Öko-Nische für Insekten auf Göttinger Friedhof
Das Bienen- und Insektensterben ist eines der gravierendsten Umweltprobleme. Denn mit den Insekten stirbt das Leben auf unserem Planeten, sagen die Wissenschaftler. Viele Menschen versuchen, Lebensraum und Nahrung für Insekten bereitzustellen - beispielsweise in ihren Gärten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat im vergangenen Jahr in Niedersachsen ein auf den ersten Blick ungewöhnliches Projekt gestartet: Friedhöfe werden für Bienen und Insekten umgestaltet.
Beim Besuch auf dem Friedhof am Junkerberg in Göttingen steht Jakob Grabow-Klucken vom BUND mitten auf der Wildblumenwiese, die im Frühjahr 2018 gemeinsam mit der Friedhofsverwaltung angelegt worden ist. "Die Wiese unterscheidet sich von anderen typischen Flächen auf dem Friedhof, da wir Saatgut genommen haben, das zu 90 Prozent aus Blühpflanzen besteht", sagt Grabow-Klucken. Normalerweise habe eine Wiese einen 50-Prozent-Anteil von Gräsern. "Aber wir haben gesagt: Wir wollen hier massiv den Blütenanteil erhöhen."
Und das Wildblumen-Projekt des BUND hat Erfolg: Es brummt, zirpt und summt auf der hohen Wiese mit den vielen Blüten. Das bunte Insektentreiben sei ein erstes Zeichen dafür, dass der richtige Weg eingeschlagen worden ist, so der BUND.
Umdenken bei der Gestaltung der Grünflächen
Die Naturschützer haben in Göttingen zusammen mit den Friedhofsgärtnern ein ganzjähriges Blühangebot für Insekten geschaffen. Noch vor einigen Jahren lautete die Devise, dass die Friedhöfe aus Respekt vor den Toten vor allem gepflegt aussehen sollen.
Inzwischen habe aber ein Umdenken stattgefunden, sagt Wolfgang Gieße, der bei der Stadt Göttingen als Fachdienstleiter tätig ist. So gebe es beispielsweise beim Mähen der Wiesen keinen Kahlschlag mehr: "Da kommt es eben auch auf Details an, dass man zum Beispiel nicht alle zur gleichen Zeit mäht, sondern bestimmte Mähtermine einhält, damit ein Teil des Nahrungsangebots immer vorhanden ist." Bisher sei das nicht berücksichtigt worden, aber eine Lehre des Projekts sei der besondere Nutzen, der für die Tiere entstehe.
Ein Plädoyer für Wildstauden
21 Hektar Fläche hat der Göttinger Friedhof am Junkerberg. Damit gibt es genug Möglichkeiten, um Randflächen zu nutzen und für Insekten herzurichten - beispielsweise mehrere Baumstämme aufeinander zu stapeln. In diesem sogenannten Totholz nisten viele Bienen. Die Stelle dafür habe man mit Bedacht ausgewählt, da man das nicht überall machen könne, erklärt Gieße: "In einer normalen Grababteilung würde das nicht auf Zuspruch stoßen. Aber im Randbereich kann man das natürlich machen."
360 Arten Wildbienen gibt es in Niedersachsen, 84 davon haben Experten auf dem Göttinger Friedhof gezählt. Das ist ein großer Erfolg. Denn es gibt ein Problem: Gezüchtete Pflanzen sind oft nicht gut für die Insekten, sagt der Bienenexperte Grabow-Klucken vom BUND: "Der große Unterschied besteht darin, dass Zuchtsorten, die man im Baumarkt oder in der Gärtnerei bekommt, veränderte Blüten haben: teilweise gefüllte Blüten oder sterile Blüten, die keinen Nektar und keinen Pollen bieten." Die Wildstauden dagegen seien reich an Nahrung für Wildbienen, Wespen, Schmetterlinge und alles, was sonst noch in der Insektenwelt fliegt.
Friedhofsbesucher reagieren positiv
Um die Friedhofsbesucher über das Projekt zum Bienen- und Insektenschutz zu informieren und ihnen zu zeigen, was sie am besten anpflanzen können, haben die Biologen auch Schaubeete angelegt. Das Konzept kommt zum Beispiel bei Katrin Behrend gut an. Sie hat auf dem Grab ihres Vaters viel Lavendel angepflanzt: "Ich habe ganz begeistert davor gesessen und die Bienen und Schmetterlinge beobachtet. Alle anderen haben mit dem Kopf geschüttelt, weil der Lavendel irgendwas hinterlassen hat, das unordentlich aussah."
Eine andere Besucherin meint zwar, dass die Frage berechtigt sei, ob manche Menschen sich auf dem Friedhof von einer Wildblumenwiese gestört fühlen könnten. Aber sie betont im gleichzeitig: "Wenn wir hier so eine große Fläche haben, dann kann uns doch nichts Besseres passieren. Ich denke, das ist auch im Sinne der Toten, die da liegen."
Projekt findet weitere Mitstreiter
Drei weitere Friedhöfe in Niedersachsen machen bei dem Wildblumenwiesen-Projekt des BUND ebenfalls mit, berichtet Organisator Grabow-Klucken: "Unser Motto ist: Auf jedem Grabfeld eine Wildstaude als Zusatz - und schon haben wir auf dem ganzen Friedhof ein Blütenmeer."
Ein Jahr lang arbeiten der BUND und die Friedhofsverwaltungen noch zusammen. Dann, so hoffen die Initiatoren, hat sich der ökologische Gedanke vollends eingespielt.