Chance und Wagnis für Betriebe und Azubis: Ausbildung in Teilzeit

Stand: 02.09.2024 11:55 Uhr

Nur wenige Azubis in Schleswig-Holstein werden in Teilzeit ausgebildet. Für eine dreifache Mutter aus Schleswig-Holstein ist das die große Chance, um beruflich auf eigenen Beinen zu stehen. Ihre Chefin will sie unterstützen - doch viele Betriebe haben Vorbehalte.

von Gregory Dauber

Menschen wie Shairin Abdou haben es oft schwer auf dem Arbeitsmarkt. Die 35-Jährige spricht kein perfektes Deutsch, ist 2015 mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland geflohen. Und sie ist dreifache Mutter, der Jüngste ist sechs Jahre alt, wird in dieser Woche eingeschult. Auch für seine Mutter beginnt dann ein neues Kapitel: Shairin Abdou beginnt eine Ausbildung zur Friseurin - in Teilzeit.

Seit 2005 gibt es die Möglichkeit der Teilzeitausbildung, zunächst aber nur für bestimmte Gruppen: Menschen mit Kindern oder solche, die Angehörige pflegen müssen. Mittlerweile können das alle machen, ohne Angabe von Gründen. Das Einzige, was es für eine Teilzeitausbildung braucht: einen Betrieb, der mitmacht.

Teilzeit-Azubis sind fast immer Mütter

Fachberaterin für Teilzeitausbildung Leo Nickel © NDR Foto: Gregory Dauber
Sie berät Unternehmen und Auszubildende: Leo Nickel von der Handwerkskammer Lübeck.

"Fast 85 Prozent der Teilzeitauszubildenden sind junge Mütter, oft alleinerziehend", sagt Leo Nickel, Fachberaterin für Teilzeitausbildung bei der Handwerkskammer Lübeck. Doch es gebe auch eine wachsende Gruppe von jungen Menschen, die psychische Probleme haben und nicht in vollem Maß belastungsfähig sind - seit Corona werden die mehr, so Leo Nickel.

Ausbilderin war schnell überzeugt

Ihre neue Chefin hatte Shairin Abdou, die in Syrien schon im Friseursalon ihrer Schwester ausgeholfen hat, schnell überzeugt: "Ich habe schon beim Probearbeiten gesehen, dass sie talentiert ist", sagt Kamila Winter, Friseurmeisterin mit eigenem Salon in Kaltenkirchen (Kreis Segeberg).

Das war vor anderthalb Jahren. Direkt nach dem Probearbeiten kam die Bewerbung von Shairin Abdou. "Das hat mich beeindruckt, dass sich jemand so früh reinhängt", sagt Kamila Winter.

Straffes Programm trotz Teilzeit

Auszubildende Shairin Abdou © NDR Foto: Gregory Dauber
Hat schon Erfahrungen in einem Friseursalon gemacht: Auszubildende Shairin Abdou.

Shairin Abdous Programm ist ab sofort trotz Teilzeit straff: Zwei Tage pro Woche geht es in die Berufsschule, drei Tage inklusive Samstag in den Betrieb – für sechs Stunden. Auch ihr Mann und die beiden älteren Kinder müssten mitspielen, damit jede freie Minute zum Lernen genutzt werden kann, so die Auszubildende.

Obwohl Shairin Abdou die Ausbildung in Teilzeit absolviert, will sie in drei Jahren durch sein. Sie könnte sich auch mehr Zeit nehmen: maximal 4,5 Jahre, sagt das Gesetz.

Eine Teilzeit-Azubi hatte Kamila Winter noch nie, sie ist aber davon überzeugt, dass ihre neue Mitarbeiterin topmotiviert ist. "Ich bin selber Mutter, und weiß, was das für das Arbeitsleben bedeutet", sagt sie. "Mütter müssen immer mehr Engagement zeigen, um das zu erreichen was sie möchten. Aber sie müssen auch die Chance dazu bekommen."

Experten: Motivation bei Teilzeitazubis ist besonders hoch

Das sieht auch Leo Nickel von der Handwerkskammer so: "Teilzeit-Azubis kommen meist nicht direkt aus der Schule. Mütter wissen, wie man einen Tag strukturiert." Wer diesen Aufwand auf sich nehme, der wisse wofür: "Da geht es um Lebensträume, und dafür beißen die sich durch."

Auch bei der Agentur für Arbeit ist man von diesem Modell in der Ausbildung angetan. "Gerade Teilzeit-Azubis sind sehr motiviert, weil sie beweisen wollen, dass sich Familie und Teilzeitausbildung gut vereinbaren lassen", sagt Markus Biercher, Leiter der Regionaldirektion Nord.

Neues Mittel gegen den Fachkräftemangel?

Mit Blick auf den Fachkräftemangel, könnte die Teilzeitausbildung noch wichtiger werden: "Jeder Ausbildungsplatz, der heute besetzt wird, ist daher für den Betrieb eine logische und gute Investition in die Zukunft", sagt der Arbeitsmarktexperte. Auch bei der Industrie und Handelskammer zu Kiel hält man Teilzeitmodelle aus diesen Gründen für eine wichtige Ergänzung im dualen Ausbildungssystem.

Noch spielt die Ausbildung in Teilzeit aber kaum eine Rolle: Von den fast 17.000 Ausbildungsverträgen, die es 2023 in Schleswig-Holstein gab, waren nur 1,4 Prozent Teilzeitverträge. Das geht aus Zahlen des Schleswig-Holsteinischen Institut für Berufliche Bildung hervor, teilt die Handwerkskammer mit.

Azubi Shairin Abdou (links) und Ausbilderin Kamila Winter arbeiten an einer Kundin. © NDR Foto: Gregory Dauber
Zeigen, wie es geht: Ausbilderin Kamila Winter (rechts) und Azubi Shairin Abdou arbeiten mit einer Kundin.
Betriebe haben noch Vorbehalte

Nicht alle Arbeitgeber sehen es so pragmatisch wie Kamila Winter, sagt Beraterin Leo Nickel. "Beim Stichwort Teilzeit denken viele: 50 Prozent, Mutter, Kind krank", sagt sie. "Da verschränken schon mal viele die Arme, da muss ich erklären, dass es vielmehr um flexible Arbeitszeiten geht." Aber nicht nur die Betriebe müssten Flexibilität zeigen, auch die Azubis seien mehr gefordert, als in einer regulären Ausbildung.

Friseurmeisterin Kamila Winter ist zuversichtlich: "Der Aufwand ist für mich nicht größer. Ich muss nicht zur Schule gehen, lernen und Berichtshefte schreiben, wenn die Kinder im Bett liegen", sagt die Arbeitgeberin. "Natürlich habe ich weniger Zeit für die Ausbildung. Aber das ist eine Frage der Organisation."

Shairin Abdou wollte nicht auf ihre Kinder warten

Shairin Abdou sagt, sie habe schnell verstanden, wie es auf dem deutschen Arbeitsmarkt läuft: Ohne Ausbildung gebe es keine guten Jobs und kein gutes Gehalt. Die 35-Jährige aber wolle ihre Kinder groß werden sehen - ohne zu warten, bis sie über 40 ist, um dann nochmal die Schulbank drücken zu müssen. Sie will wieder selbst Geld verdienen und damit ihre Familie unterstützen. "Jetzt wo der Kleine in die Schule geht, ist meine Zeit gekommen."

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 02.09.2024 | 19:30 Uhr

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