Die elektronische Akte bei Gerichten: Oft langsamer als mit Papier
Der Plan klingt vielversprechend: Alle Dokumente liegen digital und zentral vor, alles ist lückenlos nachzuvollziehen, Bürger können online Akten einsehen und Unterlagen einreichen und für die Umwelt ist die wegfallende Masse an Papierakten ein enormer Gewinn. Die derzeitige Praxis an den Gerichten in Schleswig-Holstein sieht etwas anders aus.
Seit Februar ist das Amtsgericht Lübeck digital. Alle Sitzungssäle sind umgebaut, es gib neue Computer, neue Boards und die Mitarbeitenden sind geschult. Doch fragt man den Präsidenten Carsten Löbbert danach, was die Umstellung auf die E-Akte in Lübeck nun den Bürgern bringt, ist die erste Antwort "zunächst nichts." Wenn irgendwann mal alles schneller geht, dann bringe die Umstellung auch Vorteile für die Bürger.
Viele Mitarbeiter der Gerichte mit E-Akte unzufrieden
"Langsam und umständlich", "zu viele Zwischenschritte nötig", "unübersichtlich, unlogischer Aufbau", "wie soll ich einen Bürger erklären, dass wir mit der E-Akte arbeiten, er aber nichts per Mail einreichen darf" - das sind Kommentare, die die Neue Richtervereinigung Schleswig-Holstein (NRV SH) veröffentlicht hat. Sie hat eine Umfrage unter 460 Mitarbeitenden durchgeführt, die schon mit der e-Akte arbeiten. Besonders an den Gerichten mit vielen Fällen, den Sozial- und Amtsgerichten, empfinden viele Mitarbeitende die elektronische Akte nicht wirklich als Gewinn. Gesamtnote 4,72 auf einer Skala von null bis zehn.
Michael Burmeister, erster Sprecher der NRV SH, fasst das Hauptproblem zusammen: Man habe eine aus Papier kommende Akte digital abgebildet und dadurch seien sehr viele Klicks erforderlich. Das bedeute einen erheblichen Zeitaufwand und auch eine umständliche Form der Bearbeitung.
Jede Seite ist ein eigenes Dokument
Ein Richter im Zivilrecht habe im Schnitt etwa 660 Verfahren pro Jahr, sagt Carsten Löbbert vom Amtsgericht Lübeck. Gerade durch die Masse an Verfahren werden die vielen kleinen zusätzlichen Klicks zum Problem, es mache die Arbeit aufwendiger als vorher. Denn im Grunde ist jede Seite aus Papier, heute ein PDF-Dokument. Familienrichter Ingo Socha erklärt, dass er früher in der Papierakte blättern konnte. Es gab Unterteilungen mit Reitern oder unterschiedlichen Farben. Jetzt müsse er jedes Dokument, also jede Seite, einzeln anklicken. Einen Überblick zu bekommen sei viel schwieriger.
Konzentration auf Fälle statt auf Klicks
Sein Problem dabei: Er verhandele Prozesse, in denen Menschen in Ausnahmesituationen sind. Es gehe darum, ob eine Gefängnisstrafe droht oder ein Kind bei den Eltern bleiben darf. "Deswegen kann ich da nicht meine Aufmerksamkeit auf ganz viele Mausklicks lenken, sondern die Leute, die da sind, haben einen Anspruch darauf, dass ich mit meiner Aufmerksamkeit bei ihnen bleibe."
Justizministerium arbeitet an besserer Performance
Die Federführung und Koordination für die Einführung der E-Akte liegt beim Justizministerium. Beteiligt ist der IT-Dienstleister des Landes Dataport. Da die Anzahl der teilnehmenden Gerichte weiter wächst, ist eine regelmäßige Anpassung der Infrastruktur (Server, Netz, Verzeichnisdienste, Computer), erforderlich, teilt die Sprecherin von Dataport Britta Heinrich mit.
Um die Performance des System, also die Rechenleistung und die Geschwindigkeit zu verbessern, habe das Justizministerium ein Projekt mit dem Namen "VIS Justiz Performance" ins Leben gerufen. Die ersten Erkenntnisse und Maßnahmen daraus: Die CPU (Rechenleistung) und der Arbeitsspeicher (RAM) im Serverumfeld wurden angepasst. Eine Verbesserung sei eingetreten, so Dataport. Auch wolle man noch weiter an der Software arbeiten, die Umsetzung stehe allerdings noch aus.
Datenaustausch oft schwierig
Ein weiteres Problem sei der Datenaustausch mit den Gerichten über die Landesgrenzen hinaus. "Jedes Bundesland macht da sein eigenes Ding", sagt Carsten Löbbert. Allein eine E-Akte von Lübeck nach Hamburg zu übersenden, sei nicht ohne Probleme möglich, denn die Länder setzen auf unterschiedliche Systeme. Mit den Bundesländern, die das gleiche System haben, gehe es allerdings gut. Allerdings sind das nur vier.
Hoffnung auf Vorteile für die Bürger
Alle Mitarbeiter, die in der Justiz tätig sind, seien sehr engagiert, sagt Michael Burmeister, Sprecher der NRV SH. Er wünschte sich jedoch, einen Blick von außen in das System zuzulassen - schlägt vor - wie in anderen Bundesländern - auch eine externen Firma zu beauftragen und nicht nur eigene. Trotz der aktuell noch vielfältigen Probleme, ist Carsten Löbbert vorsichtig optimistisch: Wenn irgendwann mal alles schneller gehe, dann bringe die Umstellung auch Vorteile für die Bürger, hofft er.