Alles ist Geschichte - für Historiker der Regionalgeschichte
Es klingt erstmal nach einem trockenen Thema, ist aber eine bewegte Geschichte - um Geschichte: der Lehrstuhl für schleswig-holsteinische Geschichte an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Heute ist es der Lehrstuhl für Regionalgeschichte.
"Für uns ist alles relevant, alles interessant - alles was ich höre, sehe, lese", so Professor Oliver Auge, der derzeitige Lehrstuhlinhaber für Regionalgeschichte in Schleswig-Holstein. Angefangen hat alles 1924 - oder doch eher 1920. Nach dem Ersten Weltkrieg wird Europa neu aufgeteilt. Und nach einer Volksabstimmung wird Nordschleswig ein Teil des Königreichs Dänemark. Quasi als Gegenimpuls dazu wird unter politischem Druck, gegen den erklärten Willen der Universität Kiel, ein Lehrstuhl für Landesgeschichte eingerichtet.
Erster Lehrstuhlinhaber wird Otto Scheel. Der ist zwar kein gelernter Historiker, sondern Theologe, der auch kirchenhistorisch forscht. Aber vor allem ist er deutsch-national geprägt und ab 1933 NSDAP-Mitglied. Nach der Besetzung Dänemarks durch die Wehrmacht leitet er das Deutsche Wissenschaftliche Institut in Kopenhagen. Später wird er ein deutlicher Verfechter völkischer Ideen. Und so beginnt die Historie um die schleswig-holsteinische Landesgeschichte eher unrühmlich.
Aufarbeiten und annähern
In den 1950er und 1960er Jahren erholt sich das Land langsam vom Zweiten Weltkrieg. Ereignisse wie die Freigabe der Insel Helgoland von den Briten und 1963 der Brückenschlag nach Dänemark mit dem Bau der Fehmarnsundbrücke prägen die Landesgeschichte. Auf dem Lehrstuhl für schleswig-holsteinische Geschichte sitzt ab 1957 Alexander Scharff, der wie Otto Scheel vorbelastet ist. Der Historiker war ebenfalls NSDAP-Mitglied. Und muss sich, erfolgreich, einer Entnazifizierung unterziehen. Im Amt als Regionalhistoriker bemüht er sich später intensiv um eine Aussöhnung und Annäherung mit Dänemark. Für seine demokratischen Bemühungen wird er später mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Brokdorf, Mölln und krasse Politikwechsel
Zwischen 1978 und 1994 haben die Historiker in Kiel alle Hände voll zu tun. Unter Erich Hoffman stehen bewegte Jahre an. In Brokdorf demonstrieren bis zu 100.000 Anti-Atomkraftgegner gegen den Bau des geplanten Atomkraftwerkes. Mit Wasserwerfern und tief fliegenden Helikoptern der Polizei werden sie mit groben, und wie einige später meinen, unangemessenen, Mitteln zurückgedrängt. Rechte Parteien wie die DVU drängen in die Politik. Ein Brandanschlag in Mölln (Kreis Herzogtum Lauenburg) werden Mitglieder von zwei türkischen Familien schwer verletzt, drei Menschen getötet. Und die Politikwechsel in Kiel halten die Historiker ebenfalls auf Trab: von Uwe Barschel über Björn Engholm bis hin zu Heide Simonis.
Alles auf Null - Dänemark ist dran
Und danach? Ein kleines Wunder. Das, was als antidänische Idee gestartet ist, wird nun tatsächlich zum Versöhnungslehrstuhl. Thomas Riis wird erster Däne auf dem Lehrstuhl für schleswig-holsteinische Geschichte. Einer seiner ehemaligen Studenten, Jan Schlürmann, erinnert sich. "Thomas Riis war ein typischer Däne, mit dem Akzent, den viele lieben. Und sehr sprachbegabt. Französisch, deutsch, englisch, italienisch hat er fließend gesprochen. Für ihn war Regionalgeschichte auch immer über den Tellerrand, über die Landesgrenzen, gucken."
Alles für Schleswig-Holstein
Seit 2009 leitet Professor Oliver Auge das Institut für Regionalgeschichte. Unter seiner Führung wird der Lehrstuhl fit gemacht für die Zukunft. Mehr Kommunikation nach außen, Geschichte fassbar machen, den Menschen im Norden zeigen, dass alle Teil der Regionalgeschichte sind. Jeder Tag in Schleswig-Holstein ist ein mögliches neues Kapitel in der Historie. Gesammelt werden Unmengen von Dokumenten, Fotos, Urkunden, Zeitungsausschnitte und Forschungsergebnisse. Die werden dann im Landesarchiv in Schleswig für kommende Generationen verwahrt.
Auf einer Länge von 50 Kilometern lagern dort Akten im Prinzenpalais. "Unsere Schatzkammer", meint Oliver Auge. Das Gedächtnis von Schleswig-Holstein. Das darauf wartet, die nächsten 100 Jahre zu dokumentieren.