"Situation ist dramatisch": Milchbauern bangen um ihre Existenz
Am 1. Juni ist Weltmilchtag - doch die Bauern in Niedersachsen sind nicht in Feierlaune. Nach einem Rekordhoch im Herbst 2022 ist der Milchpreis tief gefallen. Viele Milchbauern kämpfen um ihre Existenz.
Die Landwirte nutzen den Weltmilchtag dafür, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Unter ihnen: Jürgen Rademacher. Er ist Bio-Landwirt und Milchbauer. Den Betrieb führt er in vierter Generation in Beverstedt im Landkreis Cuxhaven. Doch hier werden keine weiteren Kälbchen gezüchtet und ab August auch keine Kuh mehr gemolken.
Milchbauer Rademacher: "Anerkennung, aber kein Geld"
Der 62-Jährige macht Schluss und steigt aus der Milchlandwirtschaft aus. "Ich möchte das nicht mehr - gerade mit dem Blick auf das Tier und mit Blick auf die Natur." Rademacher führt seinen Hof allein. Dreimal die Woche kommt eine Melkhilfe. Das, was er mit seiner Milch verdient, reiche gerade so, um die Kosten zu decken. Nicht selten zahlt er aus eigener Tasche drauf. "Man gewinnt Anerkennung, aber kein Geld."
Zu viel Milch auf dem Markt lässt Preise fallen
Rademacher ist nicht der einzige Bauer, der die Reißleine zieht. Zwar bekommen die Landwirte heute mehr Geld für einen Liter Milch als vor zwei Jahren: Damals waren es 34,9 Cent, heute sind es durchschnittlich 49,6 Cent pro Liter. Doch die stetig steigenden Energie-, Futtermittel- und Düngemittelpreise lassen die Kosten der Milchviehhalter aus dem Ruder laufen. Zudem wird mehr Milch produziert als in Deutschland gebraucht wird. Das drückt die Preise. Vertreter des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) und auch Miriam Staudte (Grüne), Niedersachsens Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, beobachten diese Entwicklung mit Sorge.
"Milchmarkt funktioniert eigentlich nicht"
Derzeit gibt es 7.650 Milchbauernhöfe in Niedersachsen. Allein in den vergangenen eineinhalb Jahren sind 456 Bauern ausgestiegen. "Die Situation der Milchbauern ist dramatisch", sagt Agrarministerin Staudte. Sie fordert, dass die Position der Milchbauern gegenüber den Molkereien durch verbindliche Verträge gestärkt werden müsse. Dafür hat die EU einen Rahmen geschaffen. "Deshalb glaube ich ist es ganz ganz wichtig, wieder ein marktwirtschaftliches Regulativ zu installieren", sagt sie. "Weil auch das Bundeskartellamt sagt, der Milchmarkt funktioniert eigentlich nicht. Das ist das Kernproblem." Aus diesem Grund plädiert sie für ein Frühwarnsystem, um Strukturen zur Milchmarktbeobachtung zu schaffen und verspricht auch, sich im Bund dafür stark zu machen.
Landvolk sieht Politik in der Verantwortung
Der BDM kritisiert das als reinen Aktionismus und zeigt sich enttäuscht von der Politik. Eine echte Veränderung hin zu einer dem Markt angepassten Produktion mit einer gleichberechtigten Wertschöpfungskette gebe es nicht - sei aber dringend notwendig, heißt es. "Wir betreiben Raubbau. Raubbau an den Ressourcen. Die Ressourcen sind nicht nur die Tiere und die Natur, der Raubbau betrifft auch unsere Familien, das eingesetzte Kapital", sagt der BDM-Vorsitzende Peter Habbena. Auch Manfred Tannen, Landvolk-Vizepräsident, bezeichnet die Honorierung von ökologischen und tierschutzrechtlichen Leistungen als grenzwertig: "Die Politik ist hier in der Verantwortung, uns Landwirten einen Rahmen zu stecken, der Planungssicherheit und Zukunftsperspektive bietet."
Aus Milchhof wird ein Lebenshof
Raubbau, fehlende Wertschöpfungskette: Das sind Begriffe, die Noch-Milchbauer Rademacher nicht fremd sind, wenn er an die Milchwirtschaft denkt. Er selbst habe immer versucht, einen tierfreundlichen Weg zu gehen. Er habe schon immer ein anderes Verhältnis zu seinen Kühen und sei damit nicht selten bei konventionellen Milchbauern angeeckt, erzählt er. Seine Kühe habe er erstmals besamen lassen, wenn sie drei Jahre alt waren, auch wenn das aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht die beste Wahl ist. Es sei besser fürs Tier, davon ist er überzeugt. Und das Tierwohl stehe für ihn an erster Stelle. Deshalb ist für ihn klar: Auch wenn hier bald keine Kühe mehr gemolken werden, wird es sie hier weiterhin geben. Er wandelt seinen Hof zu einem Lebenshof um. Finanzieren möchte er das unter anderem mit Kuhpatenschaften.