauss](/nachrichten/schleswig-holstein/timeout100_v-contentgross.jpg)
Oft fallen diese Kinder, wie auch Amelie, aus ihrer Kindrolle raus und schlüpfen in die Rolle des Versorgers, weiß Karola Brixius. Einmal im Monat treffen Karola und eine Mitstudentin sich mit den Kindern. Auch Amelie, ihr Cousin Maxi und Kumpel Leon sind meist mit dabei. "Wir bieten für die Kinder regelmäßig kostenlose Veranstaltungen an. Klettern zum Beispiel oder Minigolf. Worauf die Kids eben Lust haben", erklärt die Studentin. Und heute haben Amelie, Leon und Maxi Lust auf einen Mix: Kickern, Darten, Pizza Essen und Spielekonsole - im Jugendhaus Röhre in Lübeck.
Einmal im Monat eine wertvolle Zeit für alle
Für die Kinder und auch die Eltern ist das Projekt ein Anker in schwerer Zeit. "In einer Lebensphase, in der sich die Angst kaum ausstellen lässt, ist "Time out" für alle eine extrem wertvolle Entlastung", erzählt Amelies Mutter Svenja. "Ich habe ja gesehen, dass Amy in der Zeit seit meiner Diagnose sehr erwachsen geworden ist. Und Karo und ihr Team haben sie wieder zum Kind gemacht. Und das war halt einfach auch für mich sehr, sehr wichtig."
Eine ganz besondere Verbindung
Zwei Stunden können die Kinder heute das sein, was sie sind: Kinder. Sie können für diese Zeit die Verantwortung abgeben, die auf ihren jungen Schultern lastet. Es ist der einzige Raum, in dem Amelie ihre Ängste nicht in sich selbst verbergen muss, sondern sich mit Kindern austauschen kann, die ähnliche Belastung erfahren. "Man kriegt hier sehr viel Erholung vom Alltag", erklärt die zierliche 13-Jährige. Alle hier seien nett und Studentin Karo ist für das Mädchen mittlerweile schon etwas Besonderes: "Karo sehe ich jetzt schon als meine beste Freundin an", sagt die Schülerin lächelnd.
Schwere nehmen und Leichtigkeit geben
Kinder von krebskranken Eltern erleben eine Welt, die für ihr Alter oftmals viel zu schwer ist. Das Projekt bietet ihnen, aber auch den betroffenen Eltern, einen Raum der Ruhe, der Auszeit und der Unterstützung. "Ich habe noch häufig Angst um meine Mutter. Besonders dann, wenn sie mal wieder ins Krankenhaus muss", sagt Amelie. Aber die Menschen von "Time out" können das oft immer wieder auffangen.
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