Im Lokschuppen Aumühle steht eine elektrische Oberlandbahn, die zwischen 1907 und 1960 von Alt-Rahlstedt über Volksdorf nach Wohldorf fuhr. © Anne Passow Foto: Anne Passow

Eisenbahnen im Lokschuppen Aumühle: Wie Oma einst zur Schule fuhr

Stand: 28.08.2021 06:00 Uhr

Im Eisenbahnmuseum Lokschuppen Aumühle dürfen Besucher sonntags die meisten historischen Loks und Waggons von innen ansehen. Claus Thiele kann die Geschichten dazu erzählen.

von Anne Passow

Weiche Nummer acht lässt sich nicht so einfach umstellen. Claus Thiele muss sie erst aufschließen, dann einen Bolzen rausziehen und schließlich - mit aller Kraft - den schweren Hebel auf die andere Seite drücken. "Bei uns ist alles groß, schwer, unhandlich und langsam", erklärt er - und lässt den Hebel geräuschvoll herunterfallen. Würde nun ein Zug über die Gleise des Eisenbahnmuseums Lokschuppen Aumühle (Kreis Herzogtum Lauenburg) fahren, wäre er jetzt umgeleitet.

"Wir wollen die Allerweltseisenbahn zeigen"

Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich Claus Thiele hier. Er hilft bei der Sanierung historischer Waggons und Loks, die die Eisenbahnfreunde des Vereins Verkehrsamateure und Museumsbahn hier seit 1965 sammeln und ehrenamtlich instand setzen. Außerdem betreut er Kurse von Eisenbahnunternehmen im Lehrstellwerk des Vereins. Angehende Fahrdienstleiter lernen hier, wie man ein Stellwerk und Weichen bedient. Sonntags, wenn die Besucher kommen, ist Claus Thiele ebenfalls oft da. "Uns geht es darum, die Allerweltseisenbahn zu zeigen, mit der Oma zur Schule gefahren und mit der man früher verreist ist", erklärt der 74-Jährige - und will eine dieser "Allerweltseisenbahnen" zeigen.

Der Trecker unter den Bahnen

Es geht über Schotter, Weichen, Gleise. Vor einem unscheinbaren, verrammelten Tor zückt er einen Schlüssel und schließt auf. "Das ist unsere Feldbahn. Hier haben wir zwei der Loks stehen. Das ist vergleichbar mit einem Trecker, mit seinem alten Lanz-Bulldog oder so. Die Loks sind mit Diesel-Motoren ausgerüstet." An Sonntagen, wenn ein Vereinsmitglied da ist, das die Feldbahn fahren darf, können hier auch Besucher mitfahren. "Das ist eine rumpelige, lustige Geschichte", meint Claus Thiele. Auch die alte Handhebeldraisine kommt sonntags auf die Gleise.

Aufwendiges Hobby

Die Loks und Waggons soweit zu kriegen, dass sie wieder fahren, ist viel Arbeit. Ein preußischen Abteilwagen, der vor etwa zehn Jahren nach Aumühle kam, hatte nur noch Schrottwert, berichtet Claus Thiele. Die Vereinsmitglieder flexten rostige Teile weg, nieteten neue Bleche an, erneuerten Teile des Dachs, setzten den Fußboden instand und bauten neue Türen ein. Claus Thiele schätzt grob, dass bisher mehr als 3.800 ehrenamtliche Arbeitsstunden in dem Wagen stecken. Und er ist noch nicht fertig.

Verein ohne Nachwuchssorgen

Der Verein hat etwa 330 Mitglieder. Er finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und dem Fahrkartenverkauf am zweiten Vereinsstandort am Schönberger Strand bei Kiel. Dort können zahlende Besucher in historischen Straßen- und Eisenbahnen mitfahren.

Ein Problem mit alternden Mitgliedern hat der Verein übrigens nicht. "Uns ist es gelungen, viele Kinder und Jugendliche an den Verein zu binden. Die dürfen bei uns viel machen, mitschrauben, abends mal mit der Draisine oder auf der Feldbahn mitfahren, so dass denen das hier Spaß macht", meint Claus Thiele. Der Altersdurchscnitt liege bei etwa 65 Jahren - mit fallender Tendenz. "Das jüngste Vereinsmitglied ist fünf Jahre alt."

Filmarbeiten zwischen historischen Waggons

Und auch als Kulisse ist das Gelände des Lokschuppens interessant. An diesem Tag rennen, zwischen den historischen Loks und Waggons Kinder in Kutten um Umhängen herum. Ein Kamerateam hat sich vor dem großen Lokschuppen positioniert, ein Regisseur gibt Anweisungen. Hier drehen Kinder einer Flüchtlingsunterkunft aus Hamburg-Bergedorf einen Film über das Reisen.

Tor zu einer anderen Zeit

Während die Kinder ihren Film drehen, öffnet Claus Thiele das große Tor zum Lokschuppen - und zu einer anderen Zeit. Überall stehen Loks und Waggons, darunter zum Beispiel ein preußischer Abteilwagen von 1914. Er macht die Tür auf und zeigt auf die Treppe. "Der hat sehr, sehr hohe Stufen, wo man denkt: Da kann man doch überhaupt nicht hochkommen. Das war aber früher üblicher Standard. Alle Reisenden mussten da hoch. Und ich kann mir vorstellen, wenn Oma verreiste und auf halber Höhe hängenblieb, dann hat Opa halt von hinten geschoben. Das ging auch."

Doppeldeckerwagen fuhr bis in 1960er-Jahre

Auch ein Bahnwaggon mit zwei Stockwerken fällt auf. "Das ist eine elektrische Oberlandbahn, die zwischen 1907 und 1960 von Alt-Rahlstedt über Volksdorf nach Wohldorf fuhr", sagt Claus Thiele. "Das besondere an dieser Bahn ist, dass sie einige Anhänger hatte, die oben noch Sitze besaßen. Damit man die elektrische Oberleitung nicht anfassen konnte, war noch ein Dach drüber. Das muss eine tolle Fahrt gewesen sein durch die Wälder zwischen Rahlstedt und Volksdorf", schwärmt er.

Extra Bremsen für jeden Waggon

Interessant ist auch das Bremserhäuschen auf einem der Waggons. "Früher gingen die Bremsen noch nicht durch den ganzen Zug durch", erklärt Claus Thiele. "Der Zugführer gab seinen Kollegen in den Bremserhäuschen also ein Zeichen, wenn der Zug bremsen sollte, dann musste Jeder in seinem Waggon die Bremse anziehen."

Riesengroße Dampflok aus den 1920er-Jahren

Dann zeigt Claus Thiele auf eine beeindruckende, riesengroße Lok. "Das ist ein Highlight hier bei uns im Lokschuppen: Unsere Dampflok 75 - 634. Die ist 1928 gebaut worden - bei Henschel in Kassel." Über steile Stufen geht es in das recht geräumige Häuschen der Lok. Überall sind Bedienungshebel und Messinstrumente. Claus Thiele schnappt sich die Kohleschaufelbund zeigt, wie damals angeheizt wurde. Der 74-Jährige hat einst selbst als Heizer gearbeitet. "Ich habe Maschinenbau studiert und habe es geschafft, während der Semesterferien noch eine Ausbildung als Heizer zu bekommen", erinnert er sich.

Faszination bleibt - auch nach Jahrzehnten

Anfang der 1970er-Jahre fuhr Claus Thiele dann einige Monate lang auf richtigen Bundesbahn-Zügen auf Dampfloks. Nach seinem Maschinenbaustudium hängte er noch eine Ausbildung im gehobenen Dienst bei der Eisenbahn dran - und arbeitete jahrzehntelang in der Bundesbahndirektion Altona.

Bis heute lassen die großen, schweren Maschinen den 74-Jährigen nicht los. Seine Faszination dafür teilt er gerne. Und wenn sonntags die Besucher in den Lokschuppen Aumühle kommen, hat Claus Thiele zu jeder Schraube eine Geschichte auf Lager.  

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 27.08.2021 | 19:05 Uhr

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