"Wer Auto fährt, der sündigt auch" - 50 Jahre Punkte in Flensburg
Seit 50 Jahren werden im Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt die Verstöße gegen Verkehrsregeln in einem Punktesystem erfasst und sanktioniert. Das Ziel: Verkehrsteilnehmer zum vorsichtigen Fahren bewegen und Unfälle verhindern.
Eckernförde (Kreis Rendsburg-Eckernförde) hat etwa 21.000 Einwohner. Menschen, die arbeiten gehen, eine Familie haben, ihre Freizeit genießen und sich vielleicht auch mal über den Nachbarn ärgern. Man stelle sich vor, eine Stadt dieser Größenordnung - verschwindet einfach von der Landkarte. 21.000 Menschen: So viele Unfallopfer gab es 1970.
Das wollte man ändern: Am 1. Mai 1974 wird das Punktesystem für Mehrfachtäter eingeführt. Zu schnelles Fahren, sich betrunken an das Steuer zu setzen, Verkehrsregeln nicht beachten - all das soll nun streng verfolgt werden mit dem Ziel, die Zahl der Unfalltoten zu senken.
Die "Verkehrssünderkartei" in Flensburg
Erfasst werden die Verstöße im Verkehrszentralregister, das heutige Fahreignungsregister. Im Volksmund aber heißt das Register "Verkehrssünderkartei" und ist untrennbar mit seinem Verwaltungsort verbunden: Flensburg. In Zeitungen, Radio, Internet oder Fernsehen hört man immer wieder Formulierungen, die an den Zusammenhang zwischen dem Ort und dem Verwalten der Verkehrsverstöße erinnern. Da heißt es zum Beispiel bereits 1974 in einem Beitrag der "Nordschau" des NDR: "Verständlich, dass man mit Unbehagen durch Flensburg fährt, aber das ist auch gut, man fährt vorsichtiger, wenn man von dieser Einrichtung weiß." Oder in einem Beitrag der Tagesschau von 1980: "Wer Auto fährt, der sündigt auch und wer sündigt, der kommt nach Flensburg in die Kartei."
Niemand klatscht Beifall
"Niemandem gefällt es, wenn man abgestraft wird", sagt Stephan Immen, "da klatscht niemand Beifall. Am Ende war es aber das Ziel der Verkehrssicherheit, die gesiegt hat. Man hat das Punktesystem eingeführt und ich erlebe, dass es akzeptiert ist, weil es die Verkehrssicherheit erhöht hat." Immen ist seit fast 20 Jahren Pressesprecher des Kraftfahrt Bundesamts. Bereits 1988 hat er bei der Bundesbehörde angefangen zu arbeiten, die in Flensburg für die Verwaltung des Punktesystems in Deutschland zuständig ist.
Berufsfahrer contra Sonntagsfahrer
Anfangs gibt es immer wieder Versuche, das System der Punkteverteilung für Verkehrsverstöße zu ändern und bestimmten Gruppen eine besondere Stellung zu verleihen. Lange gibt es zum Beispiel die Diskussion, ob sogenannte "Sonntagsfahrer" und Berufsfahrer gleich behandelt werden sollten. Eine Diskussion, erzählt Stephan Immen, die anhalte. Immer wieder gebe es noch heute Forderungen, zwischen den Verkehrsteilnehmern bei der Punktevergabe zu differenzieren. Das aber werde nicht geschehen, meint er, denn für den, der zu Schaden komme, sei es egal, ob der Verursacher viel oder wenig fahre.
Heute eine Sehenswürdigkeit
Heute sind die Daten der Verkehrsteilnehmerinnen und - teilnehmer und ihre Verstöße fast gänzlich digitalisiert. Mit dem Vorteil, dass sie sogar online abgerufen werden können. Das System der Punktevergabe wurde zudem angepasst und erweitert, weil zum Beispiel das Benutzen von Mobiltelefonen im Straßenverkehr 1974 nicht vorhersehbar war. Und das Kraftfahrt-Bundesamt mit seinem Standort in Flensburg bleibt zwar das "schlechte Gewissen einer Kraftfahrer- und Kraftfahrerinnen-Nation", wird aber sogar als Sehenswürdigkeit in Stadtführern genannt.
Im vergangenen Jahr starben auf den Straßen in Deutschland etwa 2.700 Menschen. Immer noch zu viele Opfer, aber im Vergleich zum Beginn der 1970er Jahre weitaus weniger. Auch ein Erfolg des Flensburger Punktesystems.