Rosatom-Einstieg in Lingen? Ansichten gehen weit auseinander
Drei Tage lang wurde über die geplante Kooperation der Brennelementefabrik in Lingen mit dem russischen Staatskonzern Rosatom diskutiert. Framatome zeigt sich zuversichtlich, Kritiker sehen sich in ihren Bedenken bestätigt.
Mehrere Initiativen erklärten am Freitag, die Vertreterinnen und Vertreter des französischen Unternehmens Framatome seien den Fragen der Einwender ausgewichen. Zudem seien "erschreckende Sicherheitslücken" bei der geplanten Zusammenarbeit der Framatome-Tochter Advanced Nuclear Fuels (ANF), die die Brennelementefabrik betreibt, mit Rosatom offensichtlich geworden. So hätten während der Diskussion ANF-Vertreter zugegeben, dass im Frühjahr rund 20 Rosatom-Mitarbeiter mehrere Wochen lang rund 20 Beschäftigte von Framatome in Lingen geschult haben. Dabei habe es laut Framatome keinerlei Sicherheitsüberprüfung der Rosatom-Mitarbeiter gegeben, teilten die Initiativen am Freitag mit. Außerdem habe Framatome revidiert, dass es sich nur um eine kurzfristige Zusammenarbeit mit Rosatom handelt. Demnach zeichne sich eine langfristige Kooperation mit dem russischen Konzern ab.
ANF: "Können deutliche Unterstützung verzeichnen"
Der ANF-Geschäftsführer Andreas Hoff äußerte sich am Freitag hingegen zufrieden. "Die vergangenen Tage haben deutlich gemacht, dass es in der Region keine nennenswerte Mobilisierung gegen unser Vorhaben gibt", sagte Hoff in einer Mitteilung. "Vielmehr können wir eine deutliche Unterstützung verzeichnen, auch von Seiten unserer Belegschaft und der Gewerkschaft." Seiner Ansicht nach seien alle Einwände bei der Diskussion in Lingen "sachlich und umfassend" erörtert und offene Fragen beantwortet worden. Bei dem Erörterungstermin haben nach Angaben der Initiativen rund 170 Einwenderinnen und Einwender etwa 28 Stunden lang Fragen an ANF, an das Bundesumweltministerium, das Niedersächsische Umweltministerium sowie an den TÜV Nord gestellt.
Anti-Atom-Initiative: Sprengstoff in Brennstäben?
Die Kritiker befürchten durch die Kooperation mit dem russischen Staatskonzern Spionage und Sabotage im europäischen Energienetz. Brennelemente aus Lingen könnten zu einer "unkalkulierbaren Gefahr für AKWs in ganz Europa" werden, erklärte Bettina Ackermann am Donnerstag in einer Mitteilung der Anti-Atom-Organisation "ausgestrahlt". Dies sei möglich, weil - im Falle einer genehmigten Kooperation - der russische Staatskonzern Rosatom fertig verschweißte und befüllte Brennstäbe nach Lingen liefern werde, die dort nur noch montiert würden. Der Werksleiter der Brennelementefabrik, Jürgen Krämer, wies die Sprengstoff-Warnungen zurück. Es gebe am Ende des Fertigungsprozesses ein so ausgeklügeltes Qualitätsmanagement, dass definitiv auffallen würde, wenn Brennelemente mit Sprengstoff oder auf andere Weise manipuliert wären, sagte er.
Sorge vor russischer Einflussnahme
Die Initiative "ausgestrahlt" hat jüngst ein Statement von Oleg Dudar verbreitet. Der Ex-Chef des ukrainischen AKW Saporischschja schilderte darin, wie sich Rosatom an der militärischen Eroberung und Besetzung des AKW Saporischschja beteiligte habe - und dass der russische Konzern bis heute eng mit Geheimdienst und Armee in Russland zusammenarbeite. Auf Fragen diesbezüglich sind die Vertreterinnen und Vertreter von Framatome laut Kritikern bei dem Erörterungstermin nicht eingegangen. "Der Erörterungstermin hat in dramatischer Form verdeutlicht, mit welcher Naivität Framatome-ANF dem Kreml-Konzern Rosatom den roten Teppich ausrollt", sagte Alexander Vent vom Bündnis Atomkraftgegner*innen im Emsland. Die fehlenden Sicherheitsüberprüfungen der Rosatom-Mitarbeiter in Lingen seien ein Beispiel dafür, "dass Framatome die aggressive Politik der russischen Regierung und die enge Verquickung Rosatoms mit den russischen Geheimdiensten nicht ernst nimmt".
Umweltminister teilt Sicherheitsbedenken der Kritiker
Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) teilt die Sicherheitsbedenken der Kritikerinnen und Kritiker: "Die aktuellen Warnungen der Sicherheitsdienste vor einer akuten Bedrohung durch russische Agenten und Geheimdienste nehmen wir sehr ernst, ebenso die enge Verbindung von Rosatom zu Putins Angriffskrieg auf die freie und demokratische Ukraine." Eine solche Kooperation sei unverständlich, sagte er am Mittwoch gegenüber NDR Info. "Geschäfte mit dem Kriegstreiber Putin sollten generell und gerade auch im sensiblen Atomsektor nicht gemacht werden", betonte Meyer. Es sei naiv zu glauben, Putin wolle der ANF über die enge Kooperation mit Rosatom lediglich helfen, osteuropäische Staaten unabhängig von Russland zu machen. "Wir stehen klar auf der Seite der Ukraine und sollten nichts tun, was Russlands Einfluss in Europas Energiesektor erhöht", so der Umweltminister.
Fabrik in Lingen nach Atomausstieg nicht mehr ausgelastet?
Bisher werden in Lingen nur die viereckigen Brennelemente für Atomkraftwerke in Westeuropa produziert. Nachdem Deutschland im April vergangenen Jahres seine letzten Atomkraftwerke (AKW) vom Netz genommen hatte, sei die Produktion in Lingen nicht mehr ausgelastet, sagen Kritiker der Brennelementefabrik. Auch deshalb wolle der Betreiber Brennstäbe nach sowjetischer Bauart produzieren. ANF selbst spricht hingegen von einer guten bis sehr guten Auslastung des Werks. Wie Fabrik-Geschäftsführer Andreas Hoff außerdem mitteilte, könnte eine zusätzliche Produktion von sechseckigen Brennelementen mehr Unabhängigkeit von russischer Produktion bedeuten - etwa für Atomkraftwerke in der Ukraine oder Finnland.
11.000 Einwendungen gegen Zusammenarbeit
Die niedersächsische Landesregierung hatte im Rahmen des Genehmigungsverfahrens die Unterlagen der Planungen in Lingen öffentlich auslegen lassen. Dagegen waren rund 11.000 Einwendungen eingegangen. Nach dem Erörterungstermin will das Umweltministerium nun entscheiden, ob die Pläne für die Lingener Fabrik genehmigt werden. Wann genau die Entscheidung fallen soll, ist unklar.