Ein Jahr nach Bauernprotest in Schlüttsiel: Vieles weiterhin unklar

Stand: 04.01.2025 16:32 Uhr

Zwölf Monate nach der Protestaktion gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck ermittelt die Staatsanwaltschaft Flensburg noch immer gegen unbekannt. Protestierende blicken positiv zurück.

von Jörn Zahlmann

Versuchte Erstürmung, Blockade oder doch nur friedlicher Protest? Am 4. Januar 2024 sorgten 250 bis 300 Demonstrierende dafür, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine Fähre in Schlüttsiel (Kreis Nordfriesland) wegen Sicherheitsbedenken seiner Personenschützer nicht verlassen konnte. Der Protest richtete sich unter anderem gegen die angekündigte Abschaffung der Agrardiesel-Subventionen. Die Deutungen danach waren gegensätzlich, bis heute ist vieles ungeklärt.

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern an

Die Frage nach der strafrechtlichen Relevanz des Schlüttsiel-Protests ist noch unbeantwortet. Nach NDR Informationen ermittelt die Staatsanwaltschaft Flensburg weiterhin gegen unbekannt - unter anderem wegen Nötigung, Beleidigung, Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Weitere Details zum aktuellen Stand des Ermittlungsverfahren will die Staatsanwaltschaft erst in der zweiten Januarwoche veröffentlichen.

Die Polizei hatte bereits kurz nach der Schlüttsiel-Aktion zunächst von einer "Situation auf der Kippe" gesprochen, aber später dementiert, dass es einen Erstürmungsversuch gegeben habe und lediglich von 25 bis 30 sogenannten Störern gesprochen. Passagiere an Bord der Fähre sprachen von einer "feindseligen" Situation, schleswig-holsteinische Landespolitiker von einer "Grenzüberschreitung". Der Sprecher der Bundesregierung bezeichnete die Vorgänge in Schlüttsiel als "beschämend" und schrieb von einer "Verrohung politischer Sitten". Der Bauernverband in Schleswig-Holstein distanzierte sich früh vom Schlüttsiel-Protest.

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Eine Drohnenaufnahme einer Ansammlung von Bauern mit Traktoren bei Nacht. © Westküstennews Foto: Westküstennews

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"Neujahrstreffen" in Schlüttsiel am Jahrestag

Fuhruntnernehmer Hauke Hinrichsen aus Ellhöft (Kreis Nordfriesland) ist Mitorganisator eines sogenannten Neujahrstreffens am Fähranleger in Schlüttsiel am Sonnabend. Das sei zwar keine politische Kundgebung, aber man wolle dennoch an den Jahrestag erinnern, "und daran, dass es uns noch gibt." Es würden Spenden für das Hospiz in Niebüll gesammelt. Die Protestaktion in Schlüttsiel sei die Initialzündung für die anschließenden Bauernproteste vor einem Jahr gewesen, sagt Hinrichsen. Und: "Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Wir haben nichts verkehrt gemacht." Ob der Protest damals aus seiner Sicht erfolgreich war? "Fakt ist, die Regierung gibt es heute nicht mehr." Nach Angaben unseres NDR-Reporters trafen sich am Sonnabendnachmittag etwa 80 Landwirte mit einigen Treckern in Schlüttsiel.

Habeck dachte nach Schlüttsiel offenbar über Rücktritt nach

Robert Habeck lehnte eine Interview-Anfrage des NDR zum Jahrestag des Protests in Schlüttsiel ab. In der Vergangenheit äußerte der Bundeswirtschaftsminister mehrfach sein Bedauern darüber, dass sein Gesprächsangebot mit einzelnen Protestteilnehmern auf der Fähre nicht angenommen wurde. Gegenüber "Zeit Online" sagte Habeck im Dezember, dass er nach Schlüttsiel kurz darüber nachgedacht habe, sich aus der Politik zurückzuziehen, da sein privater Schutzraum verletzt wurde. 

"Zusammenhalt ist durch Schlüttsiel größer geworden"

Landwirt Jan Küntzler aus Stedesand steht in seinem Kuhstall. © NDR Foto: Jochen Dominicus
Landwirt Jan Küntzler aus Stedesand bereut den Protest nicht.

Auch Landwirt Jan Küntzler aus Stedesand bedauert, dass es damals nicht zu einem Dialog mit Habeck gekommen ist. "Es gab Gespräche mit dem Polizeichef und für uns nicht so viele Möglichkeiten: Wir hätten hoch aufs Schiff gehen können mit maximal zwei Personen, was wir nicht wollten. Wir wollten mit sechs Personen rauf, was aber aus Sicherheitsgründen anscheinend nicht ging." Er stand nach eigenen Angaben in der ersten Reihe - und findet, dass die Protestaktion bis heute nachwirkt: "Der Zusammenhalt unter den Landwirten ist durch Schlüttsiel größer geworden."

Rechte Symbolik bei Bauernprotest

Nach NDR Recherchen und einem Artikel von "Zeit Online" war das Treffen in Schlüttsiel die Folge einer zufälligen Begegnung zwischen einer Passagierin und Robert Habeck auf der Fähre. Sie soll diese Informationen an ihren Lebensgefährten weitergegeben haben, der die Ankunft Habecks in Schlüttsiel daraufhin offenbar im Internet verbreitete. Dieser Unternehmer verwendete bei mindestens einer früheren Protestaktion die Landvolk-Flagge - eine antisemitische Bauernbewegung aus den 1920er-Jahren. Der Mann ist Mitglied des Vereins "Land schafft Verbindung" (LSV) in Schleswig-Holstein und Hamburg. Auf Interview-Anfragen des NDR reagierte er nicht.

LSV: "Die Aktion wurde im Nachhinein hoch gekocht"

Wie steht "Land schafft Verbindung" zu der Protestaktion? "Ich kenne Herrn T. als guten Berufskollegen und habe auch keine Tendenzen für extreme politische Richtungen gesehen", sagt LSV-Sprecher Stefan Wendtland. Und: "Ich bin mir sicher, dass Robert Habeck kein Haar gekrümmt worden wäre. Man hätte vernünftig mit ihm geredet. Die Aktion wurde im Nachhinein hoch gekocht", sagt Wendtland. Dennoch sei es für ihn nicht zielführend gewesen, auf diese Art und Weise mit dem Vizekanzler ins Gespräch zu kommen - "aber auch so etwas gehört zur Demokratie dazu."

Bürgermeister: Schlüttsiel soll einfach wieder Hafen sein

Mattthias Feddersen, Bürgermeister von Ockholm, steht am Schlüttsieler Fähranleger. © NDR Foto: Jochen Dominicus
Matthias Feddersen, Bürgermeister von Ockholm, hofft darauf, dass der Protest in Schlüttsiel eher vergessen wird.

Matthias Feddersen (WGO) ist Bürgermeister der Gemeinde Ockholm, zu der auch Schlüttsiel zählt. "Wir hatten sogar Absagen von Touristen, die sagten, man kann hier keinen Urlaub mehr machen. Das ist Quatsch, die ein bis zwei Prozent, die Randale gemacht haben, spiegeln ja nicht unsere Bevölkerung wider", sagt Feddersen. Er wünscht sich, dass Schlüttsiel in der öffentlichen Wahrnehmung "einfach wieder ein Hafen wird" - und nicht in erster Linie als Schauplatz der Habeck-Protestaktion in Erinnerung bleiben wird.

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Die Fahne der Landvolkbewegung hängt zwischen zwei Treckern. © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 04.01.2025 | 08:00 Uhr

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Landwirtschaft

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