Demokratie-Abbau? Änderung im Kommunalrecht sorgt für Unmut
FDP und SSW fühlen sich durch eine Änderung im Kommunalrecht schlecht behandelt, denn Ratsleute in Kiel sind direkt betroffen. Sie klagen jetzt vor dem Landesverfassungsgericht in Schleswig.
Raum 352 im Kieler Rathaus ist kahl und keine 15 Quadratmeter groß. Ein Tisch, vier Stühle und eine einfache Deckenleuchte sind alles an Einrichtung. Hier treffen sich Christina Musculus-Stahnke und Dirk Becker (beide FDP), um sich auf die Ratsversammlung am Abend vorzubereiten. Den Raum nutzen sie vorübergehend, einen eigenen haben sie nicht. "Ganz ungewohnt", kommentiert Musculus-Stahnke. "Willkommen am Ende der Nahrungskette", sagt Becker.
Bei der vergangenen Kommunalwahl holten sie für die FDP 4,5 Prozent der Stimmen. Damit sind sie zwar mit zwei Sitzen in der Ratsversammlung der Stadt vertreten, eine Fraktion können sie jedoch nicht bilden. Dafür müssten sie zu dritt sein. Für Musculus-Stahnke und Dirk Becker bedeutet das: keine eigenen Räume, kein Personal, weniger Geld.
Fraktionsgröße: Statt zwei braucht es jetzt drei Personen
Das war Anfang des Jahres noch anders. Der Landtag hatte im März - noch vor der Kommunalwahl - mit Koalitionsmehrheit die kommunalrechtlichen Vorschriften verschärft. Durch die Änderung wurde in Gemeindevertretungen die Mindestgröße für Fraktionen angehoben. Heißt konkret: In Gemeinden, Kreisen oder kreisfreien Städten, in denen Vertretungen mindestens 31 Mitglieder haben, müssen Fraktionen statt aus zwei nun aus drei Ratsmitgliedern bestehen.
Ziel der Änderung, die durch die CDU angeführt und von den Grünen unterstützt wurde, war es, eine Zersplitterung der Gemeinderäte zu vermeiden und gleichzeitig politische Entscheidungsprozesse zu entschlacken. Denn je weniger Fraktionen in den Räten sitzen, desto schlanker sind Gemeindesitzungen und desto niedriger ist die Belastung der Mandatsträger. So die Theorie.
Fraktionslosen Ratsmitgliedern fehlen die Mittel
Was der Verlust des Fraktionsstatus bedeutet, zeigt das Beispiel der FDP im Kieler Rathaus. In der Legislaturperiode 2013 bis 2018 bildeten sie mit zwei Personen noch eine Fraktion – seit der Kommunalrechtsänderung ist das nicht mehr möglich. Als Fraktion hatten sie noch einen Geschäftsführer, der sich um die Verwaltung, Planung und Organisation kümmerte. Wegen ausbleibender Zuwendungen, die Fraktionen normalerweise von der Stadt erhalten, fiel diese Stelle weg.
Zugleich dürfen sie als fraktionslose Ratsleute keine bürgerlichen Mitglieder als Unterstützung hinzuziehen, die stellvertretend in den Ausschüssen sitzen. Außerdem haben sie kein Stimmrecht mehr in Ausschüssen. "Wir sind auf uns allein gestellt. Wir können das nur schwer leisten", sagt Musculus-Stahnke. Beide sind voll berufstätig - sie ist Rechtsanwältin, er für die Kieler Finanzverwaltung tätig. Eine Zersplitterung der Gemeindevertretungen, mit der die Änderung begründet wurde, könne die Politikerin in Kiel nicht feststellen.
SSW: Änderung gefährde Repräsentanz von Minderheiten
Kritik an der Änderung des Kommunalrechts kommt auch vonseiten des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW). Lars Harms, Fraktionsvorsitzender der Partei im Landtag, sieht die Repräsentanz von Minderheiten gefährdet. Nach der Bonner-Kopenhagener-Erklärung, einer Regierungserklärung aus 1955 zur Anerkennung der Minderheiten in Deutschland und Dänemark, müssen Minderheiten entsprechend des Wahlergebnisses in den Ausschüssen repräsentiert sein. Das sei allerdings durch die Änderung nicht mehr möglich, sagt Harms.
Eigentlich sollten die Änderungen die Kommunalpolitik erleichtern, Planungen beschleunigen, und Städte- und Gemeinderatssitzungen entschlacken. Stattdessen würden sie Demokratie abbauen und wichtige Elemente bürgerlicher Mitgestaltung auf kommunaler Ebene abschaffen, kritisieren FDP und SSW. Gemeinsam klagen sie jetzt dagegen vor dem Landesverfassungsgericht in Schleswig.
Buchholz: Starker Eingriff in demokratische Mitgestaltung
Bernd Buchholz, FDP-Landtagsabgeordneter und Vertreter der Partei vor Gericht, sagte vor dem Prozesstag am Freitag: "Die Landesregierung beruft sich auf eine Überlastung, die sie weder nachgewiesen hat oder erklären kann." Aus seiner Sicht handele es sich um "einen starken Eingriff in die kommunale Organisationshoheit" und die Möglichkeiten der demokratischen Mitgestaltung von Bürgern.
Zur mündlichen Verhandlung vor dem Schleswiger Verfassungsgericht waren am Freitag Vertreter der anklagenden Parteien, FDP und SSW, gekommen sowie Vertreter des Landtags, der Landesregierung und des schleswig-holsteinischen Landkreistages. Letztere bestreiten den Vorwurf der Anklage, man würde gegen das Prinzip der Demokratie verstoßen.
"Lange Sitzungen erschweren Mitarbeit von Ehrenamtlichen"
Sönke Schulz, Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Landkreistages, sagte: "Es wird immer schwerer, ehrenamtliche Personen zu begeistern, in Gremien mitzuarbeiten.” Das liege an der Vielzahl kleiner Fraktionen und Einzelbewerbern und den sich in die Länge ziehenden Sitzungen, so Schulz. Es sei daher nicht das erste Mal gewesen, dass man als Verband diesen Schritt gefordert habe.
Auch Änderungen bei Bürgerbegehren auf dem Prüfstand
Insgesamt vier Stunden tagte das Gericht am Freitagmorgen. Dreiviertel der Zeit stand das Thema Fraktionsgrößen im Mittelpunkt der Debatte. In der letzten Stunde ging es um die Hürden für Bürgerbegehren, die im Zuge der Kommunalrechtsänderung ebenfalls angehoben wurden. So wurde die Frist für Begehren verkürzt, die sich gegen Beschlüsse der Kommunalvertretung richten. Es wurde eine Sperrfrist von zwei Jahren für sich wiederholende Begehren festgelegt und es sollen keine Begehren mehr möglich sein, sofern sie mit einer Zweidrittelmehrheit von der Kommunalvertretung beschlossen worden sind.
Urteil für Anfang 2024 erwartet
Nach dem Prozesstag äußerten sich die klagenden Parteien zurückhaltend. Wie das Urteil ausfallen werde, sei nur schwer einzuschätzen, sagt Bernd Buchholz. Auch Lars Harms, glaubt, dass es am Ende eine knappe Entscheidung werden könnte. Ein Urteil zu den Fraktionsgrößen und dem Bürgerbegehren wird für den 2. Februar 2024 erwartet.