Clankriminalität: Der Shisha-Krieg von Stade

Stand: 16.07.2024 22:55 Uhr

Vor knapp vier Monaten - am 22. März 2024 - wird einem Mann in der historischen Innenstadt von Stade ein Messer in den Kopf gestoßen. Ein Clankrieg eskaliert am helllichten Tag auf offener Straße. Wie konnte es dazu kommen?

von Thomas Berbner (NDR) und Oliver Mayer-Rüth (BR)

Das Opfer heißt Khaled Rachid El-Zein, ein in Stade bekanntes Mitglied des El-Zein-Clans. Der Mann verstarb am nächsten Tag in einem Stader Krankenhaus. Was zunächst wie eine Eskalation nach einem Verkehrsunfall aussah, war nach Recherchen des NDR und des ARD Politikmagazins report München (Bayerischer Rundfunk) der Endpunkt einer Auseinandersetzung zweier türkisch-arabischer Großfamilien. Dem Rechercheteam liegen vertrauliche Polizeidokumente vor. Sie belegen, dass der tödlichen Eskalation mehrere gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den beiden Clanfamilien vorausgegangen waren.

Röntgenbild des Opfers Khaled El-Zein. © NDR/BR Foto: NDR/BR
Das Röntgenbild des Opfers Khaled Rachid El-Zein. Er wurde auf offener Straße erstochen.
Tödliche Eskalation: Die Ausgangslage

In Stade gibt es mehrere Großfamilien mit ausländischen Wurzeln. Viele ihrer Mitglieder sind unbescholtene Bürger und gehen normalen Berufen nach. Clanexperte Thomas Ganz, ein ehemaliger Ermittler des niedersächsischen Landeskriminalamts, rechnet dennoch mit einem Kern von rund 350 Personen, die Großfamilien mit kriminellen Strukturen zuzuordnen sind: "Alle diese Familien tauchen in verschiedenen Deliktsbereichen der Kriminalität seit vielen Jahren immer wieder auf, und ab und zu kommt es dann zu Streitigkeiten und zu Gewalteskalationen." Im September 2022 wurde ein Mann in Stade in einem Dönerladen mit einem Kopfschuss hingerichtet. Im Januar 2024 wurde erneut ein Mann aus dem Clanmilieu getötet, die Leiche wurde in der Nähe des Stader Bahnhofs gefunden. Den jüngsten Messerangriff eingerechnet, gab es in Stade damit drei Tötungsdelikte im Clanmilieu in nicht einmal zwei Jahren.

Es beginnt mit einem Angriff auf einen Shisha-Shop

Die Auseinandersetzungen am 22. März 2024 begannen laut Ermittlungen der Polizei gegen 16 Uhr mit einem Angriff mehrerer Mitglieder des El-Zein-Clans auf einen Shishashop in der Fußgängerzone. Die Polizei rechnet den Shop dem Miri-Clan zu. Ein im Internet verbreitetes Video zeigt Bilder einer Überwachungskamera. Nach den Recherchen von report München und des NDR war auch der später in Stade getötete Khaled El-Zein an dem Angriff auf die Miris beteiligt. Der Mann nutzt auch den Namen Rachid, gehört aber sowohl nach polizeilichen Erkenntnissen als auch nach eigenen Angaben der Familie zum El-Zein-Clan.

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Clankriminalität: Reaktion auf den Angriff von Stade

Als Reaktion auf den Angriff auf den Shishashop gab es kurz darauf eine Attacke eines Mitglieds der Miri-Familie auf ein Wohnhaus der El-Zeins im Altländer Viertel, einem sogenannten Problemstadtteil in Stade mit hohen Migrationsanteil. Nach Erkenntnissen der Polizei suchten daraufhin Mitglieder der El-Zein-Familie die Miris im Stadtgebiet und rammten gegen 17.15 Uhr absichtlich ein Fahrzeug mit Angehörigen des Miri-Clans auf der Straße "Beim Salztor". Polizeibeamte waren schnell vor Ort und glaubten zunächst an einen Verkehrsunfall. Bei der anschließenden Schlägerei zwischen den Familien stieß dann nach den Ermittlungen der Polizei ein Mitglied des Miri-Clans Khaled El-Zein ein Messer in den Kopf. Die Polizeibeamten konnten in dem Tumult die Tat nicht verhindern.

Khaled El-Zein stirbt nach Messerattacke im Krankenhaus

Noch am Tattag fuhren kurz nach Beginn der Auseinandersetzungen mehrere sogenannte Friedensrichter nach Stade. Das sind Angehörige und religiöse Führer, die nach eigenen Aussagen eine weitere Eskalation der Situation in Stade verhindern wollten. Einer der sogenannten Friedensrichter ist ein Verwandter des Opfers und Imam in einer Essener Moschee. Der schwer verletzte Khaled El-Zein wurde in die Elbeklinik in Stade gebracht. Familienmitglieder versammelten sich vor der Klinik, die Polizei schützte das Krankenhaus. Am Tag danach erlag Khaled El-Zein seinen Verletzungen. Die Familie beerdigte ihn im Libanon, von dort waren Familienangehörige ursprünglich nach Deutschland eingewandert.

Konkurrenz und Revierstreitigkeiten als Grund?

Angehörige des Opfers, darunter sein Bruder, machten gegenüber dem NDR und report München keine Angaben zum Tatgeschehen und den Hintergründen. Die Familie El-Zein betreibt einen Shishashop in der Stader Innenstadt, die Polizei vermutet eine Konkurrenzsituation als mögliche Grundlage für den Streit mit den Miris. Die genauen Ursachen der Auseinandersetzung sind weiter unklar, die Polizei hat ermittelt, dass die beiden Großfamilien schon im November 2023 im rund 60 Kilometer entfernten Buchholz in der Nordheide eine tätliche Auseinandersetzung hatten. Clanexperte Thomas Ganz geht von Revierstreitigkeiten aus: "Es geht insbesondere darum, dass jeder dieser Clans ein gewisses Revier für sich markiert hat. Bei allem, was dort passiert, auch an kriminellen Handlungen, duldet so ein Clan keine Einmischung eines anderen Clans von außen."

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Oberstaatsanwältin braucht Personenschutz

Das Opfer Khaled El-Zein stand bereits von 2010 bis 2013 in einem großen Drogenprozess in Stade vor Gericht. Im Zuge der Ermittlungen wurde eine Oberstaatsanwältin bedroht und konnte sich daraufhin mehrere Jahre nur mit Personenschutz durch Stade bewegen. Nach einem Tumult aufgebrachter Angehöriger im Stader Schwurgerichtssaal musste das Verfahren nach Celle in einen Hochsicherheits-Gerichtssaal verlegt werden. Dort wurde Khaled El-Zein 2013 wegen Drogenhandels zu einer hohen Haftstrafe verurteilt.

Angehöriger des Täters spricht über Schuld

Khaled El-Zein posiert für ein Foto. © Privat
Das Opfer der Messerattacke: Khaled Rachid El-Zein bezahlte den Clankrieg mit seinem Leben.

Die Polizei nahm den mutmaßlichen Messerstecher, ein 24-jähriges Mitglied des Miri-Clans, in Buchholz in der Nordheide fest. Das Rechercheteam konnte mit einem Schwager des mutmaßlichen Täters in Kiel sprechen. Ein offenes Interview lehnte er ab, schilderte aber ausführlich den Ablauf der Ereignisse. Er hält die Eskalation für eine Tragödie für beide Familien. Der Streit habe sich an Kleinigkeiten entzündet. Sein Schwager habe bei der Auseinandersetzung auf der Brücke nur seinen Bruder schützen wollen, die Männer hätten sich zuvor Messer besorgt, als die Streitigkeiten begannen. Schuld sei aber der Getötete selbst, er habe immer wieder provoziert. Es sei nicht auszuschließen, dass die Auseinandersetzungen weitergingen. Die Familie El-Zein habe schließlich einen Sohn und Bruder verloren. Die Ermittlungen der Stader Staatsanwaltschaft laufen noch, der mutmaßliche Täter sitzt in Untersuchungshaft.

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