Dorsch-Fischer vor dem Aus
In der morgendlichen Dämmerung steuert Fischer Randy Repenning die "Strande II" hinaus in die Kieler Bucht. Es ist ein schöner Tag, das Meer ist ruhig. Nach kurzer Fahrt erreicht er sein großes Stellnetz und beginnt es einzuholen. Für Randy Repenning ist das der "Traumberuf". Mit einem Bankkredit hat sich der 24-Jährige vor einem Jahr sein neues Boot gekauft. Damit er die Schulden schnell los wird, ist allerdings eine Fischart für ihn besonders wichtig: "Hier bei uns in der westlichen Ostsee sind alle eigentlich vom Dorsch abhängig."
Netze voller Dorsch versprechen also ein gutes Geschäft. Doch dem Dorschbestand in der westlichen Ostsee "geht es leider miserabel", meint Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) hat deshalb Ende Mai empfohlen, die Fangquote für den Dorschbestand im Verhältnis zur aktuellen Quote um 87 Prozent zu reduzieren. Der Nachwuchs im Jahr 2015 "ist im Grunde ausgefallen", so Christopher Zimmermann. "Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Fischereimöglichkeiten im nächsten Jahr." Für Randy Repenning ein Schock: "Das erste, was mir durch den Kopf gegangen ist war, wie kann ich nächstes Jahr überleben? Wie kriege ich mein Geld zusammen?" Er blickt in sein Netz, das ihm heute nur zwei Dorsche und einige Butt beschert.
Quoten zu spät gesenkt
Eigentlich hätten alle wissen können, dass es dem Dorschbestand in der westlichen Ostsee einmal so schlecht gehen würde, meint Rainer Froese, Meeresbiologe vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (GEOMAR). "Verantwortliches Management hätte schon im Jahr 2009 die Quoten drastisch senken müssen für ein, zwei Jahre. Dann hätte sich der Bestand erholt, dann hätten wir heute das Problem nicht, das ist leider nicht passiert. Jetzt ist der Nachwuchs ausgeblieben, wir haben ein Riesenproblem."
Der Managementplan für den Dorschbestand in der westlichen Ostsee wurde 2007 auf europäischer Ebene installiert. Doch er ging von viel höheren Fangmöglichkeiten aus, als tatsächlich nachhaltig möglich waren. Doch nichts an dem Plan wurde jahrelang geändert. Christopher Zimmermann, der auch Mitglied im Internationalen Rat für Meeresforschung ist, hat dafür eine Erklärung: "Wir sind leider genau in eine Zeit gefallen, in der das EU-Parlament und der EU-Rat sich nicht darüber einigen konnten, wer denn die Hosen an hat, wenn es um die Änderung des Plans geht." Schon seit 2010 habe er die Politik darauf hingewiesen, dass die im Plan erlaubten Fangmengen zu hoch sind, so Zimmermann: "Leider hat an dieser Stelle die Politik versagt, weil sie den Managementplan nicht so geändert hat, wie wir uns das vorgestellt haben."
"Schwarzer Peter" für die Wissenschaft
Für Deutschland nimmt das Bundeslandwirtschaftsministerium jedes Jahr an den Quotenentscheidungen in Brüssel teil. Hier will man nicht für die aktuelle Situation verantwortlich sein und versucht den "schwarzen Peter" auf die Wissenschaftler zu schieben. "2014 hat der ICES festgestellt, dass er den Bestand in den zurückliegenden Jahren deutlich zu positiv eingeschätzt hatte und die Anwendung des geltenden Managementplans keine ausreichende Gewähr mehr für die Erholung des Bestandes bot. Seither basiert ICES seine Empfehlungen auf den Ansatz des höchstmöglichen Dauerertrags (MSY) und empfiehlt drastische Kürzungen der Gesamtfangmengen", so das Ministerium.
Existenz vieler Fischer steht auf dem Spiel
Rainer Froese weist aber darauf hin, dass die Quoten jedes Jahr neu beschlossen werden, gemeinsam mit dem Bundeslandwirtschaftsminister. "Man hätte also jederzeit vernünftige Fischereimengen beschließen können." Doch sowohl für 2015 als für 2016 wurden beim Dorsch Quoten festgelegt, die weit über die wissenschaftlichen Empfehlungen hinausgehen. 2015 lag die maximale Fangmenge um 81 Prozent und 2016 um 63 Prozent über der wissenschaftlichen Empfehlung. Laut Bundeslandwirtschaftsministerium musste dieses Abweichen von der Empfehlung sein, "um die Existenz der Ostseefischer nicht zu gefährden". Doch die haben nun gar nichts von dieser Fürsorge: Dem Bestand geht es so schlecht, dass die Existenz vieler Fischer erst recht auf dem Spiel steht.
Angler gegen Berufsfischer?
Für die Fischer ist dies eine Katastrophe. Lorenz Marquardt, Vorsitzender des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein, fordert nun staatliche Hilfe. Wenn die nicht komme, "dann haben wir eine Sterben an der Küste und dann wird es die handwerkliche Fischerei nicht mehr geben." Um den Bestand zu schonen müssten nun allerdings auch die Angler Ihren Beitrag leisten, finden Marquardt und Zimmermann. Denn wenn die Quotenkürzung, wie wissenschaftlich empfohlen, umgesetzt würde, dann würden die Angler laut Christopher Zimmermann zukünftig deutlich mehr Dorsch aus der Ostsee holen, als die Berufsfischer. "Die Angelfischerei ist nicht reguliert, die können im Grunde ihren Ertrag dauernd steigern, wogegen wir empfehlen die Berufsfischerei auf zehn Prozent der ursprünglichen Fangmenge zu reduzieren. Das sorgt natürlich für Frust bei den Berufsfischern, das kann ich verstehen."