"Situation ist dramatisch": Milchbauern bangen um ihre Existenz

Stand: 01.06.2023 19:54 Uhr

Am 1. Juni ist Weltmilchtag - doch die Bauern in Niedersachsen sind nicht in Feierlaune. Nach einem Rekordhoch im Herbst 2022 ist der Milchpreis tief gefallen. Viele Milchbauern kämpfen um ihre Existenz.

von Cathrine Lejeune

Die Landwirte nutzen den Weltmilchtag dafür, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Unter ihnen: Jürgen Rademacher. Er ist Bio-Landwirt und Milchbauer. Den Betrieb führt er in vierter Generation in Beverstedt im Landkreis Cuxhaven. Doch hier werden keine weiteren Kälbchen gezüchtet und ab August auch keine Kuh mehr gemolken.

Milchbauer Rademacher: "Anerkennung, aber kein Geld"

Der 62-Jährige macht Schluss und steigt aus der Milchlandwirtschaft aus. "Ich möchte das nicht mehr - gerade mit dem Blick auf das Tier und mit Blick auf die Natur." Rademacher führt seinen Hof allein. Dreimal die Woche kommt eine Melkhilfe. Das, was er mit seiner Milch verdient, reiche gerade so, um die Kosten zu decken. Nicht selten zahlt er aus eigener Tasche drauf. "Man gewinnt Anerkennung, aber kein Geld."

Zu viel Milch auf dem Markt lässt Preise fallen

Rademacher ist nicht der einzige Bauer, der die Reißleine zieht. Zwar bekommen die Landwirte heute mehr Geld für einen Liter Milch als vor zwei Jahren: Damals waren es 34,9 Cent, heute sind es durchschnittlich 49,6 Cent pro Liter. Doch die stetig steigenden Energie-, Futtermittel- und Düngemittelpreise lassen die Kosten der Milchviehhalter aus dem Ruder laufen. Zudem wird mehr Milch produziert als in Deutschland gebraucht wird. Das drückt die Preise. Vertreter des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) und auch Miriam Staudte (Grüne), Niedersachsens Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, beobachten diese Entwicklung mit Sorge.

Videos
ein Glas Milch in das eingegoßen wird © Screenshot
3 Min

Landwirtinnen und Landwirte klagen über sinkende Milchpreise (29.02.2023)

Eigentlich exportieren die hiesigen Höfe die Hälfte ihrer Milch, aber im Moment ist die globale Nachfrage eingebrochen. 3 Min

"Milchmarkt funktioniert eigentlich nicht"

Derzeit gibt es 7.650 Milchbauernhöfe in Niedersachsen. Allein in den vergangenen eineinhalb Jahren sind 456 Bauern ausgestiegen. "Die Situation der Milchbauern ist dramatisch", sagt Agrarministerin Staudte. Sie fordert, dass die Position der Milchbauern gegenüber den Molkereien durch verbindliche Verträge gestärkt werden müsse. Dafür hat die EU einen Rahmen geschaffen. "Deshalb glaube ich ist es ganz ganz wichtig, wieder ein marktwirtschaftliches Regulativ zu installieren", sagt sie. "Weil auch das Bundeskartellamt sagt, der Milchmarkt funktioniert eigentlich nicht. Das ist das Kernproblem." Aus diesem Grund plädiert sie für ein Frühwarnsystem, um Strukturen zur Milchmarktbeobachtung zu schaffen und verspricht auch, sich im Bund dafür stark zu machen.

Landvolk sieht Politik in der Verantwortung

Der BDM kritisiert das als reinen Aktionismus und zeigt sich enttäuscht von der Politik. Eine echte Veränderung hin zu einer dem Markt angepassten Produktion mit einer gleichberechtigten Wertschöpfungskette gebe es nicht - sei aber dringend notwendig, heißt es. "Wir betreiben Raubbau. Raubbau an den Ressourcen. Die Ressourcen sind nicht nur die Tiere und die Natur, der Raubbau betrifft auch unsere Familien, das eingesetzte Kapital", sagt der BDM-Vorsitzende Peter Habbena. Auch Manfred Tannen, Landvolk-Vizepräsident, bezeichnet die Honorierung von ökologischen und tierschutzrechtlichen Leistungen als grenzwertig: "Die Politik ist hier in der Verantwortung, uns Landwirten einen Rahmen zu stecken, der Planungssicherheit und Zukunftsperspektive bietet."

Aus Milchhof wird ein Lebenshof

Raubbau, fehlende Wertschöpfungskette: Das sind Begriffe, die Noch-Milchbauer Rademacher nicht fremd sind, wenn er an die Milchwirtschaft denkt. Er selbst habe immer versucht, einen tierfreundlichen Weg zu gehen. Er habe schon immer ein anderes Verhältnis zu seinen Kühen und sei damit nicht selten bei konventionellen Milchbauern angeeckt, erzählt er. Seine Kühe habe er erstmals besamen lassen, wenn sie drei Jahre alt waren, auch wenn das aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht die beste Wahl ist. Es sei besser fürs Tier, davon ist er überzeugt. Und das Tierwohl stehe für ihn an erster Stelle. Deshalb ist für ihn klar: Auch wenn hier bald keine Kühe mehr gemolken werden, wird es sie hier weiterhin geben. Er wandelt seinen Hof zu einem Lebenshof um. Finanzieren möchte er das unter anderem mit Kuhpatenschaften.

Weitere Informationen
Milchbauern protestieren, halten Schilder hoch mit Aufschriften wie: "Milchmarktkrise 4.0", im Vordergrund sitzen zei Männer in einem Bottich voller Milch. © Screenshot
2 Min

Milchbauern protestieren vor Landtag in Schwerin

Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter fordert unter anderem eine EU-weite Reduzierung der Milchmenge. 2 Min

Ein Traktor auf einem Feld. © picture alliance / Countrypixel | FRP Foto: picture alliance / Countrypixel | FRP

Gewässerschutz: Niedersachsens Landwirte warten auf Ausgleich

Für Dünger-und Spritzmittelverzicht können Landwirte eine Entschädigung bekommen. Doch bislang ist kein Geld angekommen. (02.05.2023) mehr

Eine Glaskanne mit Milch steht auf einer Mauer. © Colourbox Foto: Kaca

Milchpreis: Bauern klagen über deutlichen Rückgang

Der Preis für einen Liter Milch ist um acht Cent gefallen. Für Bauern bedeutet das bis zu 15.000 Euro Verlust pro Monat. (09.02.2023) mehr

Weizen steht auf einem Feld vor blauem Himmel. © picture alliance Foto: Friso Gentsch

Landwirte profitieren von gestiegenen Lebensmittelpreisen

Betriebe in Niedersachsen erwirtschaften ein Plus von 90 Prozent. Futterproduzenten verdienen sogar 130 Prozent mehr. (18.04.2023) mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 01.06.2023 | 08:00 Uhr

Mehr Nachrichten aus der Region

Eine Person steht mit einem Baseballschläger in der Hand auf einer Straße. © NDR Foto: Julius Matuschik

Maskierte greifen Gäste auf Party mit Baseballschlägern an

Bis zu acht Personen stürmten eine Party in Cappeln und verletzten drei Menschen. Die Polizei nahm drei Verdächtige fest. mehr

Aktuelle Videos aus Niedersachsen