Apothekensterben in SH: Die Patientenversorgung wird schwieriger
In Schleswig-Holstein hat in den vergangenen zehn Jahren jede vierte Apotheke dicht gemacht. Auf dem Land bedeutet das deutlich weitere Wege. Das ist vor allem bei der Notfallversorgung ein Problem.
Sigrun Kramer kämpft mit den Tränen, wenn sie daran denkt, dass sie ihre Apotheke vielleicht schließen muss. Über 40 Jahre führt sie die kleine Apotheke in der alten Dorfschule in Rieseby (Kreis Rendsburg-Eckernförde) schon. Die studierte Pharmazeutin ist längst im Rentenalter mit ihren fast 75 Jahren. Sie liebt ihren Beruf, aber seit ein paar Jahren sucht sie eine Nachfolge.
"Das Problem: Ich gehe mit meinem Personal in Rente." Sigrun Kramer, Apothekerin
Ernsthafte Interessenten gab es, die sind aber alle wieder abgesprungen. Das größte Problem: Fachkräfte aufs Land zu holen. "Ich mache das ja schon zehn Jahre länger, Sonntagsdienst mache ich auch gern. Ich habe das Problem, dass mein Personal mit mir alt geworden ist. Meine erste Pharmazeutisch-technische Assistentin, die ich ausgebildet habe, geht mit mir in Rente", sagt Kramer.
Job wird immer unattraktiver für Fachkräfte
Reich werden könne man mit der Apotheke nicht. Und auch sonst würden "uns viele Knüppel zwischen die Beine geworfen, sodass die Leute Angst haben, sich selbstständig zu machen." Kramer meint damit die vielen Auflagen für Apotheken, die Bürokratie und die ihrer Meinung nach nicht unbedingt familienfreundlichen Arbeitszeiten. Dazu kommen die Notdienste. Die Apothekerin in Rieseby ist 38 Mal im Jahr über die sonstigen Öffnungszeiten hinaus für ihre Kunden da.
Die Zeiten, in denen Apotheken als Goldgruben galten, seien auch vorbei. Sachkosten und Ausgaben für Personal und Miete würden steigen, die Honorierung für den Arzneimittelverkauf sei aber seit über 20 Jahren unverändert geblieben. Es wundere sie daher nicht, dass sich Fachkräfte lieber anstellen ließen oder in die Industrie gingen.
Apothekerkammer: Von "Gesundschrumpfen" kann keine Rede sein
In Schleswig-Holstein ist die Zahl der Apotheken in den vergangenen zehn Jahren um etwa ein Viertel geschrumpft: von rund 700 auf 567 (Stand: Dezember 2024). Demgegenüber stehen im gleichen Zeitraum 37 Neueröffnungen. Die Apothekerkammer geht davon aus, dass der Trend der Ausdünnung anhält und dass vor allem der ländliche Raum betroffen ist.
Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen weist den Begriff des "Gesundschrumpfens" zurück, er spricht von einer "Leistungskürzung". Eine Apotheke versorge in Deutschland etwa 4.500 Menschen, erklärt Christiansen. Zum Vergleich: Laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) sind es im EU-Durchschnitt circa 3.100 Menschen. "Mit jeder schließenden Apotheke erhöht sich die Zahl der zu versorgenden Menschen. Schon jetzt arbeiten sie oftmals am Limit", sagt der Kammerpräsident.
Wie viele Kilometer zur nächsten Apotheke sind akzeptabel?
Berücksichtige man den demografischen Wandel, müsste sich das Land eher auf mehr zu Versorgende einstellen als auf weniger. In Dithmarschen etwa und in Ostholstein sieht die Kammer inzwischen eine "gefährliche Ausdünnung" an Apotheken. "Die Frage sei doch", sagt Christiansen, "ob die Gesellschaft es als akzeptabel empfindet, 50 Kilometer zu einer Apotheke fahren zu müssen und dann dort ähnlich wie in einer Arztpraxis anderthalb Stunden zu warten? Dann reichen in Schleswig-Holstein vielleicht auch 400 Apotheken."
Die Schulhaus-Apotheke ist Dorfmittelpunkt
Würde die Apotheke in Rieseby schließen, wäre die nächste Apotheke zehn Kilometer entfernt in Eckernförde. Rieseby hat etwa 2.500 Einwohner. Die Kunden hier mögen die persönliche Beratung, den Kontakt und dass sie nachfragen können. Das könnte sie bei Online-Händlern nicht, sagt Kundin Birgitt Enz. "Ich bin froh, dass ich nicht für jedes Rezept mit der Bahn nach Eckernförde fahren muss", so Enz. Auch Kunde Hans-Werner Sell hofft, dass die Apotheke in dem alten Schulgebäude bestehen bleiben kann. "Wenn das auch noch wegfällt als Mittelpunkt des Dorfes, fehlt etwas für mich als Riesebyer."
Online-Händler als Lösung?
Apotheken gehören zu einer funktionierenden Infrastruktur auf dem Land, so die Apothekerkammer. Das könne nicht ersetzt werden von Online-Händlern. Die würden auch keine Notdienste am Wochenende machen, beraten oder das dringend benötigte Antibiotikum per Botendienst zum Patienten bringen, von denen immer weniger mobil sind. Nach Angaben der Verbraucherzentrale hat der Internethandel mit Medikamenten auch Vorteile, denn man kann bequeme von zu Hause bestellen und die Preise vergleichen. Allerdings gäbe es keine akute Versorgung auf Grund mehrtägiger Lieferzeiten und auch die gesetzlich vorgeschriebene Beratung per Mail oder Telefon sei nicht immer sofort verfügbar.
"In Gedanken durch die leeren Räume zu gehen - schrecklich!" Sigrun Kramer, Apothekerin
Apothekerin Sigrun Kramer in Rieseby sagt, dass sie traurig sei, noch keine Nachfolge für ihre Apotheke gefunden zu haben. Sie habe beschlossen, im Sommer in Rente zu gehen - zeitgleich mit ihren zwei Mitarbeiterinnen. Vielleicht gibt es bis dahin einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.