Angriffe auf Politiker: Parteien in SH in Sorge
Vor der Europawahl häufen sich bundesweit Angriffe auf Politiker und ihre Wahlkampfhelfer. Prominentestes Opfer: Ex-Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Die Parteien im Norden beobachten die Vorfälle mit Sorge.
Die Prügelattacke auf den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke in Dresden am vergangenen Freitag hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Doch die Tat ist kein Einzelfall. Auch weitere Politikerinnen und Politiker von SPD, Grünen oder AfD sind in den vergangenen Tagen bepöbelt oder sogar attackiert worden. In der Nacht war bekannt geworden, dass auch die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey attackiert und verletzt wurde. Laut Polizei hatte ein unbekannter Mann der SPD-Politikerin in einer Bibliothek von hinten einen Gegenstand gegen Kopf und Nacken geschlagen. Sie wurde leicht verletzt. Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) sieht auch in Schleswig-Holstein eine gestiegene Aggressivität.
Sütterlin-Waack: "Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz"
Ähnliche Vorfälle wie in Sachsen oder Berlin hat es in Schleswig-Holstein bislang nicht gegeben. Das berichten die im Kieler Landtag vertretenen Parteien. Allerdings seien zahlreiche Wahlplakate zerstört worden, so SPD, Grüne und FDP. In Neumünster waren vor drei Wochen außerdem die Scheiben der Kreisgeschäftsstelle eingeworfen worden. Die CDU rät ihren Wahlkampfhelfern, immer mindestens zu zweit loszugehen, insbesondere im "Haustürwahlkampf". Insgesamt blicken die Parteien mit Sorge auf die aktuellen Vorkommnisse.
Sütterlin-Waack hat bereits am Dienstagabend mit ihren Kolleginnen und Kollegen von Bund und Ländern über die Entwicklungen beraten. Die Angriffe auf Politiker und Wahlkämpfer seien "furchtbar" und aufs Schärfste zu verurteilen, sagte die CDU-Politikerin im Interview mit NDR Schleswig-Holstein. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen wurde beschlossen, zu prüfen, ob das Strafrecht verschärft werden kann, um Mandatsträger besser zu schützen. In Schleswig-Holstein gebe es außerdem eine Anlaufstelle zum Schutz ehrenamtlicher Kommunalpolitikerinnen und -politiker. Zusätzlich werde regelmäßig ein Lagebild erstellt. Einen umfassenden, hundertprozentigen Schutz gebe es allerdings nicht, betonte die Innenministerin.
SPD-Wahlkämpfer in Uetersen bepöbelt
Eine unschöne Begegnung in diesem Europawahlkampf hat vor wenigen Tagen Bernd Szwirblatt erlebt. Er ist Wahlkampfleiter der SPD in Uetersen (Kreis Pinneberg). Pöbeleien und Beleidigungen gehören für ihn inzwischen zum Alltag. "Uns ist es tatsächlich passiert, dass ein Pkw neben uns hielt und wir durch das geöffnete Fenster bepöbelt wurden", erzählt Szwirblatt. Aber auch die Ansprache an den Wahlkampfständen werde immer aggressiver. "Dagegen muss massiv vorgegangen werden", findet der Wahlkämpfer.
Und nicht nur auf der Straße werden Politikerinnen und Politiker mit Hass und Beschimpfungen konfrontiert, auch in den sozialen Netzwerken haben solche Vorfälle massiv zugenommen. Bei einer vor kurzem veröffentlichten "YouGov"-Umfrage für die Organisation "HateAid" ist herausgekommen, dass sich zwar 86 Prozent der Befragten einen respektvollen Umgang miteinander - auch im Internet - wünschen. Allerdings waren 43 Prozent der Meinung, dass Politikerinnen und Politiker im Netz Anfeindungen aushalten müssten, weil es zu ihrem Job gehöre. Jeder dritte Befragte zeigte außerdem Verständnis dafür, wenn Menschen aus Unzufriedenheit Politiker online beschimpfen.
HateAid: Politikerinnen und Politiker werden dehumanisiert
Die Organisation "HateAid" berät seit mehr als fünf Jahren Menschen, die Hass und Beleidigungen im Netz erlebt haben oder erleben, darunter viele Politikerinnen und Politiker. "Es gibt Lügenkampagnen, Morddrohungen, Vergewaltigungsandrohungen, teilweise werden auch die Familien der Opfer angegangen", berichtet "HateAid"-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg. Menschen, die sich für die Demokratie engagierten, seien in den vergangenen Jahren im Internet zu Freiwild geworden. Politiker würden gar nicht mehr richtig als Menschen gesehen, sondern dehumanisiert, so die gelernte Fernsehjournalistin. Das sei eine gefährliche Entwicklung.
"Jeder kann etwas tun, um zu helfen"
"HateAid" ruft dazu auf, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. "Das geht sogar vom Sofa aus", meint von Hodenberg. "Wir können uns einfach an die Seite von Kommunalpolitikerinnen und -politikern stellen, die täglich im Internet angegriffen werden und zwar mit Solidaritätskommentaren oder mit Gesprächen an den Wahlkampfständen", sagt von Hodenberg. Aber auch die konsequente Strafverfolgung sowie Demokratiebildung seien wichtig, um zu zeigen: Hier ist die Grenze erreicht.