Nach Krebserkrankung: Betroffene brauchen Gemeinschaft

Stand: 08.06.2024 06:00 Uhr

Rund 20.000 Menschen in Schleswig-Holstein erkranken jedes Jahr an Krebs. Für sie hat die Erkrankung auch psychische Auswirkungen. Es entstehen Gefühle wie Angst, Wut oder Traurigkeit. Im Seminar "Auszeit für mich" tauschen sich Betroffene aus.

von Stella Kennedy

Noch brennt die Sonne auf die Gruppe am Fluss. Sie tragen rote Schwimmwesten und tragen Kanus ans Ufer der Trave. Die Stimmung ist gut. Einer von ihnen ist Karsten Fesser. In dem Moment, als der 52-Jährige sein Kanu in das dunkelgrüne Wasser des Flusses hievt, ertönt in der Ferne ein Donnergrollen. "Ach", sagt er und setzt sich in das schmale Boot. "Das wird schon!" Als wenige Minuten später auch das letzte Kanu der 15-köpfigen Gruppe hinter der von Trauerweiden umrahmten Flussbiegung verschwunden ist, fällt der erste Tropfen Regen.

Karsten Fesser steht in einer sportlichen Kleidung in Aukrug und blickt in die Kamera. © NDR Foto: Stella Kennedy
Karsten Fesser, 52, hat Hautkrebs. Das hält ihn aber nicht davon ab, sein Leben in vollsten Zügen zu genießen. (Rad-)sport gehört bei ihm dringend dazu.

Wenige Stunden zuvor haben sie sich alle erst kennengelernt. Diese 15 unterschiedlichen Menschen aus ganz Schleswig-Holstein. Wie Karsten Fesser sind sie hier hergekommen, an die Trave, unweit des Klosters Nütschau, nordwestlich von Bad Oldesloe (Kreis Stormarn). Das Seminar wird von der Schleswig-Holsteinischen Krebsgesellschaft ausgerichtet und ist ohne Spenden nicht möglich, für die Teilnehmenden ist die "Auszeit für mich" kostenfrei. Drei Tage lang werden sie sich austauschen, werden Yoga machen, Kunst und Musiktherapie - und Kanufahren. Eines verbindet sie: Sie alle haben Krebs. Manche haben ihre Diagnose gerade erst bekommen, andere befinden sich schon in Therapie.

Mit einem veränderten Leberfleck fing alles an

Bei Karsten Fesser kam die Diagnose vor drei Jahren. "Meine Verlobte, damals noch Freundin, hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass sich ein Leberfleck an meinem Bauch irgendwie verändert hatte", erzählt er und räuspert sich. In rund fünf Stunden wird Fesser sich in das Kanu setzen, jetzt allerdings steht er noch in seinem Garten. Im Hintergrund plätschert Wasser in einen Zierteich, Vögel zwitschern, Idylle. Der gelernte Sozialpädagoge und Manager ist athletisch, trägt eine eng anliegende Rennradmontur und lächelt viel. Nichts deutet darauf hin, dass er schwerkrank ist. Fesser hat schwarzen Hautkrebs im vierten Stadium. Das bedeutet, dass sich in seinem ganzen Körper Metastasen gebildet haben.

"Früher habe ich gedacht, ich bin Supermann, mir kann nichts passieren", erzählt er. Er sei "total unverantwortlich" damit umgegangen, dass er einen sehr hellen Hauttyp habe, sagt er. "Ich bin nicht zu Vorsorgen gegangen, ich hab das nicht ernst genommen und erst in dem Moment, wo der Krebs dann sichtbar wurde auf dem Körper, da habe ich mir natürlich Sorgen gemacht." Trotz chirurgischer Eingriffe hat der Tumor gestreut. Mittlerweile ist Fessers Zustand stabil, er bekommt eine Immuntherapie. Dennoch ist ihm klar, dass sein Leben endlich ist. Ganz bewusst gehe er nun mit dem Tod um.

Weitere Informationen
Ein Sonnenhut, eine Sonnenbrille und Sonnenschutzcreme liegen auf einem Tisch. © Colourbox

Menschen in SH benutzen nicht ausreichend Sonnenschutz

Fast 60 Prozent der Befragten finden das Eincremen laut einer Studie aufwändig - obwohl Sonnenschutz eigentlich wichtig sei. mehr

Der Tod als Verbündeter

"Der Tod ist, wenn man ihn als Verbündeten sieht, ein hervorragender Ratgeber. Weil er einen auffordert zu leben, der zu sein, der man ist, von Natur aus und seinen eigenen Weg zu gehen", sagt Fesser. Sein Weg, das heißt Sport machen, Radfahren, Zeit verbringen mit seiner Verlobten. Jeden Moment ganz bewusst erleben. "Für mich zählt, so allgemein sich das anhört, einfach tatsächlich nur das Hier und Jetzt." Nach dem Interview packt er seine Taschen, gleich wird er sich ins Auto setzen und zum Seminar fahren. Er möchte mit den anderen dort sprechen, erfahren, wie die ihren Alltag bewältigen und vor allem, was für Wünsche und Ziele sie "in diesem Leben noch haben".

Eine Frau in einer weißen Bluse steht im Vordergrund einer Personengruppe und blickt in die Kamera. © NDR Foto: Stella Kennedy
Die Kieler Ärztin Prof. Dr. med. Katharina C. Kähler hat vor vier Jahren die "Auszeit für mich" ins Leben gerufen, ein mehrtägiges Seminar für Krebspatient*innen zwischen 25 und 54 Jahren.

Bevor die Kanutour startet, bilden sich jeweils Zweierteams, die sich ein Kanu teilen werden. Das Motto - wir sitzen alle in einem Boot. Überlegt hat sich das Katharina Kähler. Sie ist Oberärztin an der Klinik für Dermatologie und Leiterin des Hautkrebszentrums des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH). In weißer Bluse steht sie auf der Brücke über dem Fluss. Sie wird sich gleich mit Karsten Fesser ein Kanu teilen. "Letztendlich ist Krebs eine ganz existentielle Krise", sagt sie.

Die Kraft der Gemeinschaft

Tagtäglich erlebe sie das in der Klinik. Patienten, die von der Krebsdiagnose niedergeschmettert sind. Was diese dann bräuchten? Gemeinschaft. "Jeder Mensch profitiert immens, wenn er das Gefühl hat, nicht alleine damit zu sein und zudem Unterstützung zu erfahren von anderen", findet Kähler. Neben ihren anderen Aufgaben ist sie die Vorsitzende der Schleswig-Holsteinischen Krebsgesellschaft und hat das Seminar "Auszeit für mich" ins Leben gerufen. "Wir haben das große Glück, Menschen helfen zu können durch moderne Therapien. Und trotzdem ist es neben der medizinischen Versorgung so wichtig, den einzelnen Menschen zu sehen hinter einem Befund und dafür soll dieses Seminar hilfreich sein", so Kähler. Um weiterhin Krebspatienten mit Seminaren wie diesem und mehr unterstützen zu können, sei die Schleswig-Holsteinische Krebsgesellschaft auf Spenden angewiesen, sagt sie.

Zusammen mit Karsten Fesser trägt sie das Kanu ans Flussufer. Auch die anderen aus der Gruppe haben ihre Kanus bereit gemacht, haben sich die roten Schwimmwesten übergezogen. Einigen sieht man die Erkrankung nicht an, andere tragen Kopftücher oder Perücken, um ihren durch Chemotherapie verursachten Haarverlust zu kaschieren. Um sie herum zwitschern die Vögel, es blüht, ein Fluss, der stetig Richtung Ostsee fließt und in der Ferne das Donnergrollen. Karsten Fesser im Kanu lächtelt und macht das Daumen-Hoch-Zeichen. Dann paddelt er los.

Weitere Informationen
Dermatologe untersucht mit einer Lupe die Haut eines Patienten. © picture alliance dpa Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Schwarzer Hautkrebs: Symptome, Behandlung und Früherkennung

Das maligne Melanom ist besonders gefährlich, weil es sich bereits früh im Körper ausbreitet. Wie kann man sich schützen? mehr

Sonnencreme wird auf Haut aufgetragen © fotolia Foto: nito

Immer mehr Fälle von Hautkrebs: Philippi wirbt für Sonnenschutz

Zum Tag des Sonnenschutzes am 21. Juni rät Niedersachsens Gesundheitsminister zur Vorsicht vor Sonnenstrahlung. mehr

Eine Frau wird beim Hautarzt untersucht. © Colourbox Foto: -

Mehr Fälle von hellem Hautkrebs in Schleswig-Holstein

In zehn Jahren stieg die Zahl der Diagnosen um 25 Prozent. Die Barmer rät zu Sonnenschutz - auch schon im Frühling. mehr

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 02.06.2024 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Krebs

Kreis Stormarn

Psychologie

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

verschneite Straßen in Flensburg © NDR Foto: Ben Armstrong

Wetter in SH: Unfälle nach erstem Schneefall und Glätte

Die Polizei im Land warnt vor glatten, verschneiten Straßen. Es kam zu mehreren Unfällen. mehr

Videos

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?