Immer mehr Kokain im Umlauf: Mediziner und Polizei warnen
Bisher waren große Seehäfen wie Rotterdam und Hamburg die Einfallstore für Kokaintransporte nach Deutschland. Jetzt könnten laut Polizei auch kleinere Häfen wie Bremerhaven, Emden und Wilhelmshaven im Fokus der Schmuggler sein.
43 Tonnen Kokain wurden 2023 abgefangen - so viel wie noch nie. Allein im Hamburger Hafen stellten Polizei und Zoll 33 Tonnen sicher. Andreas Tschirner, Leitender Kriminaldirektor der Abteilung Analyse und Ermittlungen beim Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen, rechnet jedoch mit einer Verlagerung von Rotterdam und Amsterdam und eben Hamburg zu kleineren Häfen - auch wenn sich das noch nicht mit Zahlen belegen lässt. "Es zeichnet sich ab, dass aufgrund der gestiegenen Sicherheitsmaßnahmen und des Verfolgungsdrucks mit einem Verdrängungseffekt zu rechnen ist und mehr kleinere Häfen betroffen sind."
Konsumenten zahlen pro Gramm 80 bis 100 Euro
Die Kokainschwemme in Europa ist längst auch in Niedersachsen spürbar, auch wenn sie insgesamt wenig Schlagzeilen von sich macht. Bemerkenswert ist jedoch, dass trotz der Funde großer Mengen offenbar genügend Stoff auf dem Markt ist, um die Nachfrage zu bedienen. "Wir können trotz der großen Sicherstellungsmengen nicht feststellen, dass sich irgendetwas verändert im Angebot, im Preis, in der Qualität des Stoffes", sagt Tschirner im Interview mit dem NDR Niedersachsen. Für ein Gramm zahlen Konsumenten 80 bis 100 Euro, die 33 Tonnen aus dem Hamburger Hafen sollen einen Verkaufswert von 2,6 Milliarden Euro gehabt haben.
Kokain: Verbaut in Containern oder versteckt in der Fracht
Laut LKA wird die Droge von Südamerika aus von multi-ethnischen Tätergruppen gehandelt. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Infrastruktur in Häfen und Logistik von den Banden unterwandert ist und so größtenteils verborgen bleibt, wenn das Rauschgift zwischen Früchten versteckt oder in der Containerstruktur verbaut sind, etwa in der Kühlung oder im Boden.
"Das muss uns schon Sorgen machen"
In den Niederlanden gab es in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit Kokainschmuggel Drohungen gegen Politiker und sogar einen Mord an einem investigativen Journalisten. "Diese Gruppierungen sind extrem gewaltbereit", sagt Arndt Sinn von der Universität Osnabrück, der zur Organisierten Kriminalität und deren Bekämpfung forscht. "Das muss uns schon Sorgen machen." Er plädiert für internationale Kooperationen, Datenaustausch und gemeinsame Ermittlungen der Länder.
Mediziner warnen vor Teufelskreis und Depression
Für Alexander Glahn, leitender Oberarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover, gibt es noch einen weiteren gefährlichen Aspekt: den gesundheitlichen. "Je häufiger ich die Droge konsumiere, desto häufiger und desto mehr muss ich auch nehmen. Im Verlauf der Abhängigkeit übernimmt immer mehr die Droge die Kontrolle und nicht der Patient." Glahn arbeitet in der Klinik für Psychiatrie. "Das führt häufig zu schweren Depressionen, teilweise auch mit lebensmüden Gedanken. Wir sehen teilweise auch relativ junge Leute Mitte 30 mit Herzinfarkten, Schlaganfällen, Blutdruckproblemen", sagt Glahn. "Kokain ist eine sehr, sehr gefährliche Droge."