Was ist ein Clan? Kritik an Polizei-Konzept zu Clankriminalität
Die Innen- und die Justizministerin stellen am Montag das aktuelle Lagebild Clankriminalität für Niedersachsen vor. Unter Kriminologen gibt es Kritik an Methodik und Wirkmacht solcher Berichte. Warum?
Thomas Müller hat bei der Polizei Bremen im Bereich der Ermittlungen gegen Organisierte Kriminalität ermittelt und hat neben seiner Tätigkeit als Polizeibeamter Kriminologie studiert. Heute macht er als Trainer Workshops zum Thema Rassismus, unter anderem bei der niedersächsischen Polizei.
Herr Müller, was stört Sie an der Präsentation solcher Lagebilder zur Clankriminalität?
Thomas Müller: Mich stört die politische "Verkaufe". Selbstverständlich ist es richtig, wenn die Polizei Straftaten verfolgt und das auch veröffentlicht. Aber man darf nicht verkennen, dass es hier um einen sehr kleinen Teil der Straftaten geht, die passieren. Dennoch wird das Lagebild genutzt, um zu demonstrieren: Wir haben hier ein großes Problem, aber die Politik tut etwas gegen eine vermeintliche Gefahr, die Polizei tut etwas. Dabei bringt dieses öffentliche Vorgehen weitaus größere Probleme.
Was meinen Sie damit?
Müller: Die Polizei kontrolliert gemeinsam mit anderen Behörden zunehmend Shisha-Bars oder Restaurants. Das trifft auch Menschen, die sich nichts oder wenig haben zuschulden kommen lassen. Deren Vertrauen in die Polizei schwindet in der Konsequenz. Wenn das Vertrauen zum Staat fehlt, dann erreichen die Polizei keine Anzeigen, Hinweise oder Hilferufe mehr. Dann versucht man auf eigenem Wege, Dinge zu regeln. Das kann der Rechtsstaat nicht dulden.
Aber es ist ja so, dass Straftaten auch von Familienverbünden begangen werden - ist es dann nicht richtig, sie auch zu erfassen?
Müller: Das Problem ist das Konzept dahinter, die Methodik. Wie definiert man Clan? Es gibt bis heute viel zu wenig wissenschaftliche Erkenntnisse über diesen unbestimmten Rechtsbegriff. Das heißt: Die Polizei legt eine Schablone an. Menschen, die sehr unterschiedlich sind, werden von der Polizei als Einheit definiert, weil man sie einer Familienstruktur zuordnet und weil sie einen gewissen Nachnamen haben. Man muss sich das mal vorstellen: Wenn man alle Müllers als potenziell kriminell ansieht und sie ständig überprüft, dann macht das etwas mit dem Bild, das Polizei und Gesellschaft von allen haben, die Müller heißen. Auch wenn sie nicht kriminell sind. Also: Man darf nicht alle Müllers über einen Kamm scheren, wir laufen aber Gefahr, dass wir das bei den sogenannten Familienclans tun.