Schritte in die richtige Richtung - außer beim Thema Geld

Stand: 09.10.2024 18:05 Uhr

Das Bistum Osnabrück hat auf die Studie zu den Missbrauchsfällen reagiert. In puncto Entschädigungen soll alles bleiben, wie es ist. Florian Breitmeier aus der Redaktion Religion und Gesellschaft kommentiert.

von Florian Breitmeier

Das Bistum Osnabrück kennt aufgrund der Aktenlage viele Tatorte und Täter. Doch in kirchlichen Archiven und Aktenordnern findet sich die Sicht- und Erzählweise einer Institution, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche jahrzehntelang vertuscht, verharmlost und verklausuliert hat. Diese kirchlichen Missbrauchs-Codes zu entschlüsseln und als beschönigende Narrative zu entlarven, ist jetzt dringend in der Fläche des Bistums nötig. Durch Schulungen in den Gemeinden und in der kirchlichen Verwaltung.

Das gesamte Ausmaß der Verbrechen ist noch nicht erfasst

Florian Breitmeier © NDR Foto: Christian Spielmann
Florian Breitmeier ist Redakteur in der Redaktion Religion und Gesellschaft des Norddeutschen Rundfunks.

Es geht um ein "fühlendes Verstehen", wie es in Osnabrück hieß. Dafür müssen eigene Sprachräume vor Ort geöffnet werden, die das Bistum Osnabrück nun endlich initiieren will. Es geht dabei nicht um einen quälenden und destruktiven Blick in die Vergangenheit kirchlicher Untiefen, sondern um die Zukunft einer Institution in einer existentiellen Krise, die um ihre Zukunft ringt. Denn das gesamte Ausmaß der Verbrechen ist noch gar nicht erfasst - das Dunkelfeld keineswegs ausgeleuchtet.

Betroffene haben bei Aufarbeitung Druck gemacht

Die Gegenwart der Kirche wird das weiterhin auf Jahre prägen. Aber Betroffene loben ausdrücklich, dass die Forschenden der Universität Osnabrück endlich das "Böse ans Licht“ gebracht haben. Dies wiederum war nur möglich, weil an Leib und Seele verletzte Menschen ihr Leid öffentlich gemacht haben. Die Mitarbeit von Betroffenen an der Forschung, die mehr umfasste als Interviews zu persönlichen Fällen, ist ein gewaltiger Fortschritt. Daraus muss das Bistum Osnabrück jetzt aber etwas machen. Keine Frage: In den vergangenen Jahren wurden im Bistum Osnabrück wichtige und wegweisende Schritte unternommen, um beim Thema Aufarbeitung voranzukommen. Das lag vor allem daran, dass Betroffene Druck gemacht haben. Ohne sie geht es nicht.

Bistum Osnabrück setzt mit Ombudsstelle neue Maßstäbe

Es gibt in Osnabrück externe Experten, die den sogenannten Schutzprozess im Bistum Osnabrück kontrollieren und sich ausdrücklich als Korrektiv zur Bistumsleitung verstehen, wenn das nötig ist. Auch eine unabhängige Ombudsstelle wurde eingerichtet, an die sich Betroffene wenden können, wenn sie mit Reaktionen der Kirche nicht einverstanden sind. Hier setzt das Bistum Osnabrück auch im Vergleich zur evangelischen Landeskirchen neue Maßstäbe.

Sehr viele Fälle sind strafrechtlich verjährt

In einem weiteren sehr wichtigen Punkt für Betroffene aber will sich das Bistum offenbar nicht bewegen. Am bisherigen Verfahren zur Anerkennung des Leids wolle man trotz deutlicher Kritik bis auf Weiteres festhalten, hieß es in Osnabrück. Dabei haben auch die an der Missbrauchsstudie beteiligten Juristen festgestellt, dass die Kirche erst dann reagiert, wenn Betroffene einen Antrag stellen, anstatt dass die Kirche selbst aktiv wird. Die bisher geleisteten Summen blieben dann in den meisten Fällen hinter dem zurück, was staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zusprechen würden, so das ernüchternde Urteil der Rechtsexperten im Rahmen der Missbrauchsstudie. Die Kirche selbst verweist auf das niedrigschwellige Verfahren, das die geschilderten Fälle auf Plausibilität hin prüft, ohne dass gerichtsfeste Beweise im Rahmen eines Schadenersatzprozesses vorgebracht werden müssten. Das Problem hierbei: sehr viele Fälle sind strafrechtlich verjährt.

Warum nicht Hürden für Betroffene senken?

Allerdings könnten die Kirchen die bisher geleisteten Zahlungen mit einem bestimmten Faktor multiplizieren oder von sich aus aufgrund von jahrzehntelanger institutioneller Vertuschung und verschleppter Aufarbeitung der Pflichtverletzungen von Amtsträgern auf die sogenannte Einrede der Verjährung verzichten. Die kann für Betroffene in Zivilprozessen eine große Hürde darstellen, um Erfolg zu haben. Auch hier haben die Osnabrücker Forscher in ihrem Zwischen- und Abschlussbericht deutliche Worte gefunden, die aber von Bistumsseite bislang nicht selbstkritisch genug aufgenommen werden.

Bistum darf sich angemessener Entschädigungen nicht verschließen

Wie gesagt: Im Bistum Osnabrück wurde bereits Positives auf den Weg gebracht, die Lernkurve zeigt nach oben. Mit Blick auf eine von Betroffenen immer wieder geforderte Reform der Anerkennungsleistungen aber bleibt das finanziell nicht auf Rosen gebettete Bistum Osnabrück ebenso hart wie reiche Diözesen. Doch wer demütig und nachhaltig aufarbeiten will, darf sich der Frage der angemessenen Entschädigung nicht verschließen.

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